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Eine Kleinigkeit. Nichts, das wirklich von Belang wäre – aber es reicht, um die Stimmung zu verändern. Sie reagieren von der ersten Sekunde an angespannt, sind gewissermaßen in Hab-Acht-Stimmung. Dann kommentiert das Gegenüber den Vorfall oder die Gegebenheit. Und wie aus der Pistole geschossen sagen Sie: "Herrgott nochmal, bin ich jetzt Schuld daran oder was ..."
Eine Variante wäre: "Dafür kann ich doch nun wirklich nichts ..." Dann kommt die sofortige Gegenreaktion, die meistens so aussieht: "Wieso um alles in der Welt musst du dich wegen allem und jedem schuldig fühlen?"
Wenn Sie das kennen und in der Mannschaft mit dem Aufdruck "schuldig" spielen, was ist dann jeweils Ihre Antwort? Wahrscheinlich umgehen Sie das und holen lieber weiter aus. Diese Runde wird meist eingeläutet mit "Ja, wenn du ..." oder "Musst du auch ...", vielleicht "Du hast eben wieder ..." Das geht zwar einigermaßen am Thema vorbei, dient aber wahrscheinlich dazu, das Unbehagen zu bekämpfen, das mittlerweile Magendrücken verursacht.
Wie das weitergeht, hängt von den Umständen ab, denn vernünftig wird keiner der Kontrahenten sein. Der mit dem Selbstbezichtigungsaufdruck auf dem Hemd wird immer erbitterter immer unsinnigere Argumente vorbringen, so als ginge es um das Leben. Er agiert, als müsste er sich vor der Guillotine retten und beruhigt sich erst dann, wenn er genau das gehört hat, was er hören möchte. Nämlich, dass er KEINE Schuld am Wetter oder den Zahnschmerzen der Kinder, dem schlechten Fernsehprogramm oder der Mieterhöhung hat.
Mittlerweile fühlt er sich aber auch an diesem Streit schuldig und kämpft weiter, bis der Streit dann endgültig eskaliert und der völlig entnervte Kontrahent erst einmal das Weite sucht oder anfängt, den Geschirrbestand zu verringern. Woran natürlich auch wieder jemand schuld sein muss, soll oder will. Und irgendwann muss man ja schlafen, was dafür sorgt, dass der Konflikt auf natürliche Weise gelöst wird – bis zum nächsten Mal.
Nach so einer Eskalation fragt man sich dann vermutlich erschöpft: "Wieso fühle ich mich eigentlich immer schuldig?"
Die Antwort lautet: "Weil man Ihnen das irgendwann so eingeredet hat."
Das hat meist nichts mit dem jeweiligen Partner oder Kollegen zu tun, sondern gründet in den Zeiten, in denen man nicht in der Lage war, eine Situation zu analysieren. Das ist für gewöhnlich die Kindheit. Zwar möchte man meinen, dass in heutigen Zeiten auf gewisse Radikalmaßnahmen verzichtet wird, doch haben sich vielleicht die Mittel ein wenig geändert, nicht aber die Methoden. Überforderte Eltern versuchen an Kinder zu appellieren, indem sie mit deren Emotionen spielen. "Du willst doch nicht, dass ...", oder "Jetzt ist wieder das und das passiert, weil du ..." Oder aber sie benutzen bewusst Schuldzuweisungen.
Diese Dinge passieren und es nützt nichts, emotionale Übergriffe schönzureden, denn wer unter einem schwach entwickelten Selbstbewusstsein leidet, wird die ihm am nächsten stehenden relativ hilflosen Personen als Ausgleich "bemühen". Das sind meist die Kinder der Familie, und manchmal auch der schwächere Elternteil, der wahrscheinlich als Kind schon diese Dinge verinnerlichen musste.
