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Der Weingott Dionysos hatte mit seinem Gefolge von Griechenland nach Kleinasien übergesetzt und trieb sich mit diesem in Lydien herum. Sie fanden sehr schnell heraus, wo es den besten Wein gab, und sie hatten ein Fest nach dem anderen gefeiert. Der Wein floss in Strömen, und so fiel es auch nicht weiter auf, wenn jemand verloren ging. Das passierte bei solchen Festen immer wieder. Zumeist fanden die Verlorengegangenen schnell wieder zu ihrer "Truppe".
Die lustige, weinselige Gesellschaft war weitergereist – und sie hatte den Freund des Dionysos, den alten Silenos vergessen. Dieser war nach reichlichem Weingenuss einfach in eine Wiese gesunken und eingeschlafen. Bauern fanden den laut schnarchenden Silenos, und es dauerte schon eine Zeit, bis sie ihn wach bekamen. Niemand aus der Dionysos-Gesellschaft vermisste Silenos, und so zogen Dionysos und seine Anhänger singend, tanzend, weintrinkend, lachend, sich mit Blumen bekränzend weiter. Jeder Tag mit Dionysos war ein Festtag.
Die Bauern, die Silenos gefunden hatten, brachten ihn zu ihrem König Midas. Durch geschicktes Fragen wusste Midas sehr schnell, dass er einen Freund des Gottes Dionysos vor sich hatte. Ansonsten war König Midas nicht besonders klug. Silenos ward zehn Tage lang bei Midas aufs Beste bewirtet.
Silenos war auch dem Midas sehr dankbar für die Bewirtung, aber Silenos wollte zurück zu dem Weingott Dionysos. So machte sich Midas mit Silenos auf den Weg und beide suchten den Dionysos – sie hatten den Gott mit seinem Gefolge bald gefunden.
Silenos erzählte Dionysos, wie er zu Midas gekommen war und wie dieser ihn aufs Beste versorgt und bewirtet habe. Beide, Dionysos und Silenos, freuten sich herzlich, wieder beisammen zu sein.
"Da Du meinen Freund Silenos aufs Beste bewirtet und versorgt hast, darfst Du Dir von mir einen Wunsch erbitten. Ich werde ihn erfüllen", sprach Dionysos. Doch Dionysos war nicht sehr glücklich, als er den Wunsch des Midas vernahm.
Midas hatte auch nicht lange überlegt: "Dann wünsche ich mir, dass alles, was ich mit meinem Leib anfasse, zu Gold wird, wenn Du mir, oh Dionysos, einen Wunsch erfüllen willst."
Dionysos bat den Midas, sich doch etwas anderes zu wünschen, aber Midas war von seinem schwachsinnigen Wunsch nicht abzubringen, und Dionysos blieb nichts anderes übrig, als diesen Wunsch zu erfüllen. Auf dem Heimweg probierte Midas schon mal aus, ob ihm sein Wunsch erfüllt sei. Er hob Steine auf, die sich in glänzendes Gold verwandelten. Zweige, die er von den Bäumen brach und Blumen, die er pflückte – alles wurde zu Gold. Getreide, das er anfasste, Obst, das er vom Baum erntete, oder – wenn es auf dem Boden lag – aufhob. Alles, alles wurde zu reinem Gold.
Beschwingt und voller Euphorie eilte er nach Hause. Als er seine Haustür aufmachte, verwandelte diese sich in Gold. Er bestellte bei seinem Koch ein Festmahl und zuvor wollte er sich seine Hände waschen. Als er seine Hände in das Wasser tauchte, verwandelte dieses sich in Gold. Immer noch war Midas sehr zufrieden. Doch dann kam die ganz große Ernüchterung. Die feinen Speisen, die er sich servieren ließ, verwandelten sich in Gold, als er sie in seine Hände nahm und essen wollte. Brot, feine Fleisch- und Fischgerichte wurden zu Gold, sobald er sie anfasste oder sich in den Mund steckte. Der Wein, den er trinken wollte, wurde zu flüssigem Gold. Endlich begriff Midas, dass er sich nichts Gutes gewünscht hatte, und er schlug sich mit der Faust auf die Stirn – dieser Körperteil verwandelte sich in Gold. Er war der reichste Mann und doch war er der ärmste. Da alle Speisen, die er anfasste, zu Gold wurden, konnte er nichts mehr essen und der Hungertod war ihm gewiss.
Weinend und bitterlich flehend wandte er sich, die Hände hoch erhoben, an den Gott Dionysos und bat ihn: "Erbarme Dich, oh Dionysos, nimm dieses Übel von mir. Ich war ja so töricht, mir so etwas zu wünschen."
Der Wunsch nach Gold war ihm zum Fluch geworden. Dionysos erhörte die Bitte des Midas: "Geh zur Quelle des Flusses Paktolos. Dort, wo das Wasser über den Felsen stürzt, wasche Deine Hände, Deine Stirn und Dein Gesicht im Quellfluss des Paktolos. So wird Dir das Gold abgewaschen und der Fluch von Dir genommen."
Eiligst machte sich Midas auf den Weg und fand alles vor, wie Dionysos es ihm gesagt hatte. Er wusch sein Gesicht in dem Wasser und er spürte freudig und erleichtert, dass der Goldfluch von ihm wich. Midas wurde dann bescheiden, und er war nicht mehr habgierig. Prunk und Protz waren ihm zuwider, dafür ging er gerne in Feld, Wald und Wiesen spazieren, dabei den Hirtengott Pan verehrend.
Und dabei handelte er sich eine "Gabe" ein, die er nicht wieder loswerden sollte. Der bocksbeinige Hirtengott Pan forderte den Gott Apoll zu einem Wettstreit. Wer von ihnen könnte die schönste Musik machen. Apoll nahm die Herausforderung an. Der uralte Berggott Tmolos war als Schiedsrichter bestellt. Nymphen, Halbgötter, Menschen, unter ihnen auch der König Midas, hörten dem Spiel des Pan auf der Syrinx, der Hirtenflöte, zu. Als Pan geendet hatte, trat Apoll mit seiner Leier vor. Was für ein Unterschied: Hier der bocksbeinige, missgestaltete Pan, dort der blondlockige, schöne, edle, hoheitsvolle Apoll. Auch in der Musik gab es gravierende Unterschiede. Bis auf König Midas gefiel niemandem diese seltsam-barbarische Musik, die Pan seiner Syrinx entlockte, während Apoll mit seiner Leier wunderbare Musik bot. Der Preis für den Wettbewerb wurde vom Schiedsrichter Tmolos dem Apoll zuerkannt, und Apoll wurde somit Sieger dieses Wettbewerbs. Alle Zuhörer waren damit einverstanden, bis auf König Midas, der in die Runde hineinrief: "Dem Pan gebührt der Preis. Er ist der bessere Musiker."
Midas bemerkte nicht sofort, dass Apoll unsichtbar zu ihm trat und ihm buchstäblich die Ohren lang zog. Doch das war noch nicht alles. Große Ohren zu haben wäre ja noch erträglich gewesen, aber Apoll sorgte dafür, dass an des Königs Midas Ohren graues Zottelfell anwuchs und die Ohren zu Eselsohren wurden. Es ließ sich trotz aller Bemühungen des Midas nicht vermeiden, dass seine nächste Umgebung mitbekam: König Midas hat Eselsohren.
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© Kurzgeschichte "König Midas und der Fluch des Goldes": Autorin Ulla Schmid; Bildnachweis: Goldene Krone, CC0 (Public Domain Lizenz).
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