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Vor seinen Augen verschwammen die Kobras, die kleinen Reptilien und die Mutter aller Schlangen zu einer einzigen, einer Hydra. Und seit diesem ersten Abend war er zu jeder Vorstellung gekommen. Die Dauerkarte für diesen hervorragenden Platz hatte ihn viel gekostet – aber Schröder war es egal. Hier wartete seine finale Mission auf ihn, wenn er SIE erledigt hatte, war seine Aufgabe beendet. Die Schlangenmutter war seine letzte Prüfung, das wusste er. Und Abend für Abend fraß er sie mit den Augen auf, die schlanken Hüften, die sich zum Trommeltakt wiegten, in vollkommener Harmonie mit den Schlangen in den Krügen, und in dem Korb, den sie mit unvorstellbarer Grazie auf dem Kopf trug.
Er verlangte nach ihr, und das war es, was sie wollte ... was sie alle wollten. Ihn HABEN und nicht mehr loslassen, und ihn ersticken ... er wusste es, weil sie ihn ansah und leise nickte, während ihres Tanzes die Hände in seine Richtung streckte. Er würde ihr zeigen, wie er das machte mit den Schlangen, er würde es ihr so zeigen, dass nichts von ihr übrig bleiben würde. Der Gedanke daran bauschte seinen Kopf auf bis zum Platzen, machte ihn zittern ... tat weh. Und die Zeit wurde knapp, denn Madame Sarrona mit der Schlangenkrone gastierte nur dreißig Tage ... und die waren fast vorbei. Er würde ihr folgen, wenn nicht jetzt, dann in einem Monat – er kannte ihre Termine für das ganze Jahr.
Dann geschah etwas, das ihn verstörte, ihn ängstlich machte und gleichzeitig in kalter Wut gegen die Wände schlagen ließ ... sie schickte ihm eine Botschaft. Sie lud ihn ein, zu ihr zu kommen nach der Vorstellung in zwei Tagen – das war ihre letzte in dieser Stadt. Die kleine Schlampe, die in knappem Kostüm und mit einer Schlange um den Hals den Auftritt Sarronas ansagte, hatte Schröder diesen kleinen Umschlag zugesteckt. Gut, auch sie würde bekommen, was ihr zustand – und dann hatte er die ganze Nacht die zierliche Schrift betrachtet und dann den Wisch unter sein Kissen gelegt.
Schröder war auf dem Weg zum Varieté, bewaffnet und wie im Fieber. Er trug in der Manteltasche die Flasche mit der Batteriesäure und den zusammengerollten Draht, freute sich und war krank vor Angst. Das war er immer kurz davor. Er hatte sich Sorgen gemacht über den Lärm, denn er wusste, wo sie abgestiegen war – kannte Stockwerk und Zimmernummer. Aber sie wollte ihn im leeren Theater treffen, in ihrer Garderobe – ALLEIN, wie sie geschrieben hatte. Und dann schlüpfte er durch den tatsächlich offenen Hintereingang hinein, lief durch die dunklen Stuhlreihen bis zum Gang, der zu den Garderoben führte. Selbstverständlich wusste er, wo ihre lag – und mit schweißnasser Hand klopfte er an die Türe, unter der ein grünlicher Lichtstreifen zu sehen war. Ein Laut, den er als Aufforderung sah, klang zu ihm hinaus, und so drückte er die Klinke nieder und trat ein.
Er schreckte etwas zusammen, als sich die kleine Assistentin an ihm vorbeidrückte, verlor den Gedanken aber sofort aus dem Kopf. Denn da stand die Schlangenkönigin, lächelte ihn an und sah ihm in die Augen. Noch immer trug sie den Korb ... wieso erwartete sie ihn mit dem Gewürm da, aber das würde sie bereuen. Schröder spürte, wie seine Muskeln sich spannten, und als er nach der Flasche tastete, um die Schlange zu blenden, sah er, wie sie die Hände zum Kopf hob und den Korb abnahm ... und sah ... – SAH, wie die Nattern sich über ihre Stirn wanden und auf die Schultern fielen, aus ihrem Schädel wucherten und in seine Richtung züngelten. Und er brauchte nicht auf sie zuzugehen, das tat sie für ihn. Die Säureflasche fiel aus seiner schlaffen Hand, als sie ihm zum ersten Mal ein Lächeln schenkte, ... das lüsterne Grinsen der Gorgo, das allerletzte Bild, das er in seinem Leben sah.
© Erzählung "Die Lady mit der Schlangenkrone: Die Botschaft" von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Die Abbildung zeigt Medusa (Aquarell auf Papier, 1895) von Carlos Schwabe (Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei).
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