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Alle klopfen ihm auf die Schulter, denn er hat einen Termin für einen Probearbeitstag. Helmuth freut sich, aber Angst hat er natürlich auch. Er möchte schon gut dastehen, denn er war lange arbeitslos. Die Maßnahme, in die er eingegliedert ist für drei Monate, hat vor allem ein Ziel: ihn wieder in das Arbeitsleben zu integrieren. Helmuth ist über fünfzig, wie alle Teilnehmer hier. Das macht es natürlich nicht einfacher, aber er bemüht sich.
Der Computer ist nicht so sehr "sein Ding", aber er hat schon einiges gelernt und tippt gewissenhaft seinen Lebenslauf und viele Bewerbungen. Leider ist Helmuth nicht mobil, das macht es noch ein wenig schwerer für ihn, und gesund ist er auch nicht gerade. Aber jetzt hat eine Firma einem Probetag zugestimmt, und der beginnt am nächsten Morgen. Es handelt sich um ein Chemiewerk, der größte Arbeitgeber in der Stadt, in der Helmuth lebt, und auch im gesamten Umland – in diesen Zeiten fast mit einer Monopolstellung. Helmuth ist groß, weit über einsachtzig und sieht sehr kräftig aus – wahrscheinlich haben ihn die Leute von der Firma deshalb ausgewählt, dieser Statur wegen. Die anderen Männer in der Maßnahme wurden nicht in Betracht gezogen, keiner sieht so stark aus wie Helmuth.
Es geht um die Arbeit am Schredder, heißt es. Diesen einen Probetag soll Helmuth elf Stunden lang arbeiten – natürlich mit den vorgeschriebenen Pausen, das versteht sich. Das Werk ist am Rand der Stadt gelegen und man muss schon einige Zeit laufen, um es zu erreichen. Allerdings ist die Busverbindung gut. Trotzdem wird das ein langer Tag für Helmuth werden, denn er wird über zwölf Stunden von zu Hause weg sein. Das ist normalerweise kein allzu großes Problem, denn das ist mit Sicherheit zumutbar. Das sagt das Gesetz, und danach muss man sich richten. Helmuth wird es ein wenig mulmig zumute, denn er hat Angst, dass er das "nicht bringt". Er spricht es nicht aus, aber alle merken es ihm an.
Schon am nächsten Morgen, in der Pause, ist Helmuth wieder da. Man hat ihn wieder hierher geschickt, er hat es einfach nicht geschafft: "Du stehst neben einem riesigen Behälter, in den muss Granulat eingefüllt werden. Das muss man mit der Schaufel machen, und zwar zügig. Eigentlich sind dafür zwei Männer vorgesehen, aber ich hab das alleine gemacht. In schnellem Tempo immer wieder die gefüllte Schaufel über Kopf in den Behälter leeren, ohne Pause. Das Ding muss laufen, da darf es keinen Leerlauf geben. Elf Stunden lang ... ich hab kaum eine durchgehalten und der Vorarbeiter hat's mir angesehen. Er hat gesagt: Sie schaffen es nicht, das hat keinen Zweck."
Helmuth weiß nicht so recht, ob er erleichtert oder enttäuscht ist – er ist froh, dass er dort raus ist. Er hat Atemnot, schon lange hat er die. Und deshalb hat er auch kaum Hoffnung gehabt, dass er das durchziehen kann. Aber durchgehalten hätte er schon gerne, wenn die Chancen auch gleich null waren für ihn. Da hat er sich nichts vorgemacht, aber ablehnen konnte er nicht, das wäre übel vermerkt worden. Außerdem ... es hätte ja klappen können. Man klopft ihm wieder auf die Schulter, diesmal ist es als Trost gemeint. So was kann jeden hier treffen, denn es ist nun mal so, dass der Verschleiß so ab einem halben Jahrhundert langsam einsetzt. Viele hier haben eine Berufsausbildung und bewerben sich nur noch für Hilfsjobs, etwas anderes werden sie nicht mehr bekommen. Überqualifiziert nennt man das.
Jeder Betrieb stellt so wenig Leute ein, wie er nur kann – das bedeutet, dass einer für zwei oder sogar drei arbeitet. Harte Jobs in Wäschereien oder Lagerhallen sind etwas, das auch die Jüngeren nicht einfach so wegstecken. Es gab einen hier, der hatte ein neues Hüftgelenk und konnte kaum laufen. War nahe an die Sechzig – der bewarb sich für alles und für jedes. Ging klar ohne Arbeit wieder heim, aber das hatte er gewusst. Aber weigern hätte er sich nicht gekonnt. Das wäre, wie man weiß, übel vermerkt worden.
Dieser Fall ist nicht fiktiv und nur ein kleiner Abriss aus dem schönen "Hartz".
© "Helmuth bekommt eine Chance": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Forstwirtschaft Schredder, CC0 (Public Domain Lizenz).
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