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In einer Zeit, in der die Klassische Kunst als akademischer Kunststil vorherrschend regierte, tat sich ein eigenwilliger Revolutionär hervor, der nach individueller Freiheit strebte. Durch seine Selbstbestimmungsfähigkeit grenzte er sich von der öffentlichen Meinung ab und versuchte durch Eigenständigkeit seine eigenen Ziele und Wünsche weitgehend zu realisieren. Er war sich seiner Möglichkeiten und seines Talents bewusst, mit aller drastischen Deutlichkeit das zu malen, wo andere mit vorgeschobener Hand verbargen. Auf diesem Terrain kannte sein Selbstverwirklichungstrieb keine Grenzen und war rücksichtsloser denn je.
Kein Salonmaler, der auf das gleiche Thema zielte, konnte in gleichem Maße so viel Aufsehen erregen wie Édouard Manet. Die Zensurmaßnahmen, die ihm entgegenschlugen und die empörende Kritik, konnten seiner Souveränität, mit der er seine eigenen Prinzipien verfolgte, nichts anhaben. Manet war ein eleganter Zeitgenosse, der eine geistreiche Konversation führte und in der besten Gesellschaft verkehrte. In seiner künstlerischen Persönlichkeit schien er vielen mehr als widersprüchlich. Für die konservativen Reihen war er der geborene Rädelsführer einer jungen Generation, die einen vitalisierenden neuen Kunststil heraufbeschwor. Nicht zuletzt übte er auf die öffentlich liebevoll genannte Impressionistenbande um Claude Monet und Renoir eine Vorbildfunktion aus. Gelegentlich wiederum wurde seine Kunst als zu bürgerlich eingestuft. Dies waren sicherlich alles keine Meilensteine, die Manet das Leben mehr erschwert als erleichtert haben.
Im Jahre 1863 fertigte Manet ein Porträt von Victorine Meurent an, die vermutlich ein Mädchen aus der Unterschicht war und sich als Aktmodell einen Notgroschen dazuverdiente. Meurent wich äußerlich von dem Schönheitsideal ihrer Gesellschaft ab und inspirierte Manet mit ihren außergewöhnlichen Wesenszügen zu einer skandalträchtigen Schöpfung, deren Produktion er mit großem Enthusiasmus vorantrieb. Als im Jahre 1865 seine "Olympia" im Pariser Salon öffentlich dem Publikum vorgestellt wurde, erntete Victorine Meurent als Modell nicht weniger blankes Entsetzen als es Édouard Manet selbst zu teil wurde.
Das Gemälde zog Massen von Besuchern an, die es belächelten, verspotteten, verhöhnten und sogar bedrohten, so dass es zwangsweise an einer anderen Stelle platziert werden musste, um es vor weiteren Übergriffen zu schützen. Von nun an sollte Manet so manches Café nicht mehr unerkannt betreten können, ohne das ihm sein weltlicher Ruf vorausgeeilt wäre, denn unabhängig von dem Skandal, den Manet mit der Veröffentlichung "Olympias" auslöste, avancierte er zu einer Berühmtheit.
Doch welchen Ruf genoss er? Die Jury des Salons hatte das Werk zwar für die öffentliche Vorführung angenommen, jedoch trug dieses Entgegenkommen Manet keinen künstlerischen Sieg ein. Kritiker echauffierten sich über das geschlechtsbezogene Selbstbild seines Aktmodells, weil sie zu ihren weiblichen Formen auch männliche Merkmale aufwies. Édouard Manet versäumte es, das Bildnis einer Göttin zu schaffen, stattdessen hielt er sich zu sehr an seine Vorlage, die dem Äußeren nach eher dem Ideal eines weiblichen Burschen entsprach.
Fernab jeglicher Anekdote verschweigt Manet in seinem Meisterwerk nicht die wahre Herkunft seines Modells und präsentiert vereinfacht eine Pariserin, die in Mimik, Gestik und Haltung eine kühle, fast trockene Szenerie liefert. Der erotische Appell, der sich an den Betrachter richtet, wird gedämpft durch die mangelnde Ästhetik, die hier zum Ausdruck kommt, wobei die Art und Weise der Sinnlichkeit hier von entscheidender Bedeutung ist. Der nüchterne, wenig anmutende fast leere Blick vermag das Auge des Betrachters nicht zu verführen, eher jagt es jedem vergnüglichen und lebenslustigen Besucher einen kribbligen Schauer ein.
