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(Januar 2011) Es scheint, als würden die Flammen, in denen ein junger Tunesier starb, zu einem übergreifenden Flächenbrand werden. In Tunesien gingen die Bürger auf die Straße, sie wollen die seit Jahren anhaltenden Beschränkungen nicht mehr hinnehmen, die ihnen eine tyrannische Regierung auferlegt. Nun hat die Flamme des Widerstands auch auf Ägypten übergegriffen – ein Land, das sich seit dreißig Jahren im Ausnahmezustand befindet.
Ausnahmezustand ... das bedeutet in den meisten Fällen Willkür und Überwachung, um die Ansprüche der Regierung zu gewährleisten. Dieser Zustand ist im Allgemeinen an die Beschneidung der Bürgerrechte und natürlich auch auf die Außerkraftsetzung der Grundrechte bzw. der Verfassung gekoppelt. In der Geschichte der meisten Staaten der Welt gab es solche Zeiten, in denen es keine Normalität gab, die sich auf die Sicherheit der Bürger bezog. Ist der Ausnahmezustand verhängt, ist nichts sicher – vor allem nicht die Bürger.
Im Falle Ägyptens bedeutet dies vor allem, dass ein übermächtiger Polizeiapparat nach Gutdünken jedes Mittel anwenden kann, das ihm moderat erscheint, um jedwede "unerwünschte" Strömung zu unterdrücken. Es ist die Rede von willkürlichen Verhaftungen, von Folter, Zerstörung und Korruption – eben allen diesen Dingen, die eine mehr oder weniger versteckte Diktatur ausmachen. Die hohe Arbeitslosigkeit in Ägypten und der sehr niedrige Durchschnittslohn sind Dinge, mit denen die Bevölkerung seit langen Jahren lebt, ebenso wie mit der Willkür. Nun gehen die Ägypter zu Tausenden auf die Straße, um ihre Rechte einzufordern – mittlerweile hat es Opfer gegeben.
Die restliche Welt sieht mit gerunzelter Stirn auf das Land am Nil, denn was hier gerade geschieht, sieht für viele wie eine Revolution aus. Und letztendlich mögen wir das nicht allzu sehr – schon gar nicht bei einem Land, in dem der Islam die absolute Mehrheit stellt. Offenbar befürchten einige Beobachter, dass sich in Ägypten wiederholen könnte, was im letzten Jahrhundert im Iran geschehen ist. Nachdem der letzte Schah das Land verlassen hatte, weil er sich gezwungen sah, seinen fundamentalistischen Gegnern das Feld zu überlassen, konstituierte sich ein Regime des Schreckens, das mit absolutem Machtanspruch herrschte und das Land in vieler Hinsicht in das Mittelalter zurückkatapultierte.
Schah Mohammad Reza Pahlavi hatte man einiges vorwerfen können, darüber kann es keinen Zweifel geben – aber mit seinen Reformen hatte er zumindest einen Kurs eingeschlagen, der vielleicht in absehbarer Zeit dazu geführt hätte, sein Land an den westlichen Standard anzugleichen, was die Bildungspolitik oder die Stellung der Frau betraf. Ob etwas Ähnliches in Ägypten geschehen kann, wo es eine starke islamische Opposition gibt, ist noch nicht klar zu erkennen. Der Ausnahmezustand Mubaraks ist insofern recht bequem für Europa gewesen, schließlich hatte niemand so richtig etwas daran auszusetzen gehabt.
Geht man von dem mittlerweile hohen Alter des Präsidenten aus, dürfte es in absehbarer Zeit auch ohne weiteres Zutun zu einigen Veränderungen kommen – nur wären das keine, die in irgendeiner Weise den Ägyptern nützen könnten – einem Volk, das in ungerecht harter Weise für das Überleben kämpfen muss – in materieller und auch in anderer Weise. Es gäbe Kämpfe und Intrigen, Versprechungen und Lügen – wie immer, wenn ein interner Nachfolgekrieg alles infrage stellt. Für die Menschen veränderte sich wahrscheinlich nichts.
Was in Ägypten gerade geschieht, ist keine Revolution, denn es geht vorerst nicht um das Errichten einer neuen Regierung oder um das Umformen eines Staates – es geht einfach nur darum, dass die Bürger des Landes nicht mehr stillhalten wollen. Sie gehen auf die Straße, um ihre Rechte einzufordern – die Rechte, die sie seit dreißig Jahren nicht mehr haben. Die Menschen haben genug von der Willkür. Ob ihr Widerstand letztendlich dazu führt, dass so etwas wie eine Demokratie auf den Trümmern der Mubarak-Despotie erbaut werden kann, ist nicht die drängendste Frage.
Uns sollte vielmehr interessieren, wie weit die Regierung Ägyptens gehen wird, um den Widerstand zu brechen und wie die Nationen darauf reagieren werden. Vor allem aber ist eines abzusehen – nämlich, dass sich der Brand noch weiter ausweiten wird.
© "Die Flamme des Widerstands: Massenproteste gegen Mubarak". Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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