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Eine Stadt. Zwei Schicksale. Drei Tage nach dem Novemberpogrom. Nürnberg, 12. November 1938. Die junge Marie irrt durch die Straßen von Nürnberg. Sie ist auf der Suche nach ihrer besten Freundin, der Jüdin Hanna, die verhaftet wurde. Wird Marie ihre Freundin wiederfinden? Eine Erzählung – frei nach einer wahren Begebenheit.
Die ergreifende Erzählung "Mit gebrochenen Flügeln", die 2018 auch für den "Kindle Storyteller X Award" nominiert und einer der Finalisten war, umfasst als Taschenbüchlein 42 Seiten und wurde im Juni 2018 veröffentlicht; die Novelle der Autorin Lucy Blohm kann auch als E-Book im Online-Buchhandel erworben werden.
Marie verließ die Bahnhofshalle und trat auf den Bahnhofsplatz. Dort hingen sie wieder, die roten Fahnen. An hohen Masten thronten sie über dem Bahnhofsvorplatz und zeigten, wie im gesamten Land, wer hier mit eiskalter Hand herrschte. Zwischen den kahlen Bäumen flatterten die schwarzen Zeichen auf weißem Grund umher, so als würden sie den Menschen die Macht der braunen Herrschaft demonstrieren.
Marie war wie betäubt. Sie hatte es sich so einfach vorgestellt, Hanna hier in Nürnberg zu finden. Doch nun, als sie hier vor dem Bahnhof stand, die Fahnen vor ihr thronten und die schnellen Autos vorbeifuhren, verließen sie Mut und Hoffnung. Wo sollte sie anfangen zu suchen? Marie versuchte sich zu sammeln. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus. Was war ihr Plan gewesen? Wo wollte sie Hanna suchen? Marie schob all ihre Zweifel, ihre Vorwürfe und ihre Angst zur Seite. Sie hatte nur ein Ziel. Und dies war, ihre beste Freundin, nein, ihre ältere Schwester Marie, hier in Nürnberg zu finden.
Sie wusste, sie musste ins Stadtinnere gehen und dort Hannas Onkel finden, der ein Juweliergeschäft führte. Marie hatte sich entschlossen, dorthin zu gehen. Sicher würde sie dort Hanna antreffen. Die Bewohner von P. hatten Marie gegenüber erwähnt, Hanna sei nach Nürnberg gebracht worden. Wo sonst sollte Hanna sein? Sie konnte nicht von der Polizei eingesperrt worden sein. Wofür? Hanna war keine Kriminelle! Es waren nur die dreckigen Lügen der Bewohner von P.
Hanna, ich werde dich finden und dann gehen wir gemeinsam zum Notar. Und du wirst dieses Land verlassen, wirst deine Flügel ausstrecken und wie ein Vogel in die Freiheit fliegen. Es wird alles wieder gut werden, Hanna. Alles wird wieder gut. Nach der Finsternis folgt immer Licht.
Marie gelang es, die stark befahrene Straße vor dem Bahnhof zu überqueren. Autos, an deren Dächern rote Fähnchen angebracht waren, fuhren rasant an Marie vorbei. Erneut das Hakenkreuz. Überall. An Fenstern, an Autos, sogar an der Straßenbahn, die an Marie vorbeizog. Ein heftiger Schauer durchfuhr sie, als sie einem vorbeiziehenden SA-Auto hinterherblickte. Sie riss sich zusammen. Egal, wie groß ihre Angst auch war, sie würde diese Stadt nicht ohne Hanna wieder verlassen.
Marie wusste nicht mehr genau, wo Hannas Onkel lebte. Doch sie konnte sich erinnern, dass sie das große und trutzige Königstor passieren musste. Sie hatte keine Adresse. Sie musste sich auf ihre Erinnerung verlassen. Sie durchkreuzte einige enge Gassen und Straßen. Um sie herum zeigte sich die blanke Verwüstung, mit jedem Schritt, den sie tat. Viele Fenster in den Häusern um sie herum waren eingeschlagen, Türen hingen nur noch in den Angeln. Überall wurde gewütet. In den Wohnungen konnte man zerstörtes Mobiliar erkennen, zerbrochenes Geschirr, zerrissene Gardinen, zertrümmerte Schränke, aufgeschlitzte Kissen und Sofas.
Es war die Nacht der Zerstörung und der Gewalt gewesen. In ganz Bayern. Im gesamten Deutschen Reich. Es war ein Akt der Vergeltung, hatte man im Radio gesagt.
Vergeltung wofür? Vergeltung für Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit? Für Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit? Denn so kannte ich dich, Hanna. Als den liebenswertesten und herzlichsten Menschen in meinem Leben. Es darf nicht wahr sein, Hanna! Lass es nicht zu, dass sie dich in die Knie gezwungen haben! Dich kann man nicht brechen! Die stärkste Frau, die ich je in meinem Leben kannte, zerbricht niemand! ...
Die Erzählung "Mit gebrochenen Flügeln" sowie der humoristische Roman "Anna und der Goethe" (ca. 300 Seiten) können über das Autorinnen-Profil von Lucy Blohm erworben werden. Weitere Leseproben sind dort ebenfalls zu finden.
© Lieben Dank an Lucy Blohm für die Texte aus "Mit gebrochenen Flügeln. Eine Stadt. Zwei Schicksale" und die Abbildung des Buchcovers, 02/2019.
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