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Als ich vor einiger Zeit bei einem Arzt warten musste, hörte ich ein Gespräch zwischen zwei Arzthelferinnen mit. Das Wartezimmer war voll besetzt und ich wartete daher vor der Anmeldung.
Es begann damit, dass eine der beiden mit einem hingeworfenen "Willst du am Donnerstag tauschen?" anfing. Die Antwort war: "Tut mir leid, diese Woche ist das ganz schlecht." Daraufhin die erste: "Okay, kein Thema." Kurzes Schweigen, aber mein Interesse war geweckt, denn etwas in der Stimme der Fragerin ließ darauf schließen, dass die Sache damit keineswegs erledigt war.
"Es ist ja nur, weil mein Sohn da Abschlussfeier hat, sonst hätte ich ja gar nicht gefragt. Aber das macht nichts, geh ich eben erst später hin." Ein sehr kluger Zug, dachte ich mir und hörte gespannt zu.
"Ach, das hab ich natürlich nicht gewusst – ich hab einiges zu tun diese Woche, sonst hätte ich natürlich getauscht." Das kam leicht schwankend, aber noch immer entschlossen. Aber da bot die andere schwereres Geschütz auf: "Ich hab es ja auch erst spät erfahren, aber mach dir keinen Kopf – da fahren sicher Busse."
Die bedrängte Angestellte machte nun einen schwerwiegenden Fehler, indem sie zaghaft fragte: "Bist du jetzt beleidigt oder böse?" "Natürlich nicht, was nicht geht, geht eben nicht. Ich bin sicher nicht die erste Mutter, die zu spät zur Abschlussfeier ihres Kindes kommt."
Spätestens jetzt war sicher, dass da jemand ganz bestimmt nachgeben würde. Die Frau, die nicht tauschen wollte, wusste das wahrscheinlich und suchte nur noch nach einem Weg, ihr Gesicht zu wahren. Und nach unbehaglichem Schweigen kam auch tatsächlich das "Also gut – ich werd das schon hinkriegen."
Das reichte der Ersteren allerdings nicht wirklich, sie wollte eine Verlängerung. "Wirklich? Wenn es nicht geht, muss er eben mit dem Bus hinfahren und ich komme später nach, das ist nicht schlimm." In dem Stil ging es noch etwas weiter, bis die Unterlegene praktisch darum bettelte, ihre Freizeit zum Teufel gehen zu lassen. Eine Chance hatte sie von vornherein nicht gehabt.
Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann haben Sie sich wahrscheinlich öfter auf diese Weise manipulieren lassen.
Was war nun eigentlich passiert? Die Fragende war tatsächlich in einer Zwickmühle, was die Termine betraf. Sie wusste, dass ein Tausch grundsätzlich möglich war. Die andere hatte sich schon etwas anderes vorgenommen und hatte eigentlich keine Lust zu einem Tausch. Erst wurde nur gefragt, ob es ginge ... "Willst du tauschen?" Nachdem das erst einmal nicht klappte, musste nachgehakt werden.
Die Frau ging sofort aufs Ganze und machte ohne große Umwege eine Schuldzuweisung und griff das Gewissen der Bedrängten an: "Du bist schuld, wenn ich keine gute Mutter bin." Das klingt zwar etwas überhöht, aber genau das ist der eigentliche Text, der hinter den Worten steht.
"Was immer du vorhast, es ist niemals so wichtig, wie das, was ich tue." Die zweifellos dominantere Frau brachte es fertig, in wenigen Sätzen eine Art von Gehirnwäsche durchzuführen. Sie machte die andere zur potenziell Schuldigen. Ihr Ton stellte in Aussicht, dass die Zusammenarbeit für die nächste Zeit nicht sehr erfreulich werden würde, es gab also eine subtile Drohung. Sie vertauschte mühelos die Rollen, so dass die andere zur eigentlichen Bittstellerin wurde.
Das alles spielte sich während der Arbeit – nahezu nebenbei in einer vollbesetzten Praxis – ab, was den Schluss nahe legt, dass dieses Spiel schon oft gespielt worden war und dass der Gewinner immer von vornherein feststand. Die Verliererin in diesem ungleichen Kampf hatte gleich zu Anfang einen ziemlich großen Fehler gemacht. Zunächst hätte sie sich nach dem Grund für das Ansinnen erkundigen sollen und dann erst entscheiden. Sie hätte zwar nachgegeben, aber ohne ihre Antwort revidieren zu müssen. Spätestens an diesem Punkt kommt die Feststellung: Sie hätte doch "Nein" sagen gekonnt.
