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Klassiker sind Bücher, die mehrere Generationen begeistert haben und die, sozusagen, eine Menge Nachkommen in Form von Filmen haben. Außerdem wirkt so ein Klassiker inspirierend – ist die Grundidee gut, wird sie immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt.
Die Dschungelbücher von Rudyard Kipling sind ein sehr gutes Beispiel dafür – aus diesen wundervollen Geschichten sind einige faszinierende Filme geworden, so ist der Zeichentrickfilm aus den Disney Studios tatsächlich für einige richtige Hits gut. Wer kennt nicht Baloos Lied, eine bärige Hymne an die Gemütlichkeit oder eigentlich an die Lebenskunst? Der Affenkönig Louie ist zur Legende geworden und hat bei vielen Generationen für beste Unterhaltung gesorgt ... und die anderen Charaktere des Films sind ebenso bekannt. Die Realverfilmungen sind bestes Kino – vom ersten Streifen in Schwarz-Weiß bis zur hinreißenden Adaption mit Jason Scott Lee. Dieser Streifen hat teilweise kaum etwas mit der Vorlage zu tun, aber das stört niemanden, weil der Film ebenso lustig wie spannend ist. Tatsächlich kennen viele Menschen irgendeine Version der Geschichte – aber wahrscheinlich haben längst nicht alle das Original gelesen.
Kipling hat es verstanden, mit seiner Geschichte, in der Tier und Mensch gleichberechtigt agieren, von der ersten Seite an zu fesseln. Sobald man die Geschichte betritt, wird man mit den Sioniwölfen bekannt, einem Rudel im indischen Dschungel. In den Filmen wird der Name der Wölfin nicht genannt, die das Menschenjunge adoptiert – aber Kipling stellt sie tatsächlich vor. Raksha, der Dämon – das ist ihr Name. Und sie nimmt den kleinen Mowgli unter ihren Schutz, stellt sich vor das Menschenjunge, als der Tiger Shere Khan ihn als seine Beute fordert. Die Großkatze lahmt und ist deshalb auf die leicht zu schlagende Beute Mensch verfallen ... aber die Wölfin gibt das so plötzlich in ihre Höhle geschneite Junge nicht heraus – sie ist zum Kampf bereit.
Mowgli wird nicht problemlos bei den Wölfen aufgenommen, als der große Rat zusammenkommt, bei dem die Jungen geprüft und aufgenommen werden, denn es gibt viele, die keinen Menschen dulden wollen. Dass Mowgli mit dem Rudel laufen darf, verdankt er zwei besonderen Tieren. Da ist Baloo der Bär, der als Lehrmeister für die heranwachsenden Wölfe zuständig ist. Er spricht für den Menschen, ebenso wie Bagheera, der schwarze Panther. Diese faszinierende Figur ist der Lieblingscharakter vieler Leser, er verkörpert Intelligenz und Loyalität gleichermaßen. Bagheera hat eigentlich kein Recht, im Rat der Wölfe zu sprechen, aber er bezieht sich auf ein altes Gesetz, nach dem für ein Junges ein Preis entrichtet werden kann, damit es aufgenommen wird. Und der fette Bock, der frisch geschlagen in der Nähe liegt, ist ein sehr starkes Argument für viele Rudelmitglieder.
Fortan nehmen Baloo und Bagheera die Erziehung Mowglis in die Tatze, sie lehren ihn die Meisterworte der verschiedenen Dschungelvölker, was mehr als einmal lebensrettend für den wagemutigen Menschenjungen wirkt.
Natürlich erkennt man während der Erzählung gewisse Arten von Menschen in den Tieren. Beeinflussung, Selbstsucht und anderes, das wir als unsere Eigenschaften kennen, leiten auch die Wölfe und die anderen Bewohner des