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(August 2011) Da bricht eine Kuh aus, weigert sich ihren vorbestimmten Todesweg zu gehen und benimmt sich so, wie es ihre Ahnen getan haben würden. Die wilden Rindviecher der Vorzeit hatten kaum Ähnlichkeit mit den glockentragenden Annas und Scheckies, die touristentauglich durch Urlaubsdörfer getrieben werden.
Yvonne, wie die so gar nicht dumme Kuh heißt, nun tanzt aus der Reihe und flüchtet in den Wald, wo es sich erfolgreich versteckt und sogar die Jäger austrickst. Der Fluch der Moderne wendet sich für die aus der Art geschlagene Kuh zum Segen – man protestiert gegen den Abschuss und ein Gnadenhof erwirbt das Tier käuflich – um es nach der Gefangennahme mit einem ruhigen Lebensabend zu belohnen.
Dieses Nutzvieh verteidigte ihre Freiheit erfolgreich. Und sie hat tausende von Fans und Freunden mittlerweile. Dieses Viech hat das Zeug zu einem neuen Jesse James oder vielleicht gar Spartakus. Und sonderbarerweise wird sie als Persönlichkeit gesehen, diese Kuh – und nicht etwa als Anhäufung von Steaks, die es in den Wald verschlagen hat. Sie hat etwas gewagt, das ihresgleichen sonst kaum in Betracht zieht – sie hat alles auf eine Karte gesetzt und hat ihr Schicksal in die vier Klauenhufe genommen.
Nicht, dass Kühe allzu sehr in unser Bewusstsein rücken würden, außer vielleicht als Steak oder Rinderrollbraten. Wenn ein solches Teil verlockend lecker und fachmännisch bzw. fachfrauisch zubereitet auf dem Teller liegt, denkt niemand an seinen Ursprung. Das gilt natürlich auch für das weiße Zeug, das aus den Kartons kommt und über die Frühstücksflocken geschüttet wird. Milch nennt man diese Begleitflüssigkeit für Zimt- oder Nussflocken, und die wenigsten Kinder haben eine Ahnung, wie sie eigentlich dazu kommen. Sagt man es ihnen, erntet man nicht selten einen entsetzten Blick.
Städter jedenfalls haben jeden Bezug zur Basis verloren, geht es um Schnitzel oder auch Lederjacken und schicke Schuhe. Wieso auch nicht – kümmert sich doch eine gigantische Industrie um die Verwandlung vom Tier zu Nahrung, Kleidung oder Futtermehl. Unsere "Futtertiere" haben sich verändert – sie werden hergestellt und in gewisser Weise auch gestapelt, anders wäre der gigantische Bedarf auch gar nicht zu decken. Glückliche Kühe auf saftig grünen Weiden und herumhüpfende lustige Schweinchen haben nun einmal nichts mehr mit der Realität zu tun. Wer einmal gesehen hat, wie Kälbchen ihr kurzes Leben verbringen müssen, zur Bewegungslosigkeit verdammt und bis zu den Gelenken in ihren eigenen Exkrementen stehend, kann die hübschen Bilder auf Milch- und Fleischpackungen nur als grenzenlosen Zynismus sehen.
Die Fleischberge, die von Geburt bis zur Mast einzig und allein als Endprodukt gesehen werden, haben mit den Hausschweinen unserer Vorfahren so gut wie nichts mehr zu tun. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurden eigens Hühner für die Fastfood-Ketten gezüchtet – deformierte Kreaturen mit doppelt so viel Brustfleisch. Sie können kaum noch laufen, fallen vornüber dadurch und werden von den Züchtern in Dunkelheit und qualvoller Enge gehalten. Die Farmer können nichts dafür – haben sie einmal einen Vertrag mit einer großen Firma unterzeichnet, haben sie ihre Seele verkauft. Sie verpflichten sich unter anderem dazu, immer neueres Equipment zu kaufen – über die Firma, versteht sich.
Landwirte müssen immer mehr und immer effizienter produzieren, kommen aus der Abhängigkeit nicht mehr heraus. Redet einer zu viel darüber oder weigert sich hier und da, ist er praktisch erledigt und kann zumachen. Davon wissen die Kinder und auch die Eltern nichts, die goldgelb frittierte Hühnerstückchen in Tüten kaufen. Die genormten Mahlzeiten, die hierzulande schnell über die Theken gehen, kommen aus derselben Quelle. Wir nehmen das eigentlich kaum wahr, es ist nun einmal so. Ab und zu rückt solch ein "ist eben nicht anders" in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit.
Die Sache mit dem dummen Rindviech, das gleichmütig zum Schlachter und somit zur Verwertung trottet, war also die ganze Zeit über ein "KANN", durchaus kein "IST EBEN SO" oder "MUSS". Wir sollten uns dieses erstaunliche Tier als Vorbild nehmen – auch wenn man uns einredet, dass alles, was geschieht, zu unserem Besten ist. Das hat vielleicht sogar jemand Yvonne ins Ohr geflüstert ... allerdings hat sie es nicht geglaubt und hat auf selbstständiges Denken gesetzt. So viel Schneid sollte man haben.
© Textbeitrag "Zeit der neuen Helden": Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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