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Wenn wir etwas gar nicht mögen, dann ist es jede Art der Uniformierung. Es hat viel zu viel mit Gleichschaltung zu tun – vor allem mit militärischen Dingen. Soldaten tragen so etwas, Paketboten, Ärzte – überhaupt Leute, die irgendeiner Gruppe angehören. Stimmt, das ist eine Tatsache. Nur vergessen wir, dass es weit mehr Uniformlager gibt, als wir das wahrhaben wollen. Zwar sind die zivilen Kleiderordnungen längst nicht so streng wie die militärischen, aber doch zum Verwechseln gleich.
Zu gewissen Zeiten in der Geschichte war den Ständen die Kleidung zum großen Teil vorgeschrieben – es war geregelt, wer welche Materialien tragen durfte und wer nicht – es war eine Frage der gesellschaftlichen Stellung. Wo es solche Vorschriften nicht gab, da setzte die Geldbörse die Grenzen. Man konnte also an der Kleidung der Leute ohne Schwierigkeiten ihre gesellschaftliche Stellung ablesen, und natürlich auch ihren Rang. Vieles, was Mode betrifft, war dem Adel vorbehalten – gegenteilig trug man nichts, das weit unter der eigenen Stufe rangierte. Es sei denn, zum Maskenball – oder vielleicht, wenn man inkognito unterwegs war.
Nun gut, heutzutage gibt es so etwas nicht mehr, könnte man denken. Und liegt ebenso falsch, als wenn man im kleinen Schwarzen im Hallenbad erscheint. Zwar spielen Materialien keine so große Rolle mehr wie damals, dafür aber die kleinen Schildchen, die irgendwo an den Klamotten die Herkunft des Zwirns belegen. Es liegt durchaus nicht nur am Preis – sondern meist einfach an der Zugehörigkeit.
Wahrscheinlich trägt niemand von der "Jute-statt-Plastik-Fraktion" ein Hemd von einer der angesagten Sportfirmen, die da mit Streifen oder hüpfenden Katzen, Beuteltieren oder Trittsiegeln daherkommen. Solche Leute nerven Verkäufer mit Fragen über Herkunft der Ware – sie wollen ausschließen, dass ein unterbezahlter Minderjähriger das schicke Teil in Nachtarbeit herstellen musste. Anderen ist das völlig gleich – es gibt Trendhörige, die durchaus etwas aus der Haut ungeborener Ratten tragen würden, wenn es gerade im Trend läge.
Wer zu der Gruppe gehört, die lieber das Haus nicht verlassen, als etwas zu tragen, das nicht Cliquen-kompatibel ist, möchte in erster Linie dazugehören und sich von denjenigen abheben, die nicht so toll, trendy oder cool sind, wie diejenigen, die genau so aussehen wie man selber. Und merken in ihrem Eifer nicht, dass sie gesichtslos in der Masse versinken, die fast die gleichen Klamotten, Frisuren und Klunker oder Tattoos trägt. Es ist nicht sehr einfach, die Jungs mit verkehrt herum getragenen Caps und sonderbaren Hosen mit extrem körperfernem Schritt voneinander zu unterscheiden. Noch schwieriger ist es bei Kapuzenshirts – man sieht einfach nur dunkle Silhouetten gesichtsloser Teenager mit schlurfendem oder wahlweise wiegendem Gang.
Die Mädchen zeigen Nabel und zarte Röllchen über Jeans mit breiten Gürteln, die irgendwie da halten, wo die Hüften in intimere Teile übergehen. Das war der letzte Sommer, es kann natürlich sein, dass die kommende Saison wallende durchsichtige Blusen und Kniebundhosen verlangt – es spielt keine Rolle. Übrigens: Die Japaner sind den langweiligen europäischen Modetrends stets um zehn Nasenlängen voraus.
Im Gegensatz zu früher ist das Outfit der Klassen gleich – was variiert, sind die Materialien und die Preise. Die einen kaufen beim Discounter, die anderen in angesagten Läden, wo eine Jeans das Vielfache kostet. Aber alle tragen nun einmal so ziemlich das Gleiche. Wer es nicht tut, gehört nicht dazu. Wer also Wert auf seine Individualität legt, muss sie erst einmal in eine Uniform wickeln, sonst hat er zu keiner Clique Zugang, in der er mit seiner Einzigartigkeit glänzen kann. Das war eigentlich schon immer so und wird sich wohl so schnell nicht ändern – schon unsere Mütter und Großmütter schauten mit Argusaugen auf die Kleider der anderen, um Verstöße gegen die Kleiderordnung mit Kaffeeklatschentzug oder Schlimmerem zu ahnden.
Damals galt die Faustregel: Suchst du nach interessanten Menschen, mit denen du dich austauschen kannst, halte Ausschau nach Leuten, die anders aussehen und keinen Nervenzusammenbruch kriegen, weil die zum Kostüm passenden Schuhe beim Schuhmacher sind. Aber tatsächlich ist die Kleidung eine Art Rüstung, die es erlaubt, sich sicher in der eigenen Gruppierung zu bewegen. Das richtige Zubehör verhindert Angriffe und natürlich auch Ausgrenzung und scheele Blicke. Es kann allerdings auch die Wahrnehmung verhindern oder zumindest verzerren. Das gilt für alle Altersgruppen, Berufe und soziale Schichten. Deshalb wäre die Idee einer Art Übungsuniform gar nicht so schlecht.
Wäre man der Anhaltspunkte beraubt, die ein Urteil erlauben, also Dinge wie Kleidung, Schmuck und Frisur – wenn man also nichts hätte, um sich ein Vorurteil anhand der Äußerlichkeiten zu bilden – wäre man gezwungen, auf die gute alte Kommunikation mit integrierter Aufmerksamkeit zurückzugreifen. Man müsste sich tatsächlich auf das Gegenüber einlassen, um etwas über den Menschen zu erfahren.
Fazit: gründet Empathiezirkel, in denen alle eine Art Kutte mit Kapuze tragen und ihre Klunker, Handys und iPods am Empfang abgeben. Schickt die Leute ohne Rüstung in den Ring und seht zu, was dabei herauskommt – es könnte ja sogar eine positive Überraschung sein. Und vergesst nicht, eine schwarze Liste für unverständliche Redewendungen und Abkürzungen anzufertigen.
© Textbeitrag und Foto zu "Uniformal – Das Diktat der Mode": Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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