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An diesem Morgen erhob sich die reiche Senatorengattin Antonia Larcius auch aus ihrem Bett, während ihr Mann Julius noch schlief. Sie führten eine glückliche Ehe, zumindest nach außen hin. Ihre jeweiligen Eltern hatten die Ehe eingefädelt, die beiden waren nicht gefragt worden. Solche Ehen bestanden in der Regel nicht lange oder die Eheleute akzeptierten zwar einander, aber sie nahmen sich Geliebte, was zumeist mit Trotz begründet werden konnte.
Hin und wieder kam es aber schon vor, dass sich die Eheleute mit der Zeit wirklich liebten. Bei Antonia und Julius war sicher Zuneigung zueinander da und daraus war irgendwann einmal auch Liebe geworden, was aber beide nicht daran hinderte, auf anderen Wiesen auch noch zu grasen. In diesen Kreisen war das normal. Antonia war nicht nur schön, sondern auch klug und humorvoll, allerdings war ihr Geiz gepaart mit Misstrauen schon sprichwörtlich, was zuweilen die Ehe belastete. Mit ihrer raschen Auffassungsgabe begriff sie sehr schnell, wenn ihre Mitmenschen undurchsichtige, krumme Dinge drehten.
Ihre Sklaven und ihr Gesinde waren schon lange auf, denn diese konnten nicht erst aufstehen, wenn ihre Herrschaft antrabte. Zunächst einmal war ihre Lieblingssklavin Gisberta, eine hübsche, blonde Germanin, damit beschäftigt, ihrer Herrin das Haar zu bürsten. Antonia konnte während dieses Haarebürstens ihre Gedanken laufen lassen, und sie genoss dieses allmorgendliche Ritual. Abends, bevor Antonia zu Bett ging, wiederholte es sich.
Gisberta war schon als Jugendliche zu ihr gekommen, und sie hatte es bald geschafft, bei Antonia eine bevorzugte Stellung einzunehmen. So war das Los Gisbertas als Sklavin gar nicht so schlecht, und sie dachte sehr selten an ihre Heimat Germanien. Den meisten Sklaven Roms ging es sicher nicht so gut wie ihr.
Julius war inzwischen aufgewacht, und er drehte sich zufrieden in seinem Bett um. Er ahnte sehr wohl, dass Antonia schon mitbekommen hatte, dass er sich eine jüngere, attraktive Geliebte, Claudia Noricus, zugelegt hatte. Sie bekam alles mit und wusste durchaus Bescheid. In Rom wurde es auch schon durchgekaut. Wenn die Senatssitzungen schon lange beendet waren und er immer noch nicht zu Hause war, wusste sie, wo er sich aufhielt. Einmal wollte sie ihn abholen, aber nicht weil sie ihn kontrollieren wollte, sondern einfach weil sie ihm eine Freude machen wollte. Doch Claudia war auch schon da. Die beiden taten sehr vertraut miteinander. Wie sie einander ansahen, sah nicht gerade nach harmloser Kameradschaft aus. Antonia hatte es schon länger geahnt.
Sie konnte sich gerade noch in einen Hauseingang drücken, bevor sie von den beiden entdeckt werden konnte. Obwohl die beiden durchaus wissen sollten, dass sie Bescheid wusste, wollte sie ihr Wissen noch für sich behalten und in Ruhe überlegen, was sie tun wollte. Eines war ihr klar: Diese Claudia musste verschwinden. Nicht, dass sie sie umbringen wollte, sie musste nur einfach aus der Sichtweite ihres Mannes. Mit einem Mord, so wusste sie, würde sie ihren Julius erst recht von ihr forttreiben. Doch zunächst einmal nahm sie sich öffentlich auch einen Geliebten, Flavius Nerva, in der Hoffnung, damit Julius zur Einsicht zu bringen. Doch dieser reagierte gar nicht so, wie sie es erwartet hatte.
Drei Kinder hatte sie mit Julius; zwei Töchter und einen Sohn. Das erstgeborene Kind war die nach ihrer Mutter genannte Tochter Antonia. Gleich darauf bekam sie den Sohn Julius und die jüngste, Flavia, war ein Nachzügler. Nur gut, dass die beiden Mädchen schon verheiratet und aus dem Haus und Julius bei der Armee waren. So konnten die Eltern ihrer Wege gehen. Niemand wusste, ob die Kinder um die Umtriebe des Vaters, aber auch der Mutter, wussten.
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Um die gleiche Zeit stand auch Claudia auf. Sie hatte es als eine der wenigen aus der römischen Unterschicht geschafft, sich einen reichen, einflussreichen Mann zu angeln, auch wenn sie wusste, dass dieser verheiratet war. Ihre Eltern waren nicht begeistert über diese Beziehung, aber Claudia wurde ungehalten, wenn sie ihr Vorhaltungen über ihre Beziehung zu Julius machten. Wenn ihre Eltern doch nur wüssten, wie sehr sie dieses Leben hasste und sie dieses einfach hinter sich lassen wollte, wie so viele andere Römer und Römerinnen auch. Ihre Eltern und ihr Bruder Valerius schufteten auf dem kleinen Bauernhof und waren zwar nicht arm, aber auch nicht reich; sie hatten es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Die Eltern und Valerius waren zufrieden mit ihrem Leben.
Claudia musste schon als kleines Kind mithelfen, und bald wusste sie, dass diese Plackerei ihr zum Hals heraushing. Sie wollte ein besseres Leben führen – Stall, Mist, Kühe und Schweine sowie Feldarbeit waren einfach nicht ihr Leben. Manches Mal dachte sie, dass sie diesen Stallgestank nie mehr loswerden würde, auch wenn sie noch so oft die kastanienbraunen Haare und sich selbst wusch. Ihr Bruder Valerius hatte es bedeutend besser als sie. Er würde mal den kleinen Bauernhof der Eltern erben und Claudia würde als Magd bei ihm bleiben oder mit einem ebenso armen Bauernsohn verheiratet werden. Beides schien Claudia nicht sehr erstrebenswert, aber erst, als sie Julius Larcius kennengelernt hatte, konnte sie daran denken, ihr Leben für sie zum Positiven zu verändern.
Sie wusste, dass die Eltern und Valerius schon lange auf waren. Sie suchte sich absichtlich einen Zeitpunkt zum Aufstehen aus, an dem sie wusste, dass sie ihre Eltern und Valerius nicht antreffen würde. Sie setzte sich in die Küche und suchte sich etwas zu essen für ihre Morgenmahlzeit zusammen. Sicher hatte sie immer genug zu essen gehabt, aber lange ahnte niemand, wie sehr sie dieses Leben und dieses Bauernhaus hasste. Sie gedachte nicht mehr der Liebe, die ihre Eltern und ihr Bruder zu ihr hegten. Zu Julius fühlte sie sich zwar hingezogen, und sie mochte ihn auch, aber nur weil er ihr ein klein wenig Luxus wie schöne Kleider bot. Von Bädern mit wunderbar riechenden Badezusätzen, anschließenden Massagen, sonstiger Körperpflege, Cremes, Schminke und Parfüms wusste sie erst, seit sie Julius kannte. Dieser besorgte ihr die von ihr so begehrten Dinge.
Die Eltern wussten sehr genau, wenn sie wieder bei ihm war, denn jedes Mal hatte sie etwas Neues dabei. In sein Haus konnte sie natürlich nicht kommen, genauso wenig konnte er zu ihr kommen. Claudia befand, für Julius müsste es schon eine Zumutung sein, in ihr Elternhaus zu kommen. So sehr schämte sie sich ihrer Herkunft. Sie wusste gar nicht, wie weh sie ihren Eltern und ihrem Bruder damit tat. So traf sie sich mit Julius nur für kurze Zeit in verschiedenen Gasthäusern Roms und es machte bald die Runde. Julius brachte sie dann zwar nach Hause, aber ihr Elternhaus betrat er nicht. So wusste Julius über die Herkunft Claudias Bescheid. Sie mochte ihn durchaus, aber die große Liebe war er für sie nicht. Auch wusste sie sehr genau, dass sie mit ihm keine gemeinsame Zukunft haben sollte, obwohl sie sich genau das wünschte. Herrin sein, sich von Sklaven, Mägden und Knechten bedienen lassen, das war es, was sie sich wünschte. Der Preis, den sie dafür zahlte, war hoch, zu hoch. Aber wie viele verleugneten sich selbst und ihre Herkunft auf dem Weg nach oben?
"Wenn ich nur ein Kind von ihm bekommen könnte", dachte sie. "Dann müsste er sich von Antonia scheiden lassen. Er könnte sie gut abfinden und mich heiraten."
Mürrisch aß sie das einfache Essen, das sie zwar satt machte, aber Essen war in ihrem Elternhaus zur Sättigung und nicht für Genuss vorgesehen. Wenn sie dagegen an ihre Zusammenkünfte mit Julius dachte und was er ihr zu essen bot, wurde sie immer bitter und zynisch. Solche Speisen kannten ihre Eltern und ihr Bruder nicht. Erlesene Speisen und Weine bot er ihr, und sie genoss es, mit ihm zusammen zu sein. Bei diesen Zusammenkünften war sie manches Mal sogar der Meinung, ihn zu lieben. Immerhin war er, obwohl doch sehr viel älter als sie, sehr attraktiv, und so manche Frau beneidete sie um ihn. Ihre Gedanken kreisten nur noch darum, ihrem Elternhaus zu entfliehen, um mit ihm zusammen sein zu können.
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Doch zunächst einmal sollte alles ganz anders kommen. Es hatte den Anschein von Harmlosigkeit, als Stefanos, seine Arztkollegen und Aglaia zu Kranken mit Magenverstimmungen gerufen wurden. Die Kranken klagten über Übelkeit, Magenkrämpfe, Brechen und Durchfall. Dann waren mehrere Menschen, die nicht sehr widerstandsfähig und robust waren oder auch nur zu lange gewartet hatten, bis sie den Arzt geholt hatten, der Krankheit erlegen. Aus den Einzelfällen wurde bald eine Epidemie, da die Krankheit ansteckend war. Mangelnde Hygiene war der Grund für den Ausbruch der Krankheit. In den ärmeren Vierteln Roms warfen die Bewohner ihren Abfall einfach aus dem Fenster und ziemlich oft gelangte der Inhalt des Nachttopfes in den Tiber, aus dem wiederum das Trinkwasser gewonnen wurde.
Die Epidemie machte auch bei den reichen Bürgern Roms nicht halt und Stefanos und Aglaia wurden zu Antonia und Julius Larcius gerufen. Antonia lebte noch, aber sie konnten sie nicht mehr retten. Dieser sterbende Mensch glich in nichts mehr der schönen Senatorengattin.
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© Textbeitrag "Das Leben und Sterben der Antonia Larcius": Autorin Ulla Schmid.
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