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Es ist Ende Juli und der Tag ist ungemein sonnig, die Leute in der Innenstadt tragen Shorts und Sandalen, freie Tische in den Straßencafés sind reine Glückssache. Ein Tag zum Bummeln und Stöbern, und natürlich auch zum Einkaufen. Man betritt ein Geschäft und ... wird fast vom Schlag getroffen. Anscheinend hat man gerade umdekoriert – die Regale und Gondeln wurden neu bestückt in der einen Woche, in der man selbst nicht zum Shoppen gekommen ist.
Überall nämlich tummeln sich Nikoläuse mit Teelichtern im Bauch, Engel in wirklich allen denkbaren Variationen und natürlich jede Menge Glitzerkram für die weihnachtliche Deko daheim. Die Zehen in den Flip-Flops, die man trägt, ballen sich vor Schreck zur Faust – denn eigentlich wollte man noch etwas vom Sommer haben.
Einigermaßen verstört versucht man nun, die rotbemäntelten Keramik-Weihnachtsmänner und die kleinen Flaschen mit Spekulatiusduftöl mit den Eindrücken zu verbinden, die noch vom sommerlichen Leben draußen nachzittern. Natürlich gelingt es nicht – auch nicht, wenn man dann im Supermarkt schon weniger verschreckt vor dem Stand mit den Dominosteinen und den Lebkuchen in Brezelform (mit Zartbitterschokolade überzogen) steht und sich fragt, ob irgendetwas mit der Zeit nicht stimmt. Vielleicht hat man ja aus Versehen einige Wochen des Jahres verschlafen, oder die Bundesregierung hat einige Feiertage verschoben.
In der Einkaufstasche hat man Bratwürstchen und Grillanzünder für die Fete am Wochenende, und das Angebot will uns weismachen, dass Weihnachten vor der Tür steht. Dass dabei nicht unbedingt Freude und Lamettaseligkeit aufkommt, ist klar – aber das ist auch gar nicht Sinn der Sache, sondern es geht hier nur um Geschäftemacherei, sonst um nichts. Das Jahr hat sich irgendwie zu einer Art Zirkeltraining entwickelt, in dem man unter erheblichem Zeitdruck seine Konsumübungen machen muss. Abgehetzte Hilfskräfte, die für 400 Euro Kisten mit Spekulatius und Lichterketten (TÜV-geprüft für drinnen und draußen) auf die Gondeln räumen, helfen notgedrungen dabei, uns durch diesen wahnwitzigen Parcours des Pflichtkaufens zu dreschen.
Draußen vor der Türe blinzelt man dann in die Sonne und fragt sich, ob man diese Pseudo-Weihnachtswelt eben tatsächlich gesehen hat, während man geistesabwesend in das rasch noch gekaufte Marzipanbrot beißt. Irgendwie ist es dann schon egal, dass der Grillabend völlig versaut ist. Eigentlich ist man versucht, noch in Shorts und Sandalen die Wintersachen durchzusehen, sobald man zu Hause angekommen ist, außerdem muss der Heizölstand geprüft werden. Und irgendwo im Gehirn wird ein Programm aktiviert, das für Geschenklisten und Feiertagsorganisation zuständig ist. Dieser Selbstläufer ist nicht mehr zu stoppen – auch nicht, wenn man auf der Luftmatratze im Pool dümpelt – er sorgt dafür, dass man im Geist nach den Lichterketten sucht, die man (Anfang September) im letzten Jahr gekauft hat.
Es geht hier nicht mehr um die Weihnachtsromantik, die durch "Instant-und-jederzeit-Aufzubrühen-Rummel" völlig abflacht – es geht vor allem darum, dass man uns durch das Geschäftsjahr hetzt. Das Aussuchen und Zusammentragen des Festzubehörs verkommt zu einer völlig oberflächlichen Pflichtübung, die mehr als nur Geld kostet. Es ist wie eine gewaltige Stechuhr, die unerbittlich tickt: "Hast du, deutscher Konsument, heute schon deine Pflicht getan?"
Lust auf Schönes macht das nun nicht gerade – Kürbisse und orangefarbene Deko Ende Juni, Weihnachtsflitter Ende Juli – und wahrscheinlich stehen die Osterhasen bald direkt neben den Karnevalsmasken, wenn man noch schnell einen Tag vor Heiligabend einen Christstollen holt (den es wahrscheinlich dann schon nicht mehr gibt, weil man ja Platz brauchte für die Feuerwerks-Sortimente).
Gestresste Hausfrauen und Hausmänner, die froh sind, dass sie alle vorgeschriebenen Einkäufe eben so hingekriegt haben, müssen bei dieser neuen Bedrohung dann wahrscheinlich den Fluchtimpuls niederkämpfen – und träumen von einer Insel irgendwo am Ende der Welt, wo es weder Discountmärkte noch Kalender gibt.
© Text und Foto zu "Weihnachtsmänner im Juli: Im Land der Zeitverschiebung": Winfried Brumma (Pressenet), Juli 2011.
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