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Eines der magischsten Objekte überhaupt ist der Spiegel – traditionell ein Gegenstand, der über große Kräfte verfügt. Er ist ebenso Träger der Wahrheit wie er als Tor zu einer anderen Welt dienen kann. Ein Mittel, um sich selbst wahrzunehmen oder zu erkennen, ein Zauberglas, um Dinge zu sehen, die noch vor uns liegen – das sind die Spiegel.
Der Spiegel ist dem Wasser verwandt und somit dem Mond, denn an vielen magischen Orten der Welt hat man sich im Mondlicht an einer Quelle oder einem See versammelt, um von dem durch die Wasseroberfläche gebildeten Spiegel Wissen zu erlangen. Deshalb wohl gilt er als Medium der Frau, und nicht der Eitelkeit wegen.
Spiegel können auch benutzt werden, um Räume zu vergrößern oder sogar, um etwas verschwinden zu lassen, sie können uns verwirren mit der großen Zahl von Bildern, die sie sich und auch uns zuwerfen, indem sie widerspiegeln, was auf sie trifft. Es war immer etwas Zauberisches um sie, und viele Legenden ranken sich um die Spiegel, ebenso wie viele alte Bräuche. Manche Kulturen verehrten die Spiegel in gewisser Weise, so war im antiken Ägypten das Wort für Spiegel mit dem für Leben gleich.
Der Spiegel zeigt eine Reflexion unseres Selbst, in dieser Hinsicht ist er also unser Ich. So begrub man die keltischen Frauen mit ihrem Spiegel ... damit sie vollständig blieben. In einem solchen Ding kann man alles sehen, er nimmt an, was vor ihn tritt und gibt das genaue Bild zurück, er stellt eine zweite Welt der unseren entgegen.
Wenn nun jemand die Herausforderung annimmt und die Kräfte der Spiegel für ein Wahrnehmungsspiel nutzt, sie dazu bringt, ihre Facetten zu zeigen, was geschieht dann?
Die Berner Künstlerin Manuella Muerner Marioni hat sich auf dieses Abenteuer eingelassen. Sie erschafft Spiegel-Skulpturen – Objekte, die sie über und über mit kleinen Fragmenten besetzt. Sie erschafft "dreidimensionale Skulpturen, die voll belegt mit Spiegelplättchen sind", so beschreibt die Künstlerin ihre Arbeit. "Jedes einzelne Spiegelfragment schneide ich von Hand mit einem Diamantenschneider. So erhält jedes Spiegelplättchen seinen eigenen Schnitt, dass schlussendlich eine rhythmische Bewegung entsteht, die Strukturbildungen zur Gestalt der Skulptur bilden."
Diese Skulpturen sind weitaus mehr als Spiegel, sie potenzieren das Leben – es sind ultimative Kunstwerke. Kunst braucht den Betrachter, um zu sein, denn das ist ihre Bestimmung, das Betrachtetwerden. Muerner Marioni schafft mit ihren Spiegelskulpturen Kunstwerke, die tatsächlich "zurückbetrachten", in gewisser Weise also in Interaktion mit dem Betrachter treten und sich dynamisch verhalten. Denn sobald man sich bewegt, verändert sich eine hundertfache Sicht der Dinge in ebenso vielen Facetten, also in kleinen Spiegeln, und zeigt völlig neue Perspektiven. Muerner Marioni: "Durch die im Winkelmass unterschiedlich angebrachten Spiegelplättchen widerspiegeln sich wahrgenommene Komponenten, formal verändert, wie sich verselbständigende Pixel."
Eine Arbeit mit dem Titel "Hommage à Niki de St. Phalle" ist eine urweiblich anmutende Figur, ähnlich der Nana-Skulpturen Saint Phalles. Und hier wird die Botschaft hochgerechnet, denn das Urweib in seiner ungezügelten Kraft hat mit seiner Spiegelhaut ihre Bestimmung gefunden – und alles was SEIN kann, zeigt sie dem, der sich ihr nähert. Sie ist die keltische Göttin mit dem Kessel, der alles birgt, was derjenige braucht, der vor sie tritt. Ein anderes Werk, "Snake", potenziert die Legende der Schlange, der mystischen Urkraft. Ihre Schuppen sind Spiegel geworden, die dem Betrachter sein Bild zeigen, bewegt er sich, wird dieses Abbild – oder kleine Teile davon – über den Körper des Reptils wandern wie eine Welle.
Spiegel können Räume erhellen, sie bringen Licht und wurden daher auch mit Erleuchtung gleichgesetzt. Und so beinhaltet die Reflexion des eigenen Selbst auch Erkenntnis, und das Symbol der Schlange gehört somit dazu. Manuella Muerner Marioni hat einen Weg gefunden, die Kunst vom bloßen Objekt zu etwas Lebendigem, Dynamischen und vor allem zu etwas zu machen, das nicht nur von jedem Betrachter anders wahrgenommen wird – das ist ja etwas, das Kunstobjekten immer zu eigen ist. Sie hat Kunst geschaffen, die durch jeden, der sie sieht, auch anders IST.
"Das Tote lebendig machen! Pure Materie zum Leben erwecken durch gezielte Wahrnehmungseffekte. Für mich als Künstlerin eine große Herausforderung! Ich will nicht nur meine Werke in den Mittelpunkt stellen, sondern die Umgebung, das Umfeld meiner Betrachter/innen in das Kunstwerk einschließen. All diese Details sollen zur Ganzheit des Kunstwerkes beitragen."
Es liegt nicht nur das Wahrnehmen im Auge des Betrachters, sondern auch die Bewegung – und das Leben.
© "Spiegelskulpturen von Manuella Muerner Marioni": Kunstrezension von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Zitate und Fotos mit freundlicher Genehmigung von Manuella Muerner Marioni.
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