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Die Welt ist ein ständiges Drehen und Gleiten, ein Fallen und Halten, immer und immer wieder. Seit ich denken kann, bin ich ein Teil dieser Gemeinschaft und ich kann mir nichts anderes vorstellen. Es gibt noch eine Welt da draußen, sicher – aber sie hat mit mir und den anderen nichts zu tun. Es muss einmal etwas anderes gegeben haben, vor langer Zeit vielleicht. Einige von uns sprechen darüber, sie vermitteln Bilder von Stetigkeit, langer Ruhe an einem anderen Ort. Ich habe keine solchen Bilder, ich kann mir so etwas nicht einmal vorstellen. Wenn ich mit meinen Leuten zusammen bin, fühlen wir uns gut – wir genügen einander.
Einer erzählt etwas, das er gerade gehört hat von jemandem. Ich lausche auf Gedanken, von denen, die mich umgeben – das macht Spaß und so soll es ja auch sein. Nur fehlt mir meist ziemlich schnell die Bewegung ... das CHAOS. Mein Nebenmann sagt zwar, dass es kein Chaos sein kann, weil die Bewegung immer in eine Richtung geht – aber ich glaube das nicht. Wenn es losgeht, weiß man nie, wer vom Sog zuerst geholt wird. Natürlich wissen wir auch nicht, wann es wieder losgeht – kleinere Erschütterungen gehen meist voraus, dann verändert sich das Licht. Um mich herum gerät alles in Bewegung. Erst ganz langsam, dann immer schneller – es ist herrlich. Manchmal, wenn mich das Chaos zuvor als einen der ersten losgeschickt hat, kann ich es länger genießen. Oft haben wir dann noch Zeit, unsere Gespräche zu Ende zu bringen, bevor wir losmüssen.
Es ist spaßig, wenn das Gegenüber langsam, aber stetig aus dem Gesichtsfeld verschwindet und durch einen anderen ersetzt wird, während man noch die Stimme hört. Und dann kommt die Bewegung. Man fühlt sich unsicher, man wird langsam nach unten gezogen. Das kann eine Zeit dauern, aber dann wird es immer rasanter. Und wenn das große Rennen vorbei ist, findet man sich bei neuen Leuten wieder – solchen, die man schon lange Zeit nicht mehr gesehen und gehört hat. Bis zum nächsten Mal.
Eben – jetzt ... da ging ein leises Knirschen, wie von weit her, durch die Versammlung. Ist es wieder soweit? Jaaaa ... ich spüre es. Diesmal habe ich einen Platz in der Mitte, das heißt, dass ich nicht allzu lange auf den Kick des großen Falles warten muss. So schnell schon wieder – das Leben ist eine feine Sache. Ja, ich verliere den Kontakt mit meinen Nebenleuten. Ich werde schneller und kann nur kurz die grüßen, an denen ich vorbeirausche. Bald wird alles durcheinander wirbeln.
Aaaah ... was ist das? Wieso geht es nicht weiter? Das gibt es doch nicht. Ich fühle mich eingezwängt. LASST MICH DURCH! Was geschieht hier? Etwas ist falsch, ganz schrecklich falsch – ich will runter. Lasst mich runter – ich will weiter. Ich muss doch weiter – versteht ihr denn nicht. Aaaaaaaaahhh ...
Der Mann nahm die Sanduhr von der Anrichte, schüttelte sie und sagte dann zu der Frau, die am Herd stand: "Sieh mal, die Eieruhr kannst du wegwerfen. Der Sand klumpt, er rieselt nicht mehr. Wirf das Teil weg, ich besorge einen Eierkocher."
© Kurzgeschichte "Das Leben ist der freie Fall": Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Die Abbildung zeigt eine französische Karikatur über die Erfindung des Fallschirms, Lizenz: gemeinfrei.
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