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Eine Kunstkritik von Anja Junghans-Demtröder
Der britische Maler Joseph Mallord William Turner (1775–1851) gilt als innovativ – als fortschrittlicher und mobilster Künstler seiner Zeit, mit keinerlei Berührungsängsten vor der modernen Technik einer heranwachsenden Industrienation, deren Zeuge er war. Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen trat er der Industrialisierung mutig, aufgeschlossen und sehr interessiert entgegen. War er doch der Maler, der – mobil und reiselustig – sich die neuen dampfbetriebenen Beförderungsmittel zunutze machte, um sich auf seine zahlreichen Studienreisen zu begeben.
Turner hat die Malerei auf eine Art studiert, die keine Akademie der damaligen Zeit ermöglichen konnte. Auf seinen Reisen, an die Turner von Kindheit an gewöhnt war, entwickelte er die Fähigkeit, Veränderungen seiner Umwelt zu bemerken und diese genau zu studieren. Wie kein anderer Maler seiner Zeit baute Turner in seine Landschaftsmalerei unterschiedliche Gattungen ein, die im Normalfall einer bestimmten Malgattung einer strengen Hierarchie unterlagen. An Turner bewundert man, dass er diese Regel brach und die Landschaftsmalerei vielfältig ausbaute: seine Gemälde zeigen Geschichte, Ruinen oder die Anfänge der Industrie. Dabei verlieh er seinen Kompositionen Ausdrucksstärke und Dynamik. Ob ein harmonischer Spaziergang an der Seine oder eine rasant herannahende Dampflok, alles basiert auf einem intensiven Studium der Ereignisse.
Jedoch wurde William Turner nicht als der ambitionierte Maler geboren, der die Landschaftsmalerei eines Tages revolutionieren sollte. Nein, er sollte zunächst Architekturmaler werden. Turner wuchs als Sohn eines Friseurmeisters in der Großstadtmetropole London in Stadtteil Covent Garden auf. Der Architekt Thomas Hardwick nahm den 14jährigen Turner in die Lehre auf. Die Ausbildung wurde anschließend bei dem Architekturmaler Thomas Malton fortgesetzt. Der junge Student erwies sich jedoch als zu intelligent und einfallsreich, als dass er an die perspektivisch genaue und korrekte Darstellung von Gebäuden gebunden sein sollte.
Sein Vater fasste daher den Entschluss, sein begabter Sohn möge sich einer Aufnahmeprüfung der königlichen Akademie unterziehen. So geschah es im Jahre 1789, dass William Turner bei der Royal Academy of Arts in London vorstellig wurde. Die Probezeit der Akademie sah einen Zeitraum von sechs Monaten vor, die Turner glänzend bestand. Die Royal Academy bestand zu diesem Zeitpunkt sieben Jahre und wurde im Jahr 1768 gegründet.
Die französische Académie Royale, die im Jahr 1669 gegründet wurde, war europaweit in der Kunst führend, so dass die englische Malerei bis zur Gründung der Académie Royale keine große Rolle gespielt hat. Die erfolgreich absolvierte Probezeit ermöglichte Turner das Studium der Malerei und man möchte annehmen, dass es ein wichtiger Schritt seiner aufstrebenden Karriere war, doch versetzt uns eine Tatsache in Erstaunen. Der Stundenplan der Akademie sah keinen direkten Unterricht in der Landschaftsmalerei vor – dem Genre, für das Turner eines Tages berühmt werden sollte. Die Grundausbildung der Royal Academy of Arts hielt an dem Vorbild alter Meister fest, indem sie die Studierenden dazu heranzog, alte Gemälde zu kopieren. Diese Lehrmethode prägte William Turner und er hielt auch in älteren Jahren weiterhin an ihr fest, als er ein längst angesehener Maler war. Durch das Kopieren alter Gemälde konnte Turner überdies viel über die Maltechniken der großen Meister in Erfahrung bringen und dieses natürlich umfangreich praktizieren.
Doch William Turner war ein Beobachter der Natur. Seine ausgedehnten Reisen, die er in seinem Leben unternahm, boten ausreichend Gelegenheit, die Natur und Umgebung zu studieren und dabei viel Neues zu entdecken. Und Turner war ein aufmerksamer Beobachter, der Veränderungen registrierte und diese dann in seinen Gemälden thematisierte. Das entscheidende Wissen für die Landschaftsmalerei war daher nicht akademischen Ursprungs, sondern auf viel Selbstmotivation und Ehrgeiz zurückzuführen.
