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Vor vielen Jahrhunderten, als in Griechenland noch die Götter Zeus, Hera oder Athene verehrt und angebetet wurden, lebte in der kleinen Stadt Hypäpä in Lydien ein Mädchen namens Arachne. Ihr Vater hieß Idmon und war Purpurfärber. Die Mutter starb bald. Beide Elternteile entstammten armen Familien, und so war auch Arachne arm und gehörte nicht zur gehobenen Gesellschaft.
Allerdings betrieb Arachne eine Kunst, um derentwillen sie in ganz Lydien und weit darüber hinaus berühmt war und gepriesen wurde: Das war die Weberkunst. Die Menschen rühmten ihre Kunst, ihren Fleiß und ihre Schnelligkeit mit der Spindel. Sie übertraf alle sterblichen Frauen und dazu noch Halbgöttinnen in der Kunst der Weberei. Von weither kamen die Menschen in ihre ärmliche Hütte, um sie zu bestaunen und zu loben. Dazu soll sie von angenehmem Äußeren gewesen sein, aber in ihrem Wesen war sie arrogant, stolz und hochtrabend, Menschen und Götter verspottend, verhöhnend und beleidigend. Wer sie länger kannte, zog sich erschrocken von ihr zurück.
"Arachne, deine Kunst gleicht der Kunst der Göttin Athene", rühmten die Menschen. "Du hast das Weben wohl bei ihr gelernt!" Das taten aber nur die, die sie noch nicht kannten.
"Nein, nicht Athene hat mir das beigebracht. Ich brachte es mir selbst bei. Ich brauche keine Götter und Göttinnen!", fauchte Arachne wütend.
Doch das war noch nicht alles. Arachne lästerte und beleidigte die Göttin Athene, dass die Menschen in ihrer nächsten Umgebung schleunigst Reißaus nahmen, denn den Zorn der Göttin wollten sie sich nicht zuziehen.
"Athene soll nur kommen und sich mit mir messen, wenn sie den Mut dazu hat!", erklärte Arachne stolz und hoch aufgerichtet den Anwesenden. "Ich bin mir sicher, Athene mit meiner Kunst zu übertreffen!" Athene, die griechische Göttin der Weisheit, Lieblingstochter des Zeus, nicht von einer Frau oder Göttin geboren, sondern der Stirn des Zeus entsprungen, bebte vor Zorn.
Eines Tages erschien bei Arachne in deren ärmlichen Behausung, in der noch einige Frauen anwesend waren, eine alte Frau: "Arachne, sei vernünftig und ziehe dir nicht den Zorn der Göttin Athene sowie der anderen Götter zu! Denke daran, dass sie dir in allen Bereichen des Lebens überlegen sind! Du kannst nicht gegen sie aufkommen, und gegen sie gewinnen kannst du erst recht nicht! Deine Kunst des Webens ist über die Grenzen Lydiens hinaus bekannt, und ich weiß auch, dass du sehr kunstfertig bist. Aber lass ab davon, die Göttin herauszufordern und sich mit ihr messen zu wollen. Du bist noch jung und weißt nichts vom Leben und auch nichts von den Göttern. Nimm meinen Rat an!"
Arachne wurde vor Zorn krebsrot und fauchte: "Alte, du bist unerträglich dumm. Das Alter hat dir deinen Sinn verwirrt, und es ist nicht gut, so alt zu werden. Gib deinen Ratschlag jemand anderem, aber nicht mir. Verschwinde und lass mich in Ruhe. Ich bin bereit, mich mit Athene zu messen! Möge sie nur kommen."
"Ich bin schon da!", antwortete die alte Frau, die sich in die Göttin Athene zurückverwandelte. "Nun, messe dich mit mir!" Alle anwesenden Frauen fielen der Göttin zu Füßen und huldigten ihr, aber Arachne wurde nur noch trotziger.
Athene hatte genug umsonst gesprochen und nahm den Kampf, den sie nicht gewollt hatte, auf. Beide begannen zu weben. Athene webte Szenen ihres Lebens in den Teppich. Wie sie den Ölbaum wachsen ließ und den Griechen die Olive brachte. Poseidon, der mittels seines Dreizacks eine Wasserquelle aus dem Felsen sprudeln ließ, die sich dann als Salzwasserquelle entpuppte und so für die Griechen wertlos war. Ihre Unterstützung verschiedener Helden, aber auch die Hilfsdienste für Menschen, die um ihre Hilfe flehten. Auch die anderen elf Hauptgötter der Griechen sowie deren Sitz im Olymp webte sie ein, und die anwesenden Frauen erstarrten vor Ehrfurcht.
Arachne webte zwar auch sehr kunstfertig, aber nur um die griechischen Götter zu verspotten und zu verhöhnen. So sah man Zeus, wie er sich als Stier der Europa näherte, und auch in anderen Tiergestalten sah man ihn sich den Frauen, die ihm gefielen, nähern. Die arme Jo, der er sich näherte und die er in eine Kuh verwandelte, weil seine Gattin Hera auf sein Gebaren aufmerksam geworden war und sein Verhalten missbilligte. Die eifersüchtige Hera kam öfter in dem Teppich vor. Auch als sie dem neugeborenen Herakles die Schlangen schickte, die dieser dann erwürgte. Dann noch die Liebesgöttin Aphrodite mit ihren amourösen Abenteuern, wie sie sich Göttern und Menschen näherte. Den Weingott Dionysos mit seinen Freunden bei Gelagen und weinseligen Festen.
Das Schlimmste aber war, als sie Athene und ihre menschliche Spielgefährtin Pallas beim Spiel darstellte, und wie Athene ihre Freundin Pallas versehentlich mit dem Pfeil erschoss und sich seither Pallas Athene nannte, zum Gedenken an die getötete Freundin. Auch die anderen Götter mit ihren oftmals menschlichen negativen Schwächen wie Neid, Missgunst, Eifersucht, Habgier und Hinterlist webte sie ein.
Die beiden Teppiche waren fertig, und Arachnes Teppich war so gut gelungen, dass er Athene zusagte: "Nun, du bist sehr kunstfertig und dein Teppich ist so gut wie mein Teppich!" Doch noch immer war Arachne nicht bereit, der Göttin Respekt zu zollen.
Athene versuchte es noch ein letztes Mal: "Arachne, spotte nicht meiner. Wie kannst du nur so vermessen sein, dich mit mir messen zu wollen?"
Arachne verzog arrogant-höhnisch das Gesicht: "Ich bin besser als du!"
Athene hatte nun genug. Sie hatte es im Guten versucht und ihre Strafe war grausam: Sie vernichtete Arachnes Kunstwerk. Mit dem Weberschiffchen schlug ihr Athene drei Mal auf den Kopf. Arachne verfiel dem Wahnsinn und wollte sich mit einem Strick erhängen, aber Athene gab ihr zu verstehen, dass sie am Leben bleiben müsse. Dazu schüttete Athene der Arachne ein Zauberkraut ins Gesicht. Da verschwanden die Haare, das Gesicht, die Gliedmaßen der Arachne. Stattdessen schrumpelte sie zusammen, und als hässliche Spinne musste sie seitdem weiterhin ihr Leben fristen, zusammen mit ihren Nachkommen.
© "Die Geschichte des Mädchens Arachne. Eine Sage aus der griechischen Mythologie": Nacherzählt von Autorin Ulla Schmid, 05/2019. Bildnachweis: Das Mädchen Arachne als Spinne, CC0 (Public Domain Lizenz).
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