Wir bemühen jetzt einmal die Haustiere, denn "braver Hund" und "böser Hund" sind wirklich geeignete Beispiele, um diese Mechanismen aufzuzeigen. Der Hund, der keinen Begriff von "gut" oder "böse" hat, lernt mit der Zeit, dass er gelobt wird, wenn er etwas tut, das dem Menschen gefällt, bzw. etwas unterlässt, das unerwünscht ist. Folgt er seiner Natur und klaut ein Würstchen, ist er "böse" und riskiert Bestrafung. Zur Analyse ist er genauso wenig fähig wie zur Verteidigung im Sinne einer Erörterung – also nimmt er die Regeln an.
Kinder können sich ebenfalls nicht auf eine Diskussion einlassen, denn sie haben einfach nicht die Möglichkeiten dazu. Irgendwann reagieren sie auf ihre eigene Weise, sie verweigern sich völlig und verhalten sich in allem konträr – bis sie von diesen Zwängen eingeholt werden und sich ständig mit solchen Szenen wie beschrieben auseinandersetzen müssen. Ein Kind hat nicht das Unterscheidungsvermögen, um klar zu erkennen, was tatsächlich in seiner Verantwortung liegt und was pure Manipulation ist.
Man ist schuldig, wenn man bewusst etwas tut, das genau das bewirkt, was man möchte. Wirft also ein Kind eine Tasse zu Boden, um zu sehen, ob und wie sie zerbricht, oder einfach um seinem Zorn Luft zu machen, kann man von Absicht sprechen. Tut das ein Kleinkind, spielt es keine Rolle – bei einem Teenager sollte man sich Gedanken machen, ob man die vergangenen fünfzehn Jahre vielleicht besser öfter einmal den Fernseher ausgeschaltet hätte, um sich mit seinem Kind richtig bekannt zu machen.
Streift nun ein Kind im Vorbeilaufen eine Vase, die dadurch zu Bruch geht, kann man natürlich nicht von Absicht und erst recht nicht von Schuld sprechen. Zwar tun das manche Eltern trotzdem, doch Kinder haben oft ein feines Gespür für Ungerechtigkeiten und wissen, dass das so nicht stimmen kann. Da das Kind nun in der betreffenden Situation der schwächere Teil ist, wird es die Schuldzuweisung irgendwann als das sehen, was sie wirklich ist: eine Machtdemonstration. Denn nur der Mächtige kann bezichtigen und sich die Verteidigung verbitten.
Jeder weiß, wie schmerzhaft es ist, wenn man einer Sache angeklagt wird, an der man unschuldig ist – es geht letztendlich darum, sich gegen die Übermacht zu wehren, um das eigene Selbstbild nicht noch mehr zu demontieren, als es das so schon ist. Nun kann der Freund, Partner oder Kollege einer der nettesten Menschen sein, die auf diesem Planeten wandeln, die Mechanismen sind davon völlig unabhängig und legen beim kleinsten Anlass einen Autostart hin. Wer sich also ständig verteidigen will oder zwanghaft muss, leidet unter einer tief sitzenden Angst und dadurch an einem nagenden Groll. Es ist natürlich nicht ungewöhnlich, dass so ein Mensch einen manipulierenden Partner hat (und unbewusst vielleicht gesucht!), der genau diese Manipulationstechniken anwendet, die für dieses Zwangsverhalten verantwortlich sind.
Es ist, als wolle man sich bis an das Lebensende rechtfertigen. Und genau das sollte jeder vermeiden, denn Schuld setzt nun eine Absicht voraus, und die ist – seien wir ehrlich – nun recht selten. Was hier wirklich hilft, den Teufelskreis zu durchbrechen, ist unter anderem, den Verstand einzuschalten und das innere Kind zu beruhigen, das sich immer noch verteidigen möchte, wo es das nicht darf.
Natürlich sind wir sehr selten am Missvergnügen des Partners oder Kollegen schuld, denn wir haben in den seltensten Fällen die jeweiligen temporären Umstände geschaffen – wenn doch, wahrscheinlich nicht in böser Absicht – also sollte eine Entschuldigung reichen. Wir sind nicht dazu da, uns selber zu kreuzigen, jedes Mal wenn eine kleine Unwägbarkeit jemanden etwas irritiert. So gesehen wird es endlich Zeit für den Freispruch.
© "Teufelskreis Schuldzuweisungen" – Beitrag und Illustration von Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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