Die Royal Academy wusste dies im Jahre 1799 auf besondere Art zu belohnen, indem sie Turner zum akademischen Mitglied wählte. William Turner fühlte sich mit der Royal Academy eng verbunden und lehrte fortan, nachdem man ihn zum Professor ernannt hatte, Perspektivlehre an dem Institut. Diesen verantwortungsvollen Posten, der ihn ehrte, erwarb er im Alter von 35 Jahren, der gleichzeitig Ausdruck für die Anerkennung an der Akademie war.
William Turner war sehr um seine öffentliche Wahrnehmung bemüht. Obwohl Turner auch Aufträge ausführte, war ihm die Präsenz seiner Werke durch Ausstellungen sehr wichtig. Turner war ein guter Geschäftsmann und versuchte zielorientiert, seine Gemälde publik zu machen. Es gelang ihm auch, eine eigene Galerie aufzubauen, die – unabhängig von externen Ausstellungen – ständig einen Vorrat seiner Arbeiten der Öffentlichkeit für Besichtigungszwecke zur Verfügung stellte. Turner nutzte jede sich bietende Möglichkeit, um seine Werke in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen.
Als Wegbereiter des Aquarells entwickelte William Turner einen einzigartigen Malstil, der für die Aquarellmalerei von großer Bedeutung war. Turner legte transparente Farbschichten auf nassem Papier an, wodurch die Farbe im Wasser verlief. Aus unserer heutigen Sicht ist Turner der Pionier der Aquarelltechnik, der anfing, mit verdünnter Ölfarbe zu aquarellieren.
Turner hielt seine Arbeitsweise vorzugsweise lieber im Geheimen. Für ihn zählte das Ergebnis – wie er dazu kam, blieb allein ihm vorbehalten. In seinem Atelier waren nur selten Besucher erwünscht. Daher hat er nur wenige Details seiner Arbeitsweise hinterlassen. Ein Gemälde, welches im Jahre 1846 entstand, gibt Aufschluss über Turners Malweise, die während eines Arbeitsvorgangs von William Parrott porträtiert worden ist.
Jeder Künstler hat seine eigene Verfahrensweise, Bilder entstehen zu lassen. Jean Siméon Chardin zum Beispiel malte direkt vor dem aufgebauten Motiv, Marc Chagall malte seine Welt aus der Erinnerung, und William Turner begab sich auf Reisen und entnahm seine Motive aus dem, was er gesehen hat. Sobald Turner ein Motiv erspäht hatte, holte er sein Skizzenbuch hervor. Ob Tunnel, Schiffswerften oder Dampfschiffe, in seinem Skizzenbuch hielt Turner alles Gesehene fest. Vor Ort betrieb er dann umfangreiche Studien, indem er sich eine Eisenbrücke oder eine Kupfermine ansah, den Kontakt zu den Arbeitern aufnahm und mit ihnen sprach, um Informationen und Eindrücke einzuholen.
Die modernen Anfänge der Industrie erregten Turners ganze Aufmerksamkeit. Während viele seiner Zeitgenossen den Fortschritt scheuten, stand er der modernen Maschinerie aufgeschlossen gegenüber. Turner thematisierte die industrielle Gegenwart in seinen Landschaftsgemälden mit grandioser Ausdrucksstärke und Dynamik und begriff instinktiv, dass er all die Eindrücke und lehrreichen Erfahrungen, die er in seinem Skizzenbuch festgehalten hat, sich nicht in seinem Atelier erfinden oder von anderen Gemälden ableiten lassen. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Realisierung seiner faszinierenden Kunst.
Im Jahre 1851 starb William Turner als der berühmteste Maler Englands und wurde in der Kathedrale von St. Pauls beigesetzt.
"Niemand, der mich sieht, würde annehmen, dass ich diese Bilder gemalt habe." (William Turner)
© "Der britische Künstler William Turner": Kunstrezension von Anja Junghans-Demtröder. Die Abbildungen zeigen ein Selbstporträt vom William Turner (1798), sowie sein Gemälde Rain, Steam and Speed (1844), Quellen: Wikipedia, Lizenzen: Public domain / gemeinfrei.
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