Und genau das hätte die Frau eben nicht. Zum ersten war sie der Manipulationstechnik der anderen nicht gewachsen, zum zweiten wollte sie auf keinen Fall an einer kleinen Tragödie schuld sein. Hätte ich gefragt, warum sie nachgegeben hätte, wäre die Antwort wohl in die Richtung gegangen, dass das Kind ja nichts dafür könne und eine Abschlussfeier schließlich ein Ausnahmefall sei. Natürlich ist die familiäre Situation der "Siegerin" nicht bekannt – es ist ungewiss, ob es nicht doch auch andere Möglichkeiten gegeben hätte.
Was hier nicht gestimmt hat, war die Art und Weise, wie man es verstand, sich Hilfe zu erzwingen, um das Bitten zu umgehen. Die Unterlegene ist sogar noch froh, dass man ihr nicht böse ist, und muss ein Gefühl der Hilflosigkeit und Unzulänglichkeit verdrängen, das wahrscheinlich hochkam.
Wer seine Mitmenschen auf diese Weise behandelt, braucht mit Sicherheit entweder Hilfe oder einen Dämpfer – aber uns interessiert hier die Frage, wie man sich gegen solche Dinge schützen kann.
Zuerst einmal: Man kann sich gegen den Versuch gar nicht schützen. Was man vielleicht vermeiden kann, ist das Gefühl des Versagens, indem man sich eingesteht, dass man recht nett über den Tisch gezogen wurde. Es war in dem beschriebenen Fall keine Zeit, um die Art und Weise, wie vorgegangen wurde, zu kritisieren – die Betroffene hätte keine Diskussion starten können: "Ist dir klar, dass du mich versuchst, zu manipulieren, warum tust du das auf diese Weise? Konntest du nicht einfach bitten und mir die Sachlage erklären?" Das muss zwar irgendwann kommen, aber nicht im Arbeitsstress.
Vorschläge zur Situation wären hier, zwar einzuspringen, aber ein klärendes Gespräch in Aussicht zu stellen. Wenn der andere das dann "vergisst", ist das NEIN beim nächsten Mal schon nicht mehr so schwer.
Vielleicht kennen Sie auch das: Die Freundin oder der Freund ist unfähig zu sagen, dass er etwas braucht oder will und redet in auffälliger Weise "daran vorbei": "Ich will drei Tage weg fahren, aber ich kann ja doch nicht, weil niemand auf meine Katze aufpassen will." Vermutlich kennen Sie auch diesen unglückseligen Drang zu sagen: "Warum bringst du sie nicht zu mir, ich mache das." Man muss lernen, nicht darauf zu reagieren, sondern abzuwarten, dass man direkt gefragt wird, auch wenn man im Geiste schon überlegt, wo man das Katzenklo hinstellen könnte.
Manche Menschen scheuen die Frage nach Hilfe, sie fühlen sich weitaus wohler, wenn man sie ihnen anträgt. Durch ihr Verhalten wollen sie genau das erreichen, aber das ist nun einmal nicht die richtige Art und Weise.
Sie sollten das nicht unterstützen, denn mangelnde Kommunikation ist für viel unnötige psychische Belastungen verantwortlich, aber man kann lernen, wirklich miteinander zu kommunizieren und nicht, wie im Fall der Arzthelferinnen, regelrecht gegeneinander. Das gilt auch für die beste Freundin und die Katzenfreunde. Lernen Sie, dass Sie eine Last freiwillig auf sich nehmen können, wenn man Sie darum bittet – aber annehmen heißt nicht, sich etwas aufladen lassen. Man kann also, sind Dritte mit im Spiel, durchaus helfen, auch wenn man erkennbar gedrängt wird.
"Ich tu es für den Jungen, nicht für die Mutter", oder auch: "Ich helfe der Katze, damit sie nicht im Tierheim landet" sind durchaus keine Ausreden für Warmduscher, wie manche Fachleute in Sachen Psychologie das gerne sehen – das ist eine Sache des Gefühls. Nur sollte man eindeutig klarmachen, dass es ein nächstes Mal nicht geben wird. Erklären Sie klipp und klar, dass Sie die Strategie durchschaut haben und was Sie davon halten.
Das muss durchaus nicht die Freundschaft kosten, aber es könnte. In diesem Fall ist es an Ihnen zu entscheiden, welchen Wert Sie ihr beimessen. Es gibt keine Patentrezepte in Sachen Freundschaft, aber es darf kein großes Ungleichgewicht geben, sonst ist es eher eine Zweckgemeinschaft. Ehrlichkeit gehört auf jeden Fall dazu.
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© "Sag niemals nie – Manipulation im Alltag": Textbeitrag und Abbildung von Winfried Brumma (Pressenet), 2012.
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