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Das Vorgehen ist meist dasselbe: der Betreffende geht in irgendeiner Schülerplattform auf die Jagd. Schon hier macht er falsche Angaben, versucht mit verschiedenen Kindern in Kontakt zu treten. Das ist nicht besonders schwierig – vor allem nicht, wenn man Geduld und Erfahrung hat. Unser Jäger ist, sagen wir, etwa 25 bis 30 Jahre alt und in gewisser Weise noch nicht allzu weit weg von den Gegebenheiten seiner Zielgruppe. Natürlich sind alle Altersgruppen vertreten, aber bleiben wir nun bei dieser.
Auf Plattformen für Schüler gehen die Kids mehr aus sich heraus, als sie das zu Hause bei den Eltern tun würden, von denen sie sich nicht besonders gut verstanden fühlen. Solche Profile sind genau die, die unser Mann nun sucht. Die Kontaktaufnahme ist nicht schwierig, meist kann der Jäger mit irgendetwas punkten – der Herr mit der Bonbontüte ist längst Vergangenheit ... heute zeigt man den Kindern seinen tollen Computer und stellt die Kenntnisse in dieser Hinsicht in den Vordergrund. Ein beliebtes Mittel ist zum Beispiel das Anmelden bei bestimmten Online-Spielen, die viele Eltern ihren Kindern nicht erlauben und zu dessen Aktivierung eine Altersangabe nötig ist. Der Altersunterschied verwischt sich völlig oder wird als unwesentlich erlebt, da die Interessen so augenscheinlich auf einer Linie liegen.
Bald kommt es zu einem ersten Treffen, bei dem der betreffende Jugendliche sich absolut verstanden und vor allem angenommen fühlt. Stundenlanges Spielen ohne Einschränkung ist hier erst einmal der Köder, oft gekoppelt mit kleinen oder größeren Geschenken, die damit zu tun haben. Es wird gezielt auf ein Abhängigkeitsverhältnis hingearbeitet, und tatsächlich entsteht ein solches recht schnell.
Suchterzeugende Online-Spiele sind ein mächtiger Anreiz und verfehlen ihren Zweck selten. Sind die betreffenden Kinder, in Fällen wie dem beschriebenen, meist Jungs und noch nicht in der Pubertät, wird die mit Sicherheit stattfindende regelrechte Beeinflussung direkt in die psychische Entwicklung eingreifen. Unmerklich für das Kind werden die bis jetzt als gegeben angesehenen Richtlinien verschoben, und zwar in die Richtung, die dem Jäger nützt. Selbst wenn es im Vorfeld erst einmal nicht zu sexuellen Handlungen kommt, wird schon großer Schaden angerichtet. Das Kind oder der Jugendliche wird in ein Netz von Heimlichtuerei und Lügen verstrickt, denn selten wissen die Eltern von dem Kontakt, den sie nicht gutheißen würden. Das Kind wird dadurch erpressbar.
Gleichzeit wird versucht, das Opfer von bestehenden sozialen Kontakten zu isolieren. Es soll darauf hingearbeitet werden, der einzige Ansprechpartner zu sein. Kinder an der Schwelle zur Pubertät, ebenso wie Jugendliche, die sich mit der damit verbundenen Identitätssuche herumschlagen, sehen sich selbst in der Regel als in der Freiheit eingeschränkt. Das wird in geschickter Weise geschürt und so genutzt, dass die Eltern nicht mehr als Ansprechpartner in Betracht kommen. Das Vertrauen wird sozusagen verlagert – auf den Jäger.
Besonders dreiste Vertreter dieser Zunft verstecken sich durchaus nicht und stellen die Beziehung zu dem sehr viel jüngeren Kind als "normale Freundschaft" väterlicher Natur hin. Naive Eltern oder Großeltern unterdrücken oft ihre instinktive Ablehnung einer solch fragwürdigen Beziehung, weil der Betreffende durchaus weiß, wie er Bedenken zerstreuen kann – denn er hat mittlerweile von dem Kind so viel über das Elternhaus erfahren, dass er jede Möglichkeit dazu hat. Die am veränderten Wesen ihres Kindes verzweifelnden Eltern sind für "gut gemeinte" Hilfe und vermeintliches Verständnis und auch für das Versprechen, "positiv" auf das Kind einzuwirken, sehr dankbar. Das Kind selbst wird in eine Lage gebracht, die es förmlich zerreißt – es will sich weder völlig gegen die Eltern noch gegen den "Freund" und die ihm gewährten Vorteile entscheiden und wird in seiner Verwirrung auf die übelste Weise manipuliert.
Besteht bereits eine Kluft zwischen Elternhaus und gleichaltrigen Freunden, wird das Opfer recht schnell merken, dass sein älterer Vertrauter durchaus eine andere Seite hat – eine ziemlich unangenehme nämlich. Eifersucht und Machtanspruch, Kontrolle und ständige Präsenz verbunden mit Drohungen verschiedenster Art sind von nun an die einzig mögliche soziale Realität. Auch ohne sexuelle Nötigungen findet hier ein Missbrauch schlimmster Natur statt. Und ohne Machtspiele dieser Art wird es nicht abgehen – sie sind, gewissermaßen, die Krönung für den Jäger.
Ein anderes Jagdrevier, in dem das Wild weitaus weniger gefährlich zu fangen ist, sind Internatsschulen für Kinder aus schwachem sozialem Umfeld bzw. gefährdete Jugendliche. Hat der Betreffende erst einmal einen Kontakt, wird seine Wohnung zur Anlaufstelle, zu einem Geheimtipp. Wie auch immer, selbst wenn die "Freundschaft" auseinanderbricht, wird das Kind bzw. der Jugendliche Verletzungen davontragen, die sein weiteres Leben bestimmen und die umso gefährlicher sind, weil sie meist nicht eingestanden werden und mit Sicherheit einer Therapie bedürfen.
Während ein junger Mensch sich verzweifelt fragt, wieso er scheinbar nicht beziehungsfähig ist oder sich nicht wirklich emotional auf andere Menschen einlassen kann, ist sein ehemaliger "Vertrauter" schon längst mit anderen Freunden beschäftigt. Denn: Nachschub gibt es immer.
© "Nachschub gibt es immer": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012.
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