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Der kleine Junge duckt sich tiefer in die Bank hinein, er möchte am liebsten im Boden versinken. Aber er kann nicht entkommen, denn drohend ragt der Lehrer vor ihm auf und schaut ihn missbilligend an, den Rohrstock hinter dem Rücken und ungeduldig auf den Füßen wippend. Die anderen Schüler grinsen, tuscheln und starren voller Vorfreude auf den unglücklichen Mitschüler.
Dann kommt, was kommen muss – der Junge muss die linke Hand ausstrecken. Dann gibt es mit dem Stock mehrere kurze Schläge auf die Handfläche, die das Kind zusammenzucken lassen. Heute und morgen wird er die geschwollene Hand nicht mehr bewegen können, der unglückliche Schüler – aber genau das sollte ja auch erreicht werden. Er ist nämlich Linkshänder, und die Umerziehung auf die rechte Hand ist noch in vollem Gang.
Wenn es so wie heute etwas knapp wird mit der Zeit, dann wechselt er manchmal, ohne es recht zu merken, den Griffel in die Linke, weil es da viel schneller geht und auch schöner aussieht. Es ist sehr mühsam für den Jungen mit der "schönen Hand" zu schreiben. Es sieht nicht besonders gut aus, und es dauert auch sehr lange. Er versteht nicht, wieso es so wichtig sein soll, welche Hand er zum Schreiben benutzt, wenn auch die anderen in der Klasse immer die Rechte dazu nehmen. Daheim gab es auch schon Bestrafungen, wenn er, seiner Natur folgend, immer die Linke vorstreckte oder das Besteck "falsch" benutzte.
Heute sind die Zeiten, in denen man Linkshänder mit Gewalt umerzog, lange vorbei. Das Bestrafen und auch das "auf den Rücken binden" der linken Hand gehören der Vergangenheit an. Wie man weiß, hat das "Korrigieren" eines Linkshänders Folgen, die durchaus nicht erwünscht sind – die Betroffenen können unter Konzentrationsstörungen bis hin zu psychischen Problemen leiden.
In den westlichen Ländern achtet heute kaum noch jemand darauf, wer welche Hand bevorzugt. Jedoch gibt es im Handel immer noch zu wenige Werkzeuge und andere Gebrauchsgegenstände für Linkshänder, außer in speziellen Geschäften. Bei vielen Geräten ist das völlig gleichgültig – bei manchen allerdings nicht. Bei Dosenöffnern zum Beispiel kann das zu einem Problem werden. Aber die Industrie reagiert zunehmend flexibel, und mittlerweile gibt es unter vielen anderen Dingen auch Schulfüller für Linkshänder.
Wieso, fragt man sich, kam es überhaupt zu dieser Ächtung, die uns heute völlig grundlos erscheint? Es hat vor allem damit zu tun, dass die linke Hand als die "Hand des Teufels" angesehen wurde, denn ein angesehener Mensch sitzt zur Rechten des Herren oder sogar Gottes. Ursprünglich hatte die linke Seite also keinen guten Ruf – sie wurde traditionell der Frau zugeschrieben, galt also als schwach und in gewissem Sinn auch als unrein. Vor allem seit dem Mittelalter hat sich diese Belegung etabliert – wir sprechen von "man hat ihn gelinkt", wenn jemand übervorteilt wurde. Das lateinische Wort für links "sinister" hat sich sogar im Sprachgebrauch festgesetzt und meint grundsätzlich etwas Böses oder Unheilvolles.
Im Grunde geht also diese Unterscheidung auf nichts weiter als auf Aberglauben zurück – eben dass ein Mensch, der die verfemte Linke benutzt, auch selber nicht ganz "rechtens" sein kann. Welche Hand man benutzt, wenn man etwas tut, sollte völlig gleichgültig sein, auch wenn die Linkshänder in der Minderzahl sein sollen, was jedoch statistisch nicht nachgewiesen ist. Viele berühmte Menschen haben die linke Hand vorgezogen; so zum Beispiel Michelangelo Buonarroti oder Leonardo da Vinci. Man kann also sagen, dass sie ihre großartigen Werke "mit links" geschaffen haben. Und wer denkt bei Betrachtung dieser Bilder und Skulpturen schon daran, mit welcher Hand sie gemacht wurden ...
© Textbeitrag "Der internationale Linkshändertag am 13. August": Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Zeichnung der Hände von Hans Holbein dem Jüngeren, um 1523; Lizenz: gemeinfrei.
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