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Märchen für Erwachsene gibt es natürlich viele – vor allem, was Filme betrifft. Denn schließlich sind wir Großen ja auch auf eine Seelenmassage hin und wieder angewiesen. Wir mögen Happy Ends und kleine Wunder, aber die kommen nicht unbedingt züchtig im Sinne von "bürgerlich und brav" daher, sondern können durchaus auch einmal Goldlamé tragen. Der amerikanische Spielfilm "To Wong Foo, thanks for Everything, Julie Newmar" ist so eine ganze Bonbonniere voller kleiner Wunder.
Es geht um zwei Drag Queens, die zu einem großen Wettbewerb an die Westküste der USA reisen und dafür ein altes Auto kaufen. Die Flugtickets haben sie verkauft, um eine dritte "Lady" mitzunehmen, der sie helfen wollen, sich im Leben einer Drag Queen zurechtzufinden. Diese Chi Chi (John Leguizamo) ist, wie Miss Vida (Patrick Swayze) und Miss Noxeema (Wesley Snipes) meinen, bis jetzt nichts als ein Bengel im Fummel und muss noch gehörig Stilunterricht bekommen. Also machen sich die drei Diven auf gen Westen und bleiben prompt mit ihrer schicken, aber maroden Karosse liegen. Vorher werden sie von einem dämlichen, aber rassistischen Sheriff angehalten, der an Miss Vida Gefallen findet und zudringlich wird, was ihm eine große Beule einbringt und ein Bad im Staub der Landstraße.
Der Ort, in dem die drei Damen stranden und vorerst festsitzen, entpuppt sich als hinterwäldlerisches Nest, in dem noch die gute alte Zeit herrscht. Es ist fürchterlich langweilig, die Bewohner leben praktisch in einem eigenen Universum ... Spießertum mit breitkrempigen Hüten und Selbstgebackenem – eine Idylle, in der die jungen Leute "Bobbie Lee" oder "Bobby Ray" heißen. Der kleine Ort erfährt so etwas wie einen Kultur-Tsunami, denn die drei Grazien lassen nichts, aber auch gar nichts, so wie es war. Dabei erweisen sie sich als durchaus segensreich ... sie reißen die Menschen aus ihrer Lethargie und bringen Farbe und Spaß in den Alltag.
Miss Noxeema bringt eine alte Dame, die jahrelang kein Wort mehr gesprochen hatte, wieder dazu, sich mit den anderen Frauen auszutauschen, und Vida verpasst dem gewalttätigen Mann ihrer Zimmerwirtin eine Abreibung. Chi Chi verliebt sich in einen hinreißend gutmütig-naiven Jungen und überlässt ihn dann doch großmütig dem einheimischen Mädchen, das ihn liebt. Die Drag Queens bringen allein durch ihre Anwesenheit Dinge ins Rollen – eine weiße Bewohnerin ist seit Jahren heimlich in ihren schwarzen Nachbarn verliebt, und beim großen "Erdbeerfest" wirft sie alle Konventionen über Bord und tanzt mit ihm. Vor allem die Frauen in dem Ort profitieren – sie erwachen wieder, in gewissem Sinne, stylen sich neu und tanzen auf der Straße, haben Spaß und scheren sich den Teufel um das, "was sich schickt".
Als der Sheriff endlich die drei "Homos" gefunden hat und deren Auslieferung fordert, zeigt sich das größte der Wunder: die Menschen in dem kleinen Nest beschützen die drei Paradiesvögel – sie stehen geschlossen dazu. Im Übrigen stellt sich heraus, dass die nunmehr von der häuslichen Gewalt befreite Wirtin sofort erkannte, dass sie es nicht mit "echten" Mädchen zu tun hatte – das aber für sich behielt. "Für mich bist du kein Mann, Vida, aber auch keine Frau – du bist ein Engel", sagt sie beim Abschied. Und das lässt die gutherzige Vida gerne so stehen.
Den ganzen Film über wird das Zwerchfell stark gebeutelt – der schöne Schluss geht aber wirklich ans Herz – man erwacht aus diesem bunten Märchen mit neu erwachter Begeisterung für den Mut zum Anders sein. Man muss keine Drag Queen sein, um das Leben schillernder und interessanter zu machen ... es kann ebenso um kleine Dinge gehen. Eine Szene des Films zeigt das trostlose Zimmer ohne jeden Komfort, in dem die Diven gelandet sind. Aber dann bilden sie ein "Dekorationskommando" – und wie durch Zauberhand wird der Raum verwandelt. Bunte Tücher hier, Glitzer und Pailletten da – aus dem tristen Kämmerlein wird der Palast der Kleopatra. Das ist ein Kniff, den jeder von uns können sollte: wenn es zu grau geworden ist, machen wir es doch einfach bunt.
Vom "Anders sein" verstehen diese durchgeknallten und liebenswerten "Ladys" sehr viel, denn es ist ihre Berufung – und dann kommen sie als Heimsuchung in dieses Dorf und verteilen großzügig den Odem des Lebens – schöner kann man ein Märchen gar nicht erzählen.
Der Film stammt aus dem Jahre 1995 – aber die Botschaft ist zeitlos. Für verbitterte oder allzu ängstlich auf Konventionen bedachte Leute ist er die reinste Therapie – den Film sollte es daher auf Krankenschein geben. Er ist einfach einer dieser Streifen, die ca. 90 Minuten lang glücklich machen. Und hoffentlich auch lange nachwirken.
© "To Wong Foo: Anders sein? Aber gerne doch!": Rezension von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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