Die Presse äußerte sich in aufgebrachten und feindlichen Meinungen und der französische Karikaturist Charles Albert d'Arnoux, genannt Bertall, schuf für das "Le Journal Amusant" eine komische Darstellung der "Olympia", die sich als eine Form der Kritik an das bestehende Original verstand. Die Kritik interpretierte das Bild "Olympia" als mehrdeutig – daher war es nicht verwunderlich, dass man es mit käuflicher Liebe verband und daher Spekulationen und Gerüchte in Umlauf gesetzt wurden. Ein vorherrschendes Kriterium wurde von der Öffentlichkeit aber dennoch übersehen. Édouard Manet hat es vordergründig als wichtiger erachtet, "Olympia" als eine natürliche Person zu malen, als wäre sie nur sie selbst und nicht als Objekt in exotischer Verkleidung, was zweifelsfrei von ihm erwartet wurde. In dieser Hinsicht zeichnet sich der Maler in seiner Souveränität aus, ein Revolutionär wider Willen zu sein. Eine Auszeichnung, die ihn zu späterer Zeit auf ein hohes ehrevolles Podest heben wird, von dort aus er als berühmter anerkannter Künstler auf diejenigen nach unten schaut, die ihn zeit seines Lebens wegen seiner Kunst rügten.
Doch bis dahin sollte noch einige Zeit vergehen und Édouard Manet – beruflich von einem zunehmenden Befreiungsdrang befallen – war nimmer müde, sich mit seiner Schöpfung "Nana" in den nächsten öffentlichen Skandal verwickeln zu lassen. Manet liefert auch hier keine Bilderzählung, stattdessen gewährt er mit seiner offenen Szenerie intime Einblicke einer modebewussten jungen Frau, die sich in Gegenwart eines elegant gekleideten Herrn vor einem Frisierspiegel zurechtmacht, wobei die Beziehung beider Personen zueinander völlig im Unklaren bleibt. Durch die realistische und freizügige Darstellungsweise einer Dame in Dessous empörte Manet die Kritik, denn obgleich es nicht der erste öffentliche Aufruhr war, den Manet verursachte, war er doch der Maler, der bildhaft demonstrierte, was sich in den Ankleidezimmern junger Frauen vermutlich abspielte.
Manets ehrliche und aufgeschlossene Art, mit dieser Thematik bildhaft umzugehen, führte zum erneuten Ausschluss aus den Pariser Salons. Ein Einrichtungsgeschäft stellte dennoch die öffentliche Präsenz des Gemäldes durch eine Schaufensterpräsentation sicher. Zwar erhielt "Nana" von nun an regen Zulauf, doch einige Passanten erkannten in der Titelfigur eine zu der Zeit bekannte Schauspielerin, die mehr durch ihre frivole Art bekannt war, als durch ihre künstlerische Arbeit. Wieder einmal entfesselte Manet eine Welle der unbelegbaren Gerüchte und heizte das ziellose Schwatzen neugieriger Personen, die sich begierig Gesprächsstoff durch die Boulevardpresse erhofften, nur noch mehr an.
Édouard Manets Kompositionen zielen auf die wahren Gegebenheiten des Pariser Lebens, die in aller Deutlichkeit und realistisch in der Umsetzung ein Ausweichen des Betrachtes verhindern. Die daraus resultierende Moderne und hintergründige Galanterie lassen seine Bilder in ihrer ganzen Schönheit lebendig erscheinen.
© Kunstkritik "Édouard Manet: Skandale im Blickfang der Kritik" von Anja Junghans-Demtröder. Zwei Abbildungen zeigen Gemälde von Edouard Manet Olympia (1863, oben) und Nana (1877, unten), sowie die Karikatur Olympia von Bertall (1863, mitte); Quellen: Wikipedia, Lizenzen: Public domain bzw. gemeinfrei.
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