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Der Termin ist um 11 Uhr und alle Geladenen sind bereits anwesend. Sieben Frauen und ein junger Mann sitzen in einem Konferenzraum eines Telekommunikations-Unternehmens und warten auf die Personalchefin. Das heißt heute zwar "Human Resources Manager", aber es kommt wohl auf das Gleiche raus.
Diese Personalleiterin wird den Bewerbern also über die Firma erzählen. Es ist noch etwas Zeit – die Dame ist ziemlich beschäftigt, und die Leute fangen an, Informationen auszutauschen. Die meisten Frauen sind über die fünfzig, sie wurden im Rahmen eines bestimmten Programms hergeschickt ... eines, das sich ausschließlich mit den Arbeitssuchenden beschäftigt, die das halbe Jahrhundert voll haben.
Eine der Frauen ist 63 Jahre alt, sie hat lange Zeit in einem großen Markt gearbeitet – in einer recht verantwortlichen Position im Kassenbereich. Sie wurde rausgemobbt und sollte sich eigentlich mit der Rente befassen – aber das geht nicht, man schickt sie von Firma zu Firma. Jedenfalls tut man das, wenn es Angebote gibt – ansonsten reicht man sie von Programm zu Programm weiter. Die anderen Älteren nicken zustimmend und erzählen, was sie im Rahmen dieses Programms schon gemacht haben. Bewerbungsschulungen haben alle durchlaufen, manche sogar mehr als einmal.
Computerkurse werden nicht angeboten – wieso, versteht keiner ... denn ohne Computerkenntnisse kann man im Bereich der Telekommunikation nicht arbeiten. Gesundheitliche Probleme haben die meisten der anwesenden Frauen, das Alter bringt das so mit sich. Eine junge Frau, eine alleinerziehende Mutter, die einen sehr selbstbewussten Eindruck macht, hat eine Arbeit – aber sie will wechseln, weil ihre Firma für angewandtes Mobbing auf allen Ebenen bekannt ist und sie ihre Kinder nicht mit den ständig überstrapazierten Nerven belasten will. Die agile junge Frau unterstreicht, ohne es zu wollen, die Schwierigkeiten, mit denen die "Fünfziger" zu kämpfen haben werden.
Für die meisten von ihnen ist es absolutes Neuland, das sie betreten werden, wenn ihre Bewerbung hier Erfolg haben wird. Da man ihnen die geeigneten Maßnahmen aus unerfindlichen Gründen verweigert, nehmen sie an den durchaus nicht freiwilligen anderen Beschäftigungstherapien teil. Es werden Gruppen zusammengefasst, die Wanderungen machen. Die Frage stellt sich, wieso um alles in der Welt man Leute, die teilweise schon Beeinträchtigungen am Bewegungsapparat haben (vor allem diejenigen, die lange Jahre gearbeitet haben und für die "Doppelbelastung" kein leeres Wort ist), durch den Wald treibt. Wandern in der freien Natur sollte der Stressbewältigung oder einfach der Erholung dienen – von der Arge verordnet kehrt sich das wohl in das Gegenteil um.
Man könnte mit hochgezogenen Brauen vermerken, dass die Arge versucht, aus den Frauen taffe Geschäftskanonen zu machen, wahre Terminatoren auf dem Arbeitsmarkt, die sich durchsetzen und auf dem neuesten Stand des digitalen Know-hows sind – aber genau das tut sie nicht. Es geht um Beschäftigungen und völlig sinnlose Aktivitäten, die keinerlei Bezug zur realen Situation haben und wahrscheinlich nur der Verschleierung der Arbeitslosenzahlen dienen. Wer in einer der Maßnahmen irgendetwas tut – und wenn es nur das Herumsitzen und Zuhören bei einem Vortrag eines gelangweilten Projektleiters ist – der erscheint nicht in den Statistiken und wird nicht als Arbeitsloser geführt.
Geht man davon aus, dass die Betroffenen sehr wohl selber in der Lage sind, sich zu einem Wandertag zu treffen, fragt man sich, wie viele Arten des Verschwendens öffentlicher Gelder noch "praktiziert" werden sollen. Viele der älteren Damen haben sich übrigens selber um Computerkurse an den jeweiligen Volkshochschulen bemüht. Die Kosten werden allerdings nicht erstattet, weil sie außerhalb der Maßnahmen stattfinden und auf Eigeninitiative gründen.
Der Anspruch, man wolle die Frauen für einen Einstieg oder Wiedereinstieg in das Berufsleben konditionieren, wird von einer der Anwesenden so zusammengefasst: "Wir werden eben ständig kontrolliert ... wir sind schwer erziehbar."
Dies ist nur ein kleiner Abriss aus dem schönen Bundesland "Hartz". Alle Personen sind nicht fiktiv – die Fälle auch nicht.
© "Wir sind schwer erziehbar": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Brief Lebenslauf, CC0 (Public Domain Lizenz).
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