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Rache sollte kalt genossen werden, wie es so schön und berechnend heißt. Schließlich ist eine überbordende Emotion für niemanden gut, der sowieso nervlich sehr angeschlagen ist. Und man verpasst einiges, wenn man aus der Hüfte heraus schießt. Folgt sie nämlich auf dem Fuße, die Vergeltung, verliert sie doch sehr an Raffinesse und wird zum bloßen Zurückschlagen. Das sieht erstens einmal nicht besonders stilvoll aus, zweitens fällt einem wahrscheinlich viel später erst ein, wie man es noch viel besser hätte machen können.
Rache raubt einem mit Sicherheit die Nachtruhe, lässt die innere Regie zwanghaft Filme abspielen und gerät zur Selbstbestrafung. Man steht mit roten Augen und völlig übernächtigt an der Bushaltestelle, oder rammt das Garagentor, weil man vor Müdigkeit kaum noch Bremse und Gas unterscheiden kann. Das alles, während das Objekt des, sagen wir "Unwillens", hervorragend ausgeschlafen seinen Tag beginnt.
Für Ungeübte geht es eigentlich immer so aus: man hat den Schaden und tut sich selber dann noch den Teufel an – aber das muss wirklich nicht so sein. Spezialisten für Vergeltungsschläge aller Größenordnungen predigen immer wieder die Geduld. Wer einige Übung im Herstellen der subjektiven Gerechtigkeit hat, weiß, dass selbst nach den schwersten Schlägen erst einmal das Beiseiteräumen wichtig ist.
Ein Kollege hat zum Beispiel wieder einmal auf Ihre Kosten einen dämlichen Witz gemacht, der sich im Betrieb zu einem Running Gag entwickelt – und Sie träumen schon davon? Ihr Versuch, ihn bei einem netten Gespräch von dieser Angewohnheit abzubringen, hat nur dazu geführt, dass er seine Bemühungen verdoppelt hat? Dann wird es Zeit, seine Erziehung in die Hand zu nehmen. Denn in diesem geschilderten Fall handelt es sich um nichts anderes. Der unsozialisierte Wilde muss endlich seine soziale Prägung erhalten – und da er mit Sicherheit älter als drei Jahre ist, braucht es da besondere Maßnahmen.
Hier ist Geduld gefragt und Beherrschung – beobachten Sie den Idioten, während Sie über seine Witze grinsen. Der vermutlich psychisch gestörte Kerl hat jede Menge Leichen in seinem emotionalen Keller, und mit Geduld werden Sie eine davon aufspüren. Die legen Sie dann auf das Büfett bei der nächsten Gelegenheit. Vielleicht ist eine Spinnenphobie vorhanden oder Ähnliches. Es wird sehr befriedigend sein, wenn er, hysterisch kreischend, mit seinem Schuh um sich schlägt oder sich weigert, seinen Arbeitsplatz zu betreten, weil jemand so einen Achtfüßler dort platziert hat. Dieses Beispiel soll nur zeigen, was es für nette Möglichkeiten gibt. Solange Sie nicht weinen, fluchen oder schreien, wenn er sich auf Sie einschießt, wird er immer verbissener versuchen, die Reaktion, die er sich wünscht, herauszukitzeln. Er wird Fehler machen, bleibt ihm die Befriedigung versagt. Dann schlägt Ihre Stunde.
Ihre Nachbarin erzählt dem gesamten Wohnviertel ungeheure Lügen über Sie? Konfrontation wird nichts bringen – keiner hat etwas gehört und die betreffende Schlange wird noch auf der Folter leugnen, dass die Gerüchte von ihr stammen. Auch hier wäre es verständlich, wenn Ihnen als Maßnahme einige saftige Ohrfeigen symbolischer Art in den Sinn kommen. Damit lieferten Sie allerdings dem mittlerweile angewachsenen Fan-Club der wohnviertelinternen Seifenoper, dessen Star Sie unfreiwilligerweise sind, nur neue Attraktionen. Ruhe bewahren ist hier erste Pflicht – außer, Sie wollen den Wohnort wechseln, was mit Kosten und Unannehmlichkeiten verbunden ist.
Kehren Sie vielmehr Ihre nettesten Seiten nach außen, sprechen Sie mit dem Publikum und sammeln Sie Stimmen. Sie machen Komplimente, sind verständnisvoll und erwähnen niemals die Gerüchte oder diejenige, die sie in die Welt setzt. Aber Ihre Ohren sind weit, weit offen. Denn hier gilt das Gleiche wie beim ersten Beispiel: Schwachstellen. Halten Sie durch, wird jeder bald begeistert sein von der eigentlich so netten Person und sich langsam aber sicher Gedanken machen. Merke: jeder hört einer Giftspritze zwar zu, aber niemand mag sie.
Letztendlich hat der höhere Unterhaltungswert Vorrang. Dann können hier und da Beobachtungen Ihrerseits nebenbei fallengelassen werden, Sie sind mit Sicherheit nicht das einzige Opfer. Dass die Dinge, die Sie über die Nachbarn wissen, nur der guten Beobachtungsgabe zu verdanken sind, realisiert niemand. Man wird das sofort der Bezirkstratsche zuschreiben – wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben, wird bald ein Möbelwagen vorfahren. Allerdings nicht für Sie.
Abwarten zahlt sich aus – aber versucht man, die Rache heiß zu genießen, bekommt man Brandblasen. Lassen Sie das Gericht vor dem Servieren erst auskühlen ... die Überraschung ist dann umso größer.
© "Kaltschale – Geduld und Beherrschung": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. das Foto "Apfelrahmsuppe mit Curry und Schnittlauch" stammt von Brücke-Osteuropa, Lizenz: gemeinfrei.
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