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Vielleicht kommt Ihnen das ja bekannt vor: der Wecker hat hinterhältigerweise geklingelt und Sie kriegen im Halbschlaf mit, dass Ihr Partner das Bett verlässt ... einfach so, ohne sich noch einmal in die Decken zu kuscheln, so wie Sie das mit Sicherheit nach jedem "Kaffee ist fertig" tun werden. Sobald Sie nun auf unsicheren Füßen das Schlafzimmer verlassen haben und sich irgendwann am Frühstückstisch einfinden, sind Sie völlig entnervt von der Leichtigkeit, mit der andere Menschen vom Schlaf in den Wachzustand finden. Sie selber sind kaum in der Lage, Ihren Kaffee umzurühren, und schon gar nicht geneigt, auf irgendwelche Fragen wie "Hast du gut geschlafen?" oder "Wann hast du den Termin beim Arzt?" zu antworten. Außerdem wissen Sie sowieso nicht, welcher Tag es ist.
Sie sind nämlich ein Morgenmuffel und können sich nicht in die gut gelaunte Betriebsamkeit Ihres Gegenübers hineinversetzen. Sie laufen erst dann zu Ihrer Höchstform auf, wenn der Partner schon vor dem Fernseher eingeschlafen ist – logischerweise tut er das, er ist ja auch schon um sechs Uhr topfit aus dem Bett gehüpft. Aufgestanden sind Sie natürlich auch, sind zur Arbeit gegangen oder haben sonst die Aufgaben des Tages in Angriff genommen – aber das bedeutet nicht, dass dies auch im wachen Zustand vor sich gegangen ist. So oder ähnlich läuft der Alltag für die "Eulen" ab, also für die Menschen, die einfach einen anderen Rhythmus haben als andere.
Wenn eine Eule gezwungen wird, früh aufzustehen, verbringt sie den ersten Teil des Tages in einer Art Dämmerzustand. Die gegenteiligen Typen, die "Lerchen", bringen zu früher Stunde schon die erstaunlichsten Dinge fertig. Sie begrüßen jeden Morgen mit begeisterter Aktivität, haben viel vom Tag und gehen nie mit in die Spätvorstellung. Sie verstehen auch nicht, wieso die Eulen abends auf die Idee kommen, dann erst den längst fälligen Hausputz zu machen oder zu kreativen Höheflügen fähig zu sein. Denn der total übermüdete Nachtmensch ist tagsüber immer nur einen Schritt vom Tiefschlaf entfernt, aber sobald die Sonne untergeht, wird er so richtig wach. Die Müdigkeit ist wie weggeblasen, er fühlt sich fit und zu Großem fähig. Nicht einmal die Tatsache, dass er dabei leise sein muss, bremst ihn aus – schlafen doch alle anderen Hausbewohner schon.
Das Aufstellen der neuen Schrankwand muss sich eine Eule leider doch verkneifen, aus Rücksicht auf die Nachbarn – aber sonst sind ihr im Allgemeinen keine Grenzen gesetzt. Das tut ihr schlechtes Gewissen nämlich zur Genüge. Hierzulande darf man tagsüber alles anführen, um zu erklären, warum man erst nach dem zehnten Klingeln an das Telefon oder an die Wohnungstür kommt – es wird alles akzeptiert. Nur darf man um Himmels willen nicht zugeben, dass man gerade geschlafen hat. Wenn man angibt, gerade eine Orgie mit zwanzig Personen auf dem Wohnzimmerteppich abgehalten zu haben, wird das viel eher wohlwollend zur Kenntnis genommen als ein Nickerchen am helllichten Tag. Das erlaubt man nur sehr alten Leuten und sehr, sehr jungen.
Schlafen gilt eben als unproduktiv und wird vor allem der Faulheit zugerechnet. Wer schläft, sündigt zwar nicht, aber arbeiten tut er ebenso wenig. Dabei schläft eine Eule gar nicht länger als eine Lerche – sie tut es nur zu anderen Zeiten. Das aber darf sich nur ein Schichtarbeiter erlauben, der nicht anders kann – alle anderen haben sich nach der Sonne zu richten. Die Gründe dafür liegen wohl in der dunkelsten Vergangenheit, als die Menschen gezwungen waren, sich nach dem natürlichen Licht zu richten und die künstliche Erzeugung einer ausreichenden Helligkeit kaum möglich war. Zudem wird der Nacht alles an Bösem zugerechnet – vielleicht ist das Artgedächtnis (ein Bereich des Gehirns, der im Laufe der Evolution Informationen dauerhaft gespeichert hat) für die negative Belegung zuständig.
Wie dem auch sei – Eulen haben Schwierigkeiten, ihr Potenzial völlig zu entfalten. Ihr Schlafrhythmus ist nicht dauerhaft zu verändern, das wurde in vielen Experimenten schon versucht. Zwingt man eine solche Person dazu, früher zu Bett zu gehen, wird sie nicht schlafen können oder sehr lange zum Einschlafen brauchen. Die Folge davon ist Abgeschlagenheit und Müdigkeit nach dem Erwachen. Ein Teufelskreis also, denn wer ab Sonnenuntergang zu Hochform aufläuft, kann nicht einfach um Mitternacht abschalten, um müde zu sein – er ist es ja auch nicht.
Das schlechte Gewissen allerdings beeinträchtigt das Wohlbefinden – und was dabei herauskommt, ist ein Mensch, der grundsätzlich im sozialen Jetlag hängt, weil er nie völlig wach ist. Man möchte an die Eulen appellieren, dass sie aufhören, sich für etwas zu entschuldigen, das nicht in ihrer Verantwortlichkeit liegt. Wir wissen zwar nicht genau, was dafür verantwortlich ist, dass man Lerche oder Eule ist, aber wir wissen mittlerweile, dass man es nicht ändern kann. Und warum sollte man es auch wollen ... denn Menschen sind nun einmal verschieden. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus, den er nur zeitweise beeinflussen kann, außerdem ändert sich vieles im Laufe des Lebens.
Ältere Menschen brauchen weniger Schlaf heißt es, Kleinkinder und Babys wiederum mehr. Aber auch das sind eher Richtwerte und individuell verschieden. Sagen wir es einmal so: Wer permanent andere Menschen danach beurteilt, wann und wie lange sie sich in der Tiefschlafphase befinden, hat vermutlich zu wenig Schlaf bekommen.
© Textbeitrag "Nachteulen und Tagvögel": Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Frosch im Bett, CC0 (Public Domain Lizenz).
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