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Von Chardin habe ich gelernt, dass die Liebe zum Detail und ein harmonischer Farbauftrag für das Gesamtwerk sehr wichtig sind. Dass der persönliche eigene Stil sich nicht an den Werken anderer misst. Gleichwohl sollte das eigene Selbstvertrauen in die künstlerische Überzeugung einfließen. Chardin verbindet mit seiner Kunst all diese wunderbaren Eigenschaften und noch viel mehr. Wie bei keinem anderen Maler empfinde ich beim Betrachten seiner Bilder eine wahre Anziehungskraft. Ich fange an, mir Fragen zu stellen, oder die Fragen beantworten sich beim Ansehen der Bilder.
Chardin gibt mir Einblick in seine häusliche Umgebung, lässt mich Personen anschauen, die er wohl gekannt haben muss. Auch persönliche Gegenstände, die zu seinem Inventar gehört haben, zeigt er uns. Er lässt mich durch seine Kunst auf zauberhafte und gefühlvolle Weise an seinem Leben Teil haben. Die Fähigkeit, wie er Gegenstände darstellt, so naturgetreu und wahrheitsgemäß, ist für mich eindrucksvoll und faszinierend. Eine Birne, die beim Betrachten zum Essen verführt, ein Porzellankanne, die man unweigerlich berühren möchte.
Jean Siméon Chardin verbindet die höfische Malerei des Rokoko mit der realen Wirklichkeit des Bürgertums. Er blieb ohne akademische Ausbildung und es gelang ihm, eine beeindruckende Perfektion zu erreichen. Jean Siméon konnte feinsinnig über Kunst sprechen, seine eigene künstlerische Überzeugung blieb jedoch jedem verschlossen, weil er niemals darüber sprach.
Die Faszination, die von Jean Siméon Chardin ausgeht, zeigt sich auch auf eindrucksvolle Weise in seinen Selbstbildnissen. Chardin hat nie versucht, mehr zu erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Er malte sich ohne jede Form von Beschönigung, auch nicht in selbstverherrlichender Schaupose, wie es zu seiner Zeit oft üblich war. Seine Porträts zeigen den Meister in einfacher Arbeitskleidung. Diese Bilder sprechen für sich selbst und bedürfen keiner besonderen Effekte. In einer Epoche, in der Künstler begierig darauf waren, an den königlichen Hof zu kommen und nach Auszeichnungen trachteten, zeigte Chardin wahre Größe, weil er die natürliche Schönheit höher bewertete und sich nicht in ein bestimmtes, seiner Zeit angemessenes Schema drängen ließ.
Im wahren Leben war Chardin ein aufrechter und ehrlicher Mensch, gleichwohl waren das charakteristische Merkmale seiner Kunst. Er fand seinen persönlichen Stil, dessen Zauber viele Menschen, normale Bürger wie Adlige, der französischen Kultur des 18. Jahrhunderts erlagen. Die Wahrheit und naturgetreue Wiedergabe der Wirklichkeit war für den Maler sehr wichtig. Ein unglaublich moderner Vorsatz. Chardin war somit seiner Zeit weit voraus. Die zeitgenössischen Kritiker bewunderten Chardins Farb- und Pinseltechnik und sahen sie als herausragende Leistung an. Zu den größten Bewunderern gehörte Denis Diderot, ein berühmter Kunstkritiker und Schriftsteller, der das Fachwissen des Malers soweit anerkannte, dass er sich von ihm durch die Ausstellungsräume der Pariser Salons führen ließ. Für Diderot war die Magie, die von Chardins Bildern ausging, unbegreiflich. Er nannte ihn den großen Zauberer.
Im Leben und Werk von Jean Siméon Chardin schien nicht alles ohne Schwierigkeiten zu verlaufen. Am 2. November 1699 wurde Chardin in der Rue de Seine, im Pariser Stadtteil Saint-Germain-des-Prés geboren. Sein Vater war Tischlermeister, der einen kleinen handwerklichen Betrieb führte. Seine Kindheit verbrachte Chardin unter Pariser Handwerkern. Als sein ältester Sohn sollte er den familiären Betrieb übernehmen. Doch Jean Siméon zeigte sich widerstrebend und bat seinen Vater darum, Maler werden zu dürfen. Sein Vater schickte ihn daraufhin in die Ausbildung in das Atelier von Pierre-Jacques Cazes, doch die Lehrmethoden waren wenig kreativitätsfördernd und eintönig. Die Lehre wurde bei Noël-Nicolas Coypel fortgesetzt. Dieser lehrte den jungen Chardin nach der Natur zu malen. Am 03.02.1724 wird Jean Siméon als Meistermaler in die Akademie von Saint-Luc aufgenommen.
Der Place Dauphine bot zu der damaligen Zeit jungen Künstlern die Möglichkeit, unter freiem Himmel ihre Bilder auszustellen. Auch Jean Siméon beteiligte sich eifrig an den Ausstellungen und wurde von einem angesehenen Mitglied der Königlichen Akademie für Malerei und Skulptur entdeckt. Nicolas de Largillière zeigte sich von Chardins Werken sehr beeindruckt und ermutigte ihn, sich an der Königlichen Akademie zu bewerben. Am 25.09.1728 wurde Chardin als Mitglied der Akademie aufgenommen und legte daraufhin seinen Meistertitel bei der Akademie Saint-Luc nieder, weil er dieser nun nicht länger als Mitglied angehören wollte. Dies war ein entscheidender Schritt für Chardins Werdegang und bestimmte fortan seine künstlerische Karriere.
Die Akademie war zu der Zeit im Louvre untergebracht. Chardin hatte sich einen beachtlichen Ruf als Maler erworben und seine Stillleben waren gefragt. Nach den Regeln der Königlichen Akademie wurde diese Gattung als niedrigstes Genre eingestuft. Daher versuchte er sich immer wieder in höher angesehen Genres zu bewähren. Für einen Zeitraum von 12 Jahren unterbrach er die Stillleben-Malerei sogar ganz. Immer wieder musste er erleben, dass die Bewunderung, die man seiner Maltechnik entgegenbrachte, herabgesetzt wurde, durch den Hinweis, dass sie dem niedrigsten Genre angehörte. In den 30er Jahren gelang Jean Siméon der Durchbruch mit Gemälden, die Genreszenen darstellten. Hausfrauen bei der Arbeit, Kinder beim Spielen, die Dinge des alltäglichen Lebens in seiner häuslichen Umgebung. Durch Gravuren und Drucke erzielte er nicht nur gute Einkünfte, sondern gelangte auch zu internationaler Popularität.
Die begeisterten Salonbesprechungen von Denis Diderot bescherten Chardin zudem eine gute Presse. War er doch der Maler, der am häufigsten in den Medien der damaligen Zeit erwähnt wurde. Neben seinen künstlerischen Erfolgen bedachte ihn die Akademie auch mit Verwaltungsaufgaben. Chardin wurde zum beratenden Mitglied der Akademie ernannt, zum Organisator der Ausstellungen in den Pariser Salons und einstimmig zum Schatzmeister. Seine Gewissenhaftigkeit und unbestechliche Ehrenhaftigkeit machten ihn zu einem der populärsten Mitglieder der Akademie. Aufgrund besonderer Verdienste wurde ihm sogar eine Wohnung im Louvre gewährt. Viele seiner königlichen Vergünstigungen verdankte er Charles-Nicolas Cochin, der Sekretär der Akademie, Graveur und Kunstkritiker war.
Chardin ist nicht gleich zu einem großen Stilllebenmaler geworden. Lange Jahre gab er sich intensiver Arbeit und Experimente hin, die nicht selten von Pech und Fehlschlägen begleitet wurden. Ab 1770 übernahmen seine Gegner an der Akademie wichtige Posten, die vormals seine Befürworter und Förderer innegehabt hatten. Im Jahre 1772 erkrankte Chardin zudem sehr schwer, dennoch nahm er regelmäßig an den Sitzungen der Akademie teil. Meisterleistungen im Porträt, wie schon am Anfang erwähnt, gelangen Chardin erst im hohen Alter. An der Akademie wusste man, wie es um seinen Gesundheitszustand bestellt war. Man vermutete, er hätte die Malerei aufgegeben. Jean Siméon konnte den Ölgeruch nicht mehr ertragen und besann sich auf das Pastell. Die Selbstbildnisse und das Porträt seiner zweiten Ehefrau, Bilder, die Chardin am Ende seines Lebens schuf, wurden sein Vermächtnis. Chardin wollte uns zeigen, dass bis zum letzten Atemzug für ihn das wichtigste sein schöpferisches Werk ist. Am 06.12.1779 verstarb Jean Siméon Chardin in seiner Wohnung im Louvre.
"Man bedient sich wohl der Farben, aber man malt mit dem Gefühl."
Jean Siméon Chardin
© "Der Künstler Jean Siméon Chardin": Kunstrezension von Anja Junghans-Demtröder. Die Abbildung zeigt das "Selbstporträt mit Brille" von Jean Simeon Chardin aus dem Jahre 1775 (Quelle: Wikipedia, Lizenz: Public domain).
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