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Revolutionen brauchen ebenso Helden wie alle anderen kriegerischen Aktionen – jede gewaltsame Veränderung hat ihre Führer und Kämpfer. Aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts – zumindest noch als Poster bekannt – erinnert man sich zum Beispiel an Che Guevara, den Mediziner und Guerillaführer mit dem kleidsamen Barett. Der erklärte Held verliert diesen Nimbus, je intensiver man sich mit ihm beschäftigt – eigentlich ist er dann keiner mehr. Zum Glück sind Menschen wie Robespierre oder Danton nur eine gewisse Zeit ein Idol gewesen, heute erfüllen sie uns eher mit Schrecken, das gilt auch für revolutionäre Führer wie Lenin oder Stalin.
Revolution und Krieg, das sind leider Geschwister, die sich sehr ähnlich sind. Ausnahmen sind Führer wie Mahatma Gandhi, der weniger als ein Held, sondern vielmehr als ein Heiliger gesehen wird. Gleich wie man dazu steht, er hat es wahrscheinlich eher verdient als der französische Revolutionär Jean Paul Marat. Indien hatte damals die Besatzungsmacht und die damit verbundenen Schrecken abgeschüttelt und bekämpft noch heute alles, was einer Nation zustoßen kann, in eigener Regie. Außer dieser einen, von zumindest einer Seite aus völlig unblutigen Revolution, kann kaum behauptet werden, dass das gewaltsame Verändern der Umstände zu besseren Verhältnissen für die breite Masse, also das Volk, geführt hat.
Es gibt aber auch andere Revolutionen, die eigentlich nicht als solche erkannt werden und deshalb wahrscheinlich größere Aussichten auf Erfolg haben. Diese stillen Umwälzungen haben, nicht anders als die lauten und mit Schrecken beladenen, ebenfalls Helden – diese dienen ihrer Sache ebenso unbeirrt wie die bewaffneten Führer, die auf Plakaten verewigt werden. Vielleicht sogar weitaus treuer, denn sie erfahren meist keine Verehrung – oft nicht einmal von denen, für die sie gearbeitet haben. Aber trotzdem haben die Veränderungen, die auf die stille Art und langsamer geschehen, weitaus mehr Bestand.
Einer dieser Großen der sanften Revolutionen ist zum Beispiel der Schweizer Pädagoge und Philosoph Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827). Dieser schmächtige und unscheinbare Mensch dachte in völlig anderen Bahnen als seine Zeitgenossen – er machte sich Gedanken um etwas, das man eigentlich nicht verändert sehen wollte. Pestalozzi setzte sich zeit seines Lebens für eine humanistische und liebevolle Erziehung der Kinder ein. Das war etwas Neues, etwas Unerhörtes. Erziehung bedeutete Strenge, Zucht und Ordnung sowie das Verhindern individueller Entwicklung – jedenfalls, was die Kinder des einfachen Volkes betraf.
Pestalozzi verfolgte bei der Schulung und Behandlung der Kinder ein ganzheitliches Ziel. Wissen und Benehmen ohne Hintergrund, also bloße antrainierte Pose, schien ihm nicht genug – er setzte auf Verinnerlichung des "Verstandenen" und die daraus resultierende Sicherheit des ethischen Bewusstseins und Agierens. Um das zu erreichen, so führte er aus, muss die Schulung und das Lernen schon im Elternhaus beginnen, wozu die Eltern als erste Lehrer herangezogen werden müssen. Diese damals revolutionären Ideen bilden auch heute noch die Basis der neuen Pädagogik. Pestalozzi schuf Projekte, steckte seine Mittel hinein und verlor alles. Er fing wieder von vorne an, rieb seine Kräfte auf, um die Kinder, die er betreute und die er liebte, zu beschützen und um seine Vision für andere sichtbar zu machen.
Zu diesem Zweck verfasste Pestalozzi zahlreiche Schriften und korrespondierte mit Interessierten in der ganzen Welt. Anerkennung erfuhr er erst sehr spät in seinem Leben – als er einundachtzigjährig starb, hatte er ein für alle Mal das Erziehungs- und Lehrwesen verändert. Bis seine Lehren dem Normalen entsprachen, sollte noch einige Zeit vergehen, aber trotzdem war das finstere Zeitalter des bloßen Hörens und Gehorchens vorbei – und ist es bis heute.
Pestalozzis sanfte Revolution der leisen aber eindringlichen Töne hat unendlich viel mehr bewirkt als alle Kanonen, die auf Mauern gerichtet waren – sie hat keine Todesopfer gefordert und Generationen von Menschen zu einem besseren und humaneren Verständnis für Erziehung verholfen. Aber trotzdem fand sich sein Bild auf kaum einer Wand, denn er konnte sich wohl nicht ganz so gut verkaufen wie ein smarter aber kalter Revolutionsführer mit der Waffe im Anschlag.
© "Pestalozzi und seine sanfte Revolution": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Die Abbildung zeigt Johann Heinrich Pestalozzi auf einem Gemälde, das um 1900 entstand (Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei).
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