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Was haben Katzen, Hasen, Pfeifen, Postkarten, Briefmarken und Vasen gemeinsam? Richtig, sie werden gesammelt. Das macht nämlich Spaß und ist gut für das Nervenkostüm. Betritt man die Wohnung eines Sammlers, erkennt man das sofort – denn die Objekte seiner Leidenschaft sind überall zu sehen – in Vitrinen, auf Tischen und überall, wo es ein Plätzchen dafür gibt.
Von dieser Art des Sammelns soll hier aber nicht die Rede sein, sondern von der eher versteckten Variante. Die nämlich findet meist im Verborgenen statt, nicht für jeden sichtbar. Und fast alle von uns tun es: Erinnerungsstücke aus längst vergangenen Zeiten horten. Das ist nicht so unlogisch, wie es auf den ersten Blick vielleicht aussieht – aber schauen wir doch einmal genauer hin.
Da ist zum Beispiel dieser Stoffelefant, der in verschiedenen grellen Farben leuchtet. Ein Teil, das wir sonst mit hochgezogenen Brauen betrachten würden, aber hier auf dem Sofa sitzen haben. "Es hängen eben Erinnerungen daran", sagt der Eigentümer dieses knallbunten Verstoßes gegen den guten Geschmack.
Oder wieso liegt in der Schreibtischschublade seit Jahren ein schmuddeliges Streichholzbriefchen, dessen Inhalt schon in Auflösung begriffen ist? Der kaum noch lesbare Aufdruck auf der Vorderseite wirbt für ein Restaurant. Wieso nur liegt im Wäscheschrank im hintersten Winkel ein äußerst fadenscheiniger, verblichener Kissenbezug, der nie in Gebrauch genommen wird? Und wer um alles in der Welt braucht diese extrem kitschige Küchenuhr mit den Schlümpfen, die – außer, dass sie eher in ein Kinderzimmer gehört – auch noch falsch geht?
Des Rätsels Lösung ist natürlich einfach: der Elefant wurde vom Liebsten auf dem Jahrmarkt per Los gewonnen, vor mindestens fünf Jahren. Die Zündhölzer werben für das Lokal, in dem das erste Date stattfand, und der Bettbezug bedeckte immer das Trostkissen des Töchterchens ... das übrigens längst selber Kinder hat. Das ist bei der Uhr nicht anders, sie stammt noch aus den glücklichen Zeiten vor der Scheidung der ersten Ehe. Und wenn man die Spur aufgenommen hat, findet man immer mehr Artefakte aus der Vergangenheit. Zettel, zerfledderte Bücher, Modeschmuck oder Krawatten, sogar Kleidungsstücke und Geschirr.
Alle die über Jahre gesammelten Dinge sind Geheimnisträger, sie stehen für bestimmte Ereignisse und Gefühle, die damit verbunden sind. Die letzte Tasse aus dem Service, das Tante Soundso zur Hochzeit geschenkt hatte – was symbolisiert sie eigentlich für uns? Sie kommt aus einer Zeit, in der noch alles voller Hoffnung war – das ist nämlich mit Sicherheit ein Merkmal von Hochzeitstagen. Die liebevoll gesammelten Spielzeuge der Kinder, die längst aus dem Haus sind, bedeuten Erinnerung an wunderschöne Zeiten, als sie noch auf das Daheim angewiesen waren. Man könnte endlos aufzählen, was so alles an welchen Dingen festgemacht wird – es können Kunstgegenstände ebenso wie ganz profane Dinge sein. Von Freundschaftsringen bis zu Haarklammern, das Objekt an sich ist tausendfach variiert.
Es ist tatsächlich so, dass viele Menschen bei den eigenartigsten Gegenständen sofort und wie aus der Pistole geschossen erklären können, woher sie kommen und zu welcher Gelegenheit sie der Sammlung hinzugefügt wurden. Und es ist so, dass wir einen großen Teil unserer Besitztümer aus emotionalen Gründen haben. Wir sind einfach nicht in der Lage, sie wegzuwerfen – es ist, als würden wir die Erinnerung entsorgen oder verraten. Und obwohl wir wissen, dass das Unsinn ist, lassen wir uns von viel zu vielen Dingen regelrecht festhalten. Jeder kennt die Flüche, wenn ein Umzug ins Haus steht und man dreimal so viel Zeit und Kartons braucht, wie eigentlich nötig – aber man bringt es nicht übers Herz. Nicht dieses Stofftier, nicht dieses Buch und schon gar nicht diese Konzertkarte. Letztendlich geht alles wieder mit und ist um uns herum, wenn auch vielleicht in irgendeiner Schublade. Aber hat man es wirklich nötig? Braucht man diese Lesezeichen wirklich?
Wir machen an diesen Objekten etwas fest, wir verknüpfen etwas dermaßen mit ihnen, dass eine Art Übertragung stattfindet. Der alte Plüschbär erinnert irgendwann nicht mehr an eine schöne Zeit – er ist für uns diese Zeit. So wie die alte Kinokarte zu dem romantischen Abend wird, für den sie steht. Wir wollen diese Erinnerungen anfassen, sie halten und gegen das Vergessen einsetzen. Aber tatsächlich vergessen wir sehr selten etwas – wahrscheinlich will man in genau dieser Zeit oder dem Moment bleiben, die so angenehm war – nicht nur sich erinnern. Verständlich, aber es kann durchaus sein, dass wir das auf Kosten der Weiterentwicklung und des inneren Wachstums erzwingen wollen.
Es ist eine normale und schöne Sache, wenn wir hin und wieder Vergangenes streifen, so wie man einem Kind im Vorbeigehen liebevoll über den Kopf streicht. Es ist absolut nicht notwendig, sich daran zu klammern und eine Art emotionales Voodoo zu veranstalten, indem wir tote Gegenstände – sozusagen – als Käfig für lebendige Erinnerungen benutzen wollen. In dem Fall binden wir uns selber viel zu sehr, und machen uns überdies abhängig. Letztendlich geht uns nichts verloren, das für unsere Entwicklung wichtig war – ob es nun angenehm war, oder nicht angenehm. Alles andere ist vernachlässigbar, aber selbst das geht nicht verloren.
Zum Entrümpeln ist immer eine gute Zeit, denn zu viele Dinge, die keinen anderen Sinn haben, als uns zu erinnern, hemmen uns. Es ist ein Unterschied, ob man ein Ding schätzt seines ideellen Wertes wegen, oder ob man sich daran klammert, denn das macht unfrei. Wer sich mit zu vielen abgelaufenen Posten umgibt, der verhindert das Neue und Lebendige.
© Text und Foto zum Beitrag "Ballast abwerfen": Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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