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Wenn das Kind mit einem blauen Auge nach Hause kam, hieß es früher: "Also ich hoffe, der andere hat schlimmer ausgesehen. Wehr dich gefälligst! Wenn du noch mal so heimkommst, kriegst du von mir auch noch eine Abreibung!"
Heutzutage sagt die Mutter: "Ich werde das unserem Anwalt übergeben, mach Dir da keine Sorgen. Außerdem melden wir Dich in einem Aikido-Kurs an ... und Deinen Kontrahenten schlagen wir für ein Anti-Aggressions-Training vor", ... vorausgesetzt, die Eltern bemerken das überhaupt.
Wenn das Kind sich eine Strafe verdient hatte, hieß es früher: "Du wirst die ganze Woche nicht fernsehen. Basta!"
Und heute: "Den neuen Flachbildschirm kannst Du vergessen. Räum erst einmal die drei alten Geräte aus Deinem Zimmer. BITTE."
Wenn das Kind sich ein Fahrrad wünschte, hieß es früher: "Klar kannst du das Fahrrad von deinem großen Bruder haben, wenn er auszieht. Richte dir das schön her – und ich helfe dir auch dabei."
Heute ist ein Fahrrad kein Thema, weil die Kinder den Begriff erst einmal im Internet nachlesen müssen, oder die Eltern können nur mit einem Modell punkten, das in etwa die Preisklasse eines Kleinwagens erreicht.
Wenn früher eine Familie mehr als zwei Kinder hatte, wurde sie als sozial schwach angesehen.
Heute ist das genauso wie früher – nur gibt es auch Ärger, wenn man keine Kinder hat, weil die ja die Renten der Zukunft zahlen sollen.
Früher waren Kinder mit körperlichen oder geistigen Behinderungen das Ziel von scheelen Blicken oder Anfeindungen.
Heute kommt das nicht mehr oft vor – die Kinder sind vor der Geburt das Ziel regulierender Maßnahmen.
Früher wurden Menschen, die mit über dreißig Jahren noch daheim bei Mutti wohnten, schief angesehen, belächelt und der Faulheit verdächtigt.
Heute ist man misstrauisch, wenn jemand sich unter dreißig Jahren eine eigene Wohnung leisten kann, weil das wohl nicht mit rechten Dingen zugeht.
Früher musste man die Anschaffung eines neuen Pullovers eingehendst planen, weil so ein Stück teuer war und man es mehrere Jahre zu halten hatte.
Heute steht man zweifelnd vor dem Billigklamottenladen, weil man vor dem geistigen Auge kleine Kinder in irgendeinem Schuppen der Dritten Welt malochen sieht.
Früher maulten die Kinder unentwegt wegen der widerlichen Haut auf dem Kakao.
Heute studiert Mutti Chemie, um die Spätfolgen, was den Verzehr der Frühstücksflocken betrifft, minimieren zu können.
Fazit: Die gute alte Zeit, in der alles besser war, ist bei näherer Betrachtung keine einzige Träne des Nachweinens wert. Die schöne moderne Zeit bringt uns zwar des Öfteren zum Weinen, ist aber auch nicht das Sahnehäubchen auf dem Cappuccino. Vielleicht muss man nur Geduld haben, und es kommen tatsächlich so richtig gute Zeiten.
© "Familie einst und jetzt": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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