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Die Frau rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her, da sie die Situation in gewisser Weise etwas belastend empfand. "Die Lücken in Ihrem Lebenslauf müssen wir füllen, wir wollen doch unseren Partnern so umfassende Informationen geben können wie möglich."
"Haben Sie denn meine Daten nicht? Ich dachte ... nun ich hatte natürlich angenommen ..." Der forsch wirkende Verwaltungsangestellte ließ sich zu einem schmalen Lächeln hinreißen und sagte dann etwas von oben herab: "Nun, natürlich funktioniert der Datentransfer auch hier – aber es gibt trotzdem gewisse kleine Ausfälle. Also hier haben wir die Schulzeit, dann Lehre als Bürokauffrau, Heirat und dann Schwangerschaft, wenn ich das richtig verstehe. Was kam dann?"
Die schüchterne Person vor dem Schreibtisch wagte kaum den Blick zu heben, denn der Frager verunsicherte sie doch etwas – sie hatte mit seinesgleichen noch nie etwas zu tun gehabt und wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. "Ja das stimmt, ich war drei Jahre nur zu Hause und habe dann einen Kindergartenplatz gefunden, so dass ich halbtags arbeiten konnte."
"Als Putzhilfe, wie ich sehe. Und dann, was kam dann?" "Dann kam das zweite Kind und ich pausierte noch einmal, bis sie soweit war, die Kleine."
"Haben Sie in dieser Zeit irgendeine Tätigkeit ausgeübt? Unangemeldet vielleicht? Ich muss Sie das fragen, denn wenn dem so wäre, müsste ich Ihren Fall in eine andere Abteilung weiterleiten, das verstehen Sie doch."
Die Frau wurde noch um einige Töne blasser als vorher, als sie sich beeilte zu versichern, dass sie niemals im Entferntesten an Schwarzarbeit auch nur gedacht hatte in ihrem Leben. Hausfrau und Mutter war wohl so etwas wie ihre Berufung gewesen, wenngleich nicht unbedingt völlig freiwillig. Später dann war alles recht schwierig geworden, man war nicht mehr die Jüngste und der Arbeitsmarkt ein völlig anderer. Es war nicht mehr denkbar, dass sie in ihrem Beruf wieder Fuß fassen würde, und so hatte sie mal dies und mal jenes getan.
"Wie lange sind Sie schon tot?" Die Stimme riss sie aus ihren Betrachtungen über ihr Arbeitsleben. "Ich weiß es nicht genau, irgendwann habe ich im Vorzimmer gesessen und gewartet. Ich weiß nicht einmal genau, was passiert ist – außer, dass es einen heftigen Knall gab und jemand schrie." Der Engel legte geschäftsmäßig die Flügelspitzen aneinander und meinte, ohne die Frau anzusehen: "Hier haben wir es: vor drei Tagen sind Sie bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und seitdem in der Warteschleife. Gut, gut ... jetzt sind Sie ja bei mir und wir werden alles aufnehmen."
Die Frau blickte auf ihre Füße und bemerkte, dass sie nur einen Schuh trug und dass ihre Strümpfe zerrissen waren. Der Verwaltungsangestellte war ihrem Blick gefolgt und sagte ungeduldig: "Sie werden später eingekleidet, jetzt müssen wir erst einmal Ihren Antrag stellen." "Antrag ...?", echote sie. "Was für einen Antrag meinen Sie denn?"
"Sie waren zum Zeitpunkt Ihres Todes vor drei Tagen exakt 56 Jahre, vier Monate, 11 Tage und zwei Stunden alt. Das bedeutet, dass wir Sie vermitteln werden, bis Sie das zulässige Rentenalter erreicht haben. Falls Sie geglaubt hatten, Sie würden hier Hymnen singen und auf Wolken herumfläzen, dann sind Sie falsch unterrichtet." Erschreckt fuhr die Frau zusammen. "Nein nein", beeilte sie sich zu versichern, "nein, das dachte ich natürlich nicht."
Der Engel sah sie mit durchdringend scharfem Blick an und sie fragte sich, ob er erkennen könne, wenn jemand eine Lüge erzählte. Obwohl sie nicht wirklich log, denn sie hatte überhaupt nicht an ihren Tod gedacht und schon gar nicht an den Himmel.
"Wir verteilen unsere Klienten je nach Eignung an verschiedene Zeitarbeitsfirmen, die unsere Kunden sind. Da Sie eine Büroausbildung haben, besteht die Chance, dass Sie einen Job in der Verwaltung bekommen. Wir brauchen unglaublich viele Kräfte dafür, denn wie Sie sich denken können, ist unser Apparat riesig und umfassend. Unsere antipodischen Partner haben wohl dasselbe Problem, auch sie müssen ihre Verwaltung immer mehr ausbauen. Ich sage Ihnen im Vertrauen, dass man dort einiges etwas lasch sieht, aber letztendlich läuft alles zusammen. Natürlich brauchen wir auch immer Kräfte für die Wetterarbeit, für das Schutzcorps und andere Arbeiten – es gibt also Arbeit genug. Nun ja, aber das sollte Sie nicht wundern ... schließlich ist das hier der Himmel."
© "Rente gibt's erst viel viel später": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Alte Menschen und Geld, CC0 (Public Domain Lizenz).
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