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Aus der Mode gekommen ist er nie, der mystische Heilige Gral, der praktisch in allen Epochen bekannt war und gesucht wurde. Es soll sich dabei um ein Gefäß handeln, einen Becher oder eine Schale, manchmal auch um einen gehöhlten Stein. Diesem Mirakel werden Wunderkräfte zugeschrieben, er soll Jugend und Gesundheit wiedergeben und sogar das ewige Leben spenden können. Die Ritter um König Artus zogen aus, um diesen unermesslichen Schatz der Christenheit wiederzufinden, denn der Gral galt als das Trinkgefäß, das Jesus Christus bei seinem letzten Abendmahl benutzte.
Das sind einige der unzähligen Deutungen, andere sehen in ihm die Schale, welche die Blutstropfen des gegeißelten und gekreuzigten Jesus auffing. Das ist der christliche Aspekt dieses geheimnisvollen Schatzes, den so viele suchten und den noch keiner gefunden hat. Die Legenden um den Heiligen Gral sind allerdings nicht nur christlichen Ursprungs, denn auch die Kelten sowie die Orientalen kennen Entsprechungen. So wird der Gral zuweilen auch mit dem magischen Kessel der Ceridwen gleichgesetzt, der die Kraft besaß, die Hungrigen zu speisen ... und zwar genau mit der Nahrung, die sie am liebsten hatten. Die Umschreibung beinhaltet wohl auch andere Gaben, der Kessel war wohl so etwas wie eine Art Wunschbrunnen.
An anderen Stellen wird überliefert, dass dieses Gefäß sogar Tote wieder zum Leben bringen konnte, wenn sie darin gebadet wurden, nachdem sie in der Schlacht gefallen waren. Hier gleichen sich die Bedeutungen nicht unerheblich – es handelt sich im Grunde um dieselbe, archaische Idee. Der Kelch, die Schale oder der ausgehöhlte Stein sind Symbole der Erde, der ernährenden Urmutter, die aus ihrem Überfluss heraus allen das spendet, was sie brauchen. Also die gute alte Mutter Erde selbst wird hier gezeigt – die Ernährerin alles Lebenden. Von hier aus ist es nicht mehr weit zum mystischen Glauben an das ewige Leben und die immerwährende Jugend, was Aspekte des Gralsglaubens sind.
Die Erlösung, die er gewähren kann, ist das Ende aller Sorgen und allen Leids, welches das irdische Leben mit sich bringt – eine Art Joker vielleicht. Zufriedenheit und Wärme, Licht und Geborgenheit, ohne dass dafür gekämpft und gelitten werden muss – das ist der Traum der Menschen von Anfang an und findet sich in der einen oder anderen Vision in jeder Kultur und in jedem Zeitalter. Diese Idee zeigt sich in Märchen, Legenden und Sagen – es ist die Sehnsucht nach dem Frieden, der möglich ist, wenn man tatsächlich der Notwendigkeit des Überlebenskampfes enthoben ist. Aber diese Sicht der Dinge ist die einfachere, sie zeigt sich in Märchen wie der Wunderlampe oder ähnlichen Geschichten, in denen ein magischer Dreh dafür sorgt, dass man alles haben kann, was man sich wünscht. In manchen dieser Erzählungen ist allerdings die Zahl der Wünsche begrenzt – man muss also wählen, bevor man sich entscheidet. Das bringt den Prüfungsfaktor hinein, denn allzu leicht darf es ja nicht sein.
Als die Kirche sich des Grals bemächtigte, wurde aus dem Märchen eine Art Leidensgeschichte, ganz in der christlichen Tradition. Nur wer rein genug, wer würdig genug ist, kann sich dem Gral nähern und ihn sehen. Für den Unwürdigen bedeutet es den Tod. Der jeweilige Held muss allerhand durchmachen, bevor er den Gral erblicken und zu dessen Hüter er werden kann – denn es geht nicht um dessen Besitz. Wer ihn findet – also gewissermaßen aktiviert – sorgt allein dadurch, dass das Böse im Land zurückgedrängt wird und die Menschen glücklich werden.
Noch heute gibt es Forscher, die sich ganz der Gralslegende widmen. Menschen, die fest daran glauben, dass irgendwann das Rätsel um dessen Verbleib gelöst werden kann. Das Gefäß des heiligen Blutes, wie der Gral auch genannt wird, sehen manche als den tatsächlichen Träger des Blutes Jesu an. Nämlich in der Gestalt der von ihm geliebten Maria Magdalena, welche das Heilige Land verließ, um ihr Kind anderswo zu gebären, wo es in Sicherheit war. So gesehen handelte es sich tatsächlich beim Gral um nichts anderes als die Nachkommen Christi. Diese Lesart wurde in letzter Zeit populär, auch durch das Buch des Schriftstellers Dan Brown, der den Roman "Sakrileg" schrieb. Allerdings denken sich die allermeisten wohl einen tatsächlichen Kelch oder eine Schale – und in der Kunst wird dieses Objekt meist aus edlem Metall bestehend gezeigt, zusätzlich mit Edelsteinen geschmückt. Zwar würde es sich bei dem Trinkbecher Jesu wohl eher um ein bescheidenes Tongefäß gehandelt haben, aber durch die wertvollen Materialien wird auf die Bedeutung des Grales hingewiesen. Wie auch immer, noch heute gibt es Schatzjäger, die tatsächlich nach einem greifbaren Gegenstand suchen.
Aber vielleicht ist es viel einfacher, und zugleich schwieriger als wir denken. Wir alle suchen nach den Dingen, die der Gral verspricht – ob es nun bewusst ist oder nicht. Allerdings jagen wir nicht dem ewigen Leben nach, sondern suchen meist verzweifelt nach einem lebbaren für hier und jetzt. Das beinhaltet Zufriedenheit, also "mit sich im Frieden sein". Wer das hat, wer im Frieden lebt mit sich und zwangsläufig auch mit der Welt und den Menschen, hat für sich den Gral gefunden – und es gibt Menschen, die das auch wirklich haben.
Die Legende vom Kessel der Göttin hat einen weiteren Aspekt, denn nicht das, was wir wünschen, wird uns gegeben, sondern das, was wir brauchen – auch wenn wir es nicht erkannt haben, solange es uns fehlte. Wer also vor den Kessel tritt und etwas bestimmtes erwartet oder wünscht, wird es bekommen – aber ob ihn das dann wirklich glücklich macht, ist durchaus nicht sicher. Hier kommt der Glaube und das Vertrauen ins Spiel – denn wer nichts wünscht und erwartet, sondern empfängt, bekommt das, was er wirklich sucht und braucht. Das ist erst eigentlich das, was wir Glück nennen könnten.
Kennen Sie vielleicht jemanden, der für sich etwas gefunden hat, das ihn wirklich glücklich macht – ein Hobby vielleicht oder eine Berufung? Etwas, das ihn vollkommen glücklich macht im Sinne von Zufriedenheit? Jemand, der wunschlos glücklich ist, wenn er genau das lebt?
Der Gral ist an vielen Orten versteckt – vielleicht im Schrebergarten der Oma, die so zufrieden mit ihren Pflanzen ist. Vielleicht auch auf dem Tanzparkett oder in einem Maleratelier, bei einem eifrigen Sammler oder jemandem, der glücklich ist, wenn er helfen kann. "Das ist es, was ich brauche, das ist es, was mich ganz zu dem Menschen macht, der ich sein kann und will, und der im Frieden lebt." Diese Worte könnten als Inschrift dienen, wäre der Gral wirklich ein Kelch. Leider erkennen wir ihn nicht immer, wenn wir ihn finden – und das ist schade. Denn er will ja gefunden werden, und er zeigt sich jedem von uns mehr als einmal. So mancher beendet sein Dasein, ohne jemals wirklich völlig Eins mit sich gewesen zu sein – ohne sich selbst als Ganzes zu erleben.
Für jeden ist der Gral etwas anderes, und jeder ist auf der Suche danach. Es ist eine ganz persönliche "Queste", eine Suchmission für jeden Einzelnen, und wie in den Legenden müssen einige Rätsel gelöst werden. Schließlich findet man ihn nur in sich selbst, und das ist wohl das am schwierigsten zu erforschende Terrain ... aber rein und ohne Fehl und Tadel muss man dafür nicht sein. Der Gral ist für Menschen, nicht für Überwesen.
© Textbeitrag "Die Jagd nach dem Heiligen Gral": Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: oben Abbildung des Kelches: © Pressenet; mitte Magischer Kessel der Ceridwen: gemeinfrei; unten Gral in der Mitte der Tafelrunde: gemeinfrei.
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