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Er war ein Dichter und wahrscheinlich auch Sänger – einer, der Gedichte schuf und sie vortrug vor den Edlen und Vermögenden seiner Zeit und der in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts lebte. Das wäre nichts Außergewöhnliches, denn die Geschichte kennt viele der fahrenden Sänger, die oft auch von vornehmer Geburt waren und von denen einige ihre Werke hinterlassen haben. Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide sind Namen, die beinahe jeder kennt, sie gehören zu unserem Mittelalterbild dazu.
Dieser besondere Dichter nun, der nur wenige, aber dafür umso interessantere Spuren hinterlassen hat, ist Süßkind von Trimberg. In der berühmten Heidelberger Liederhandschrift, dem Codex Manesse, sind zwölf Lieder bzw. Sangsprüche zu lesen. "Süezkint von Trimperg" wird er dort genannt, und eine Miniatur des Codex zeigt ihn als Juden, würde das nicht schon durch seinen Namen belegt.
Auf diesem kleinen Bildchen nun steht der Sänger vor Gericht, angetan mit kostbaren Kleidern und dem unvermeidlichen Judenhut, den sein Volk zu jener Zeit tragen musste. Die mittelalterlichen Bilder waren in ihrer Darstellung sehr symbolisiert, sie gaben allein durch Dinge wie Hand- oder Körperhaltung Hintergrundinformationen preis.
"Liest" man die Darstellung auf die zeitgenössische Weise, weiß man, dass die Szene so etwas wie einen Streit oder eher eine Art Verhandlung zeigt. Der dritten Person auf diesem Bild kommt wahrscheinlich die Rolle eines Anwaltes oder Vermittlers zu. Viel mehr wissen wir nicht über Süßkind von Trimberg, aber allein durch seine Glaubenszugehörigkeit ist seine Person etwas absolut Besonderes, zieht man den Beruf in Betracht. Es ist wohl so, dass der Trimberger der einzige fahrende Sänger jüdischen Glaubens seiner Zeit war.
Der Autor Friedrich Torberg (1908–1979) hatte 1972 einen Roman um die Person dieses Mannes geschrieben, in dem er den Spuren eines beachtenswerten Menschen folgt. Er zeichnet die Figur des Süßkind vor einer Zeit, in der ein Judenhut seinen Träger von den meisten Dingen des öffentlichen Lebens ausschloss – außer, er bedeckte einen reichen Kopf, was allerdings nicht vor den hin und wieder fälligen Säuberungsaktionen der Christen schützte. Torbergs Sänger wird vor die Wahl gestellt, sein Judentum zu verleugnen, um seine Berufung zu leben – doch er wählt den Hut und seine Kunst. Das wird ihm zum Teil sogar zum Vorteil gereicht haben, denn die Menschen sind neugierig, was schillernde Außenseiter betrifft – vor allem, wenn sie gerade in Mode sind.
Süßkind von Trimberg könnte ein Getriebener gewesen sein, durch seine Passion weder den einen noch den anderen richtig zugehörig. Seine Texte beziehen sich auf soziale Ungerechtigkeiten, die ihm mit Sicherheit wohlvertraut waren. Er verfügte wahrscheinlich nicht gerade über Reichtümer, jedenfalls dichtet er von seiner Armut und seinen hungernden Kindern. Er sang von den Armen und Kranken, verwies auf die Herzlosigkeit der Reichen und der Fürsten. Seine Lieder haben durchaus satirische Töne, er greift auf diese Weise die herrschenden Umstände und deren Nutznießer gleichermaßen an. Auch bedient er sich des Kunstgriffs der Fabel, um etwas darzustellen, was ihm am Herzen liegt. Man könnte ihn durchaus als den Prototypen des Protestsängers sehen.
In Torbergs fiktiver Biografie stirbt der Dichter an irgendeiner Straße, erschlagen vom Pöbel oder von gedungenen Mördern. Über Anfang und Ende seines Lebens ist nichts bekannt – die Gegenwart hat nur die Texte, die er geschrieben hat und dieses Bild aus der manessischen Handschrift. Aber seine Einzigartigkeit – und vielleicht auch seine Courage – haben einen schmalen Weg durch die Jahrhunderte bis in unsere Zeit angelegt. Und wenn man seine Dichtungen aufmerksam liest, wird man erkennen, dass sie erstaunlicherweise sehr aktuell sind.
© "Süßkind von Trimberg, der fahrende Sänger": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Abbildung: "Süßkind, der Jude von Trimberg" aus dem Codex Manesse, Manessische Liederhandschrift, um 1300, Zürich (Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei).
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