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"Hab ich nicht gelesen, aber den Film kenne ich." Den Satz hört man oft, wenn die Rede auf eine mehr oder weniger bekannte Geschichte kommt. "Nun ja", könnte man denken, "auch gut". Aber da fängt es eigentlich schon an, kompliziert zu werden. Unterhalten sich ein Mensch, der ausschließlich Kinogänger ist, und jemand, der grundsätzlich erst einmal das betreffende Buch liest, kann es vorkommen, dass beide glauben, sie sprechen nicht vom selben Plot. Zwar ist es durchaus nachvollziehbar, dass ein Film nicht völlig der gedruckten Vorlage folgen kann – nicht einmal bei den heutigen tricktechnischen Möglichkeiten – aber die Geschichte sollte doch eigentlich noch zu erkennen sein.
Viele Leute ärgern sich fürchterlich, nachdem sie sich die Verfilmung eines ihrer Lieblingsbücher angesehen haben. Manches Mal kommt zwar etwas durchaus Sehenswertes dabei heraus, aber eben nicht die Geschichte, wie sie geschrieben ist. Es kann sogar sein, dass man sich fragt, ob man sich im falschen Kinosaal befindet. Beispiele gibt es viele, man denke zum Beispiel an die Zeichentrickversion des Dschungelbuches. Das ist ein unglaublich charmanter Film, einer der wirklich Spaß macht und den man sich immer wieder ansehen kann – aber er ist weit von der Vorlage entfernt.
Die ersten Verfilmungen von Kiplings herrlichem Buch waren da schon näher dran. Die jüngste Verfilmung dieses Stoffes war hervorragend gemacht und die Darsteller wirklich passend, allerdings hätte Rudyard Kipling verwundert den Kopf geschüttelt. Was man da aus der kaum aus dem Erzählstrom herausragenden Liebesgeschichte zwischen Mogli und dem Dorfmädchen gemacht hatte, war eine opulente Romanze, hinter der die tierischen Hauptpersonen doch sehr ins Hintertreffen gerieten. Dafür war der Film sehr humorig und sehr unterhaltsam, wenn auch Baghira und Balu nur Komparsenrollen hatten, ebenso wie Shir Khan und Kaa.
Vor vielen Jahren gab es eine Zelluloidversion von "Ein Kampf um Rom", dem historischen Wälzer Felix Dahns. Das Buch selber erzählt das Ende der gotischen Herrschaft in Italien unter König Theoderich. Dahn hat die schriftstellerische Freiheit sehr ausgeschöpft, obwohl sich seine Figuren an tatsächliche Personen der Geschichte anlehnen. Erfunden hat er das "Fußvolk", das in jedem Roman vorkommt, und seine brillant gezeichnete Hauptperson. Der Film nun geriet zur Enttäuschung, denn er war nichts anderes als ein "Haudrauf-Epos", das mit einer so im Original nicht vorkommenden Lovestory aufgepeppt war, indem man bei einer Hauptperson das Geschlecht wechselte. Im Buch gibt es allerdings eine schöne Liebesgeschichte, welche aber völlig unter den cineastischen Schneidetisch fiel. An die Vorlage hielt der Film sich nur dann in etwa, wenn es um publikumswirksame Morde, Selbstmorde und Intrigen ging – denn davon gibt es bei Dahn eine sehr große Auswahl.
In neuerer Zeit gibt es viele TV-Versionen literarischer Vorlagen, eine der allerärgerlichsten ist der Zweiteiler "Die Nebel von Avalon", nach dem gleichnamigen berühmten Buch von Marion Zimmer Bradley. Die Geschichte um die Geschehnisse an König Artus Hof aus der Sicht einer Frau, nämlich der Schwester des Königs, ist eine durchweg lesenswerte Variation dieses uralten Themas. Die Schriftstellerin stellt durch ihre Heldin so manches infrage und webt den Mythos der Tafelrunde in gewisser Weise neu. Obwohl die Magie einen hohen Stellenwert hat, wird die Sage mehr in die Realität gerückt, als alle Adaptionen vorher das taten.
Nun war die Verfilmung mit Spannung erwartet worden, und enttäuschte die Leser sehr. Dem Film konnte nur der etwas abgewinnen, der die Geschichte nicht gelesen hatte. Dem nämlich wurde ein Fantasy-Spektakel geboten mit allem was dazugehört – inklusive Schwertkämpfen und Zauberei, Zickenkrieg und Zweikämpfen. Die Handlung selbst schlug immer mehr eine völlig andere Richtung ein und war praktisch eine eigenständige Geschichte, in der es Namensgleichheiten gab und in der dieselben Orte vorkamen. Schade eigentlich, denn das hätte anders aussehen können. Das hatte nämlich vor nicht allzu langer Zeit Peter Jackson bewiesen, der die Ringtrilogie von J. R. R. Tolkien verfilmte. Zwar griff der Regisseur öfter zu dramaturgischen Änderungen, aber trotzdem war es stimmig – er schuf einen der seltenen Filme, die nicht enttäuschen, auch wenn man das Buch zwölfmal gelesen hat.
Der Stoff Marion Zimmer Bradleys wäre eine ebensolche Herausforderung gewesen, es hätten gut und gerne drei spannende Teile sein können. Leider wurde das Thema völlig verschenkt. Das ist sehr schade, wenn man bedenkt, dass dieses Buch wohl ebenso berühmt ist wie "Der Herr der Ringe". Vielleicht erbarmt sich irgendwann jemand des Stoffes und rückt so einiges gerade.
Positiv ist in letzter Zeit eine TV-Produktion aufgefallen, die das Buch "Die Säulen der Erde" von Ken Follet in Szene setzte. Auch hier fehlt einiges, doch die Atmosphäre ist authentisch und wie bei Jackson passt es einfach. Wer sich durch Follets hochinteressanten und spannenden Wälzer gearbeitet hat, wird nicht enttäuscht sein. Tatsache ist, dass es meist diejenigen sind, die das Buch lasen und sich dann den Film anschauten. Umgekehrt funktioniert es leider nicht ganz so gut, warum auch immer. Dabei warten auf denjenigen, der sich an die Vorlage wagt, in der Regel viele angenehme Überraschungen.
© Textbeitrag "Balu und König Totila": Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Kinostreifen, CC0 (Public Domain Lizenz).
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