|
Zwei sehr hübsche junge Frauen zelten in der Wildnis Kanadas, beide sind bestens gelaunt und haben eben noch mit einem der Parkranger gesprochen. Während eine der beiden sich mit einer Rolle Toilettenpapier in die Büsche schlägt, wechselt plötzlich die Kameraeinstellung auf subversiv. Irgendetwas, das einen leicht schwankenden Gang hat, beobachtet die Beute.
Was der Zuschauer die ganze Zeit befürchtet, mehr aber erhofft hat, geschieht. Ein riesiger Grizzlybär tötet die beiden Touristinnen, und weil das Lust auf mehr macht, noch viele andere Menschen. Das tut er solange, bis ihn endlich zwei tapfere Männer zur Strecke bringen. Diesen Plot gibt es in unzähligen Varianten, es geht um Wölfe, Bären, Riesenschlangen, Krokodile, Löwen und sogar um Paviane. Eigentlich kann es alle Vertreter der Fauna treffen.
Die besagten Tiere drehen aus irgendeinem Grund durch und verlegen sich auf das serienmäßige Abschlachten von Vertretern der Gattung Mensch. In mehr oder weniger spannenden Bildern wird eine sich in den meisten Punkten gleichende Geschichte erzählt – etwas Unberechenbares aus der Wildnis wird zu einer Gefahr. Fast jedes Drehbuch sieht auch den fiesen Geschäftemacher oder Lokalpolitiker vor, der es trotz der Todesopfer rundweg ablehnt, das betreffende Gebiet oder Riff, den Park oder einen Teil der Region zu schließen, weil er finanzielle Einbußen oder aber schlechte Publicity befürchtet.
Die Helden der jeweiligen Story können am Schluss meist einen kleinen Glorienschein um ihren mahnend erhobenen Zeigefinger feststellen, weil sie Recht hatten. Manchmal muss sich der macht- oder geldhungrige Fiesling aber gar nicht mehr zerknirscht geben, weil er nämlich selbst der oder den Bestien zum Opfer fällt. So etwas lieben wir, weil es so eine Art Basisgerechtigkeit darstellt. Wer nicht verhindert, dass mit dem Hai Menschen umkommen, den trifft es selber am Ende.
Warum die Tiere plötzlich durchdrehen, wird entweder nicht erklärt, oder die Schuld dafür den Menschen zugewiesen. Die Drehbücher zeichnen sich da nicht durch sehr großen Einfallsreichtum aus, denn meist sind obskure Experimente von fehlgeleiteten Wissenschaftlern oder Militärs, in manchen Filmen auch handgemachte Umweltveränderungen der Auslöser. Aber trotz aller Voraussehbarkeiten haben diese Filme sehr viele Fans, wahrscheinlich mehr als andere Vertreter des Horrorgenres. Die Psychologie erklärt das mit dem verdrängten Anteil in uns, der für das animalisch-triebhafte steht.
In den vergangenen Jahrhunderten seit der Christianisierung war dieser Part der menschlichen Natur zunehmend mit dem Bösen belegt. Es geht, wie Sie vermutlich argwöhnen, bei der inneren "Bestie" um die Sexualität oder auch die Aggression – was nach Meinung vieler eigentlich als Triebkraft gleich ist. Das ungebändigte Wilde in uns, das gibt es tatsächlich, wenn man sich das auch nicht als "Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Geschichte" vorstellen kann. Es kommt dabei wohl auf den Standpunkt und vor allem auf den Zeitgeist an, denn wenn im Mittelalter zur hohen Zeit der Kirchenfürsten jede Geschlechtlichkeit als Teufelshingabe galt, so ist es in anderen Zeiten vielleicht allzu große Emotionalität gewesen.
Das Tier, die außer Kontrolle geratene Bestie, steht einfach für alle, die Anteile in uns, die in der jeweiligen Zivilisation in der wir leben, als verwerflich gelten. Aber genau das erklärt auch, wieso wir eigentlich immer ein wenig auf der Seite der Bestie stehen und ihren unausweichlichen Tod auf irgendeine Weise bedauern. In Filmen wie "King Kong" zum Beispiel gibt es kaum jemanden, der nicht am Schluss beim Tod des Riesenaffen eine Träne zerdrückt – vor allem bei den neueren Verfilmungen. Eigentlich ist das Ganze eine Art "was wäre wenn Spiel" – eines, das uns erlaubt, für kurze Zeit das Tier von der Kette zu lassen. Sehen wir es als Geschichte, ist es nicht wirklich gefährlich, und schließlich wird es am Schluss ja wieder unschädlich gemacht, das Unkontrollierbare und Wilde.
Die mutierte Riesenechse oder Krake, die eine Spur der Verwüstung hinter sich lässt, randaliert stellvertretend für uns auf einem tollen Abenteuerspielplatz. Das heißt natürlich nicht, dass wir unbewusst Badegäste fressen oder sonst etwas Schlimmes tun wollen – es geht einfach um das kurze Auftauchen und Luft holen unserer verdrängten Wildheit. Das ist auch der Grund, wieso der an und für sich recht unspektakuläre Streifen "Easy Rider" so einen durchschlagenden Erfolg hatte in den 1970er-Jahren. Es ging im Prinzip um etwas Ähnliches, nur war die unkontrollierbare Bestie durch eine solche aus Metall ersetzt. Eine starke röhrende Maschine, die einen in die Freiheit trug und die man unter Kontrolle hatte ... aber gerade durch die Lenkbarkeit war es gewissermaßen eine verniedlichte Form der eigentlichen Geschichte. Aber trotzdem ist der Film heute immer noch Kult. Vor dem historischen Hintergrund gesehen war "Easy Rider" allerdings ein Aufruf zur Revolution gegen alle bürgerlichen Werte. Das ist der Tierhorror nicht – er erlaubt dafür so etwas wie ein kurzes Gassi.
© "Animalisch – Das Böse und Triebhafte in uns": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Grizzly, CC0 (Public Domain Lizenz).
Archive:
Jahrgänge:
2022 |
2021 |
2020 |
2019 |
2018 |
2017 |
2016 |
2015 |
2014 |
2013 |
2012 |
2011 |
2010 |
2009
Themen:
Rezensionen |
einhorn bedeutung |
Autoren gesucht |
Ratgeber |
Sagen & Legenden |
Fantasy Mythologie |
IT & Technik |
Krimi Thriller |
Fachartikel & Essays |
Jugend- & Kinderbücher |
Bedeutung der Tarotkarten |
Bedeutung der Krafttiere
Noch mehr Bücher lesen (Werbung):
Fantasy & Science Fiction
| Krimis & Thriller
| Ratgeber
| Reise & Abenteuer
Sie schreiben anspruchsvolle Romane und Erzählungen? Wir suchen neue Autorinnen und Autoren. Melden Sie sich!
Wenn Sie die Informationen auf diesen Seiten interessant fanden, freuen wir uns über einen Förderbeitrag. Empfehlen Sie uns auch gerne in Ihren Netzwerken. Herzlichen Dank!
Sitemap Impressum Datenschutz RSS Feed