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Es lief glatt, so wie schon tausendmal zuvor auch. Sie gingen nach dem immer gleichen Schema vor, variierten nur, wenn es Überraschungen gab. Und hier auf diesem Planeten gab es keine. Sie hatten sich eine große Zeitspanne lang im Orbit aufgehalten, ohne von den archaisch anmutenden Maschinen entdeckt zu werden. Die antike Technik war keinerlei Herausforderung, und so konnten sie ungestört beobachten und ihre Mission vorbereiten.
Ihre Scouts hatten den Hinweis geliefert, dass sich in diesem Quadranten ein lohnendes Objekt befand. Und tatsächlich steckten Möglichkeiten in dieser hübschen blauen Perle des Alls. Die Technik war zwar sehr einfach, aber immerhin verfügten die Bewohner des Planeten über ein umspannendes Netz, das leicht angezapft werden konnte. Binnen kurzer Zeit hatten die Beobachter alle Informationen, die sie brauchten, um das zu tun, was sie immer taten, wenn sie glaubten, dass der Aufwand lohnen könnte.
Nachdem der Befehl gegeben worden war, lief die Operation mit höchster Präzision an. Kurz nachdem die Beobachter unbemerkt (auf der Erde wurde ein fürchterlich ineffizientes System benutzt, das die Bewohner "Radar" nannten) den Planeten betreten hatten, gab es weltweite Entführungen. Vor den Augen der umgebenen Menschen verschwanden fast gleichzeitig alle Könige, Präsidenten, Kanzler, Diktatoren sowie ihre hochrangigsten Militärs. Auf dem Planeten hatte sich ein System etabliert, das verschiedene soziale Systeme gleichzeitig erlaubte. Das kam nicht sehr oft vor, machte die Sache aber interessant.
Es war ein Bunkersystem unter einer der großen Wüsten ausgemacht worden – eines, das über beachtliche Räumlichkeiten und Ressourcen verfügte. Dorthin wurden die Staatsmänner und -frauen gebracht, und kurz nach ihrer Ankunft fanden sich die so Entführten in einem großen Strahlenschutzraum mit mehreren Pritschen an den Wänden und auch sonst sehr spartanischen Einrichtung wieder. Die zum Teil laut zeternden und Drohungen ausstoßenden Männer und Frauen sahen sich von hochgewachsenen Personen in einer Art Overall umgeben. Die Entführer trugen große dunkle Brillen, Mützen und schwarze Handschuhe, und beunruhigenderweise auch Waffen. Das Aussehen der Beobachter wich um einiges von dem der Eingeborenen ab – vor allem, was Haut und Augen betraf. Die Unterschiede waren allerdings mit einfachsten Mitteln zu verbergen, was nötig war, bis sich zeigte, ob die Mission Erfolg hatte oder nicht.
Nachdem alle Personen im Raum versammelt waren, schloss sich die schwere Tür und sie waren gefangen. Die installierten Kameras und Mikrofone übertrugen nun sämtliche Phasen des Experimentes, denn es hatte sich gezeigt, dass sich in dieser Hinsicht alle intelligenten Spezies glichen. Zuerst gab es tagelange Schuldzuweisungen, dann gegenseitige verbale Attacken. Wurde die Situation zu unentspannt, leitete man ein mildes gasförmiges Beruhigungsmittel in den Raum.
Nach einiger Zeit, und zwar exakt in der Spanne, die von den Bordpsychologen erwartet worden war, gingen die Gefangenen dazu über, die Entführer zu bedrohen. Das hatte einen lockeren Zusammenschluss der Kontrahenten im Bunkerraum nötig gemacht, und tatsächlich war es auch dazu gekommen. Nach den Drohungen kam das Betteln, die verschiedenen Versuche an das Mit- oder Pflichtgefühl der Entführer zu appellieren. Die Beobachter beobachteten jede Phase mit Ruhe und warteten ab. Nachdem die emotionalen Muster in ständigen Wiederholungen stagnierten, wurde ein Gefühl immer mächtiger: das der Langeweile. Als dieser Zustand der häufigste wurde, war es Zeit, um einzugreifen und die eigentliche Mission zu starten.
Die Menschen im Raum fanden zu ihrem Erstaunen nach dem Erwachen einen Karton mit einer Art Strategiespiel vor. Nach anfänglichem Ignorieren fingen ein oder zwei der Eingeschlossenen an, sich zaghaft mit dem Karton zu beschäftigen. Das führte fast zu neuerlichen Streitereien, denn einige der Menschen fanden es lächerlich, in einer so prekären Lage etwas so Kindisches, wie sie es nannten, zu tun – andere meinten, dass es keine Rolle spielen würde, da niemand etwas wirklich Effektives tun könne. Diese Phase dauerte allerdings nicht sehr lange, dann kam die nächste. Es gab nun zwei Gruppen, die eine wiederholte in ständiger Weise ihre Ängste und Befürchtungen, die andere fing an zu spielen.
Das Spiel war von den Beobachtern zu einem bestimmten Zweck entwickelt worden und bei jeder Mission eingesetzt, nachdem es für jeden speziellen Einsatz etwas abgeändert wurde. Es bot strategische Herausforderungen, basierte nur zu einem eher unwesentlichen Teil auf Zufälle und war sehr variabel. Es war so konzipiert, dass eine fast unbegrenzte Zahl an Spielern mitmachen konnte, da der Spielplan dynamisch war. Es war so gut wie unmöglich, dass sich eine Partie auf die gleiche Weise wiederholte. Nachdem die Beobachter sich darüber klar geworden waren, was Menschen als lustig oder launig empfanden, hatten sie auch auf diese Aspekte Wert gelegt. Es gab keinen Moment, in dem man hätte denken können, dass ein Scheitern möglich wäre – alles lief genau nach Plan und bestätigte die Prognosen der Psychologen.
Nach erstaunlich kurzer Zeit gab es keine Spielverweigerer mehr. Die Lust daran steigerte sich kontinuierlich, vom frühen Morgen bis zum Löschen des Lichtes. Die Eingeschlossenen baten sogar darum, dass die Lampen später ausgeschaltet würden. Nachdem man ihnen erlaubt hatte, mittels Übertragung mit ihren Familien und ihren Vertretern zu sprechen, waren die Probanden weitaus entspannter geworden. Sie begriffen, dass sich nichts an ihrer Stellung ändern würde und fingen an, die ganze Angelegenheit als eine Art Kurzurlaub zu sehen.
Und sie spielten, verteilten Karten mit Aufgaben darauf, suchten sich unter Gelächter Spielfiguren aus, machten Striche auf die Wandtafel, um die sie gebeten hatten und suchten unter lustigen Kommentaren nach heruntergefallenen Würfeln. Alle duzten sich mittlerweile und kamen glänzend miteinander aus. Der eine oder andere versuchte hier und da zu mogeln, aber die Gruppe passte höllisch auf, dass niemand damit durchkam. Nach dem Löschen des Lichts unterhielten sie sich miteinander in sehr offener und menschlicher Weise, manchmal lachten sie bis Mitternacht über irgendeinen "Running Gag" des Tages oder erzählten völlig entspannt aus ihrem Leben.
Als die Besucher die Mission als geglückt in ihr Logbuch eintrugen und die schwere Bunkertür geöffnet wurde, war tatsächlich bei den Entführten so etwas wie leises Bedauern zu spüren. Sie wurden über die Natur ihrer Entführer in Kenntnis gesetzt, erhielten das Versprechen, nicht wieder belästigt zu werden und man überreichte jedem eine Ausgabe des Spiels.
Nachdem alle wieder in ihrer Heimat waren und ihre Geschäfte wieder aufgenommen hatten, warfen große Ereignisse ihre Schatten voraus. Reformen und soziale Veränderungen, vor allem aber Maßnahmen zur Reduzierung der militärischen Präsenz wurden in die Wege geleitet. Das Spiel ging in die Massenproduktion und wurde begeistert von den Verbrauchern angenommen. Die Besucher verließen nach mehreren Umläufen des umgebenden Trabanten die Erde und traten die Reise zu einer weit entfernten Galaxis an, in der es eine blühende Welt zu befrieden galt, bevor sie von ihren Bewohnern ausgelöscht wurde. Sie waren Erfolg gewohnt, die Reisenden, und sahen ihrer zukünftigen Aufgabe gelassen entgegen – es würde klappen, wie immer.
© "Spielzeit – eine Operation mit höchster Präzision": Science Fiction von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Urheber des Bildausschnittes "Die Siedler von Catan": Matěj Bat'ha, Creative Commons-Lizenz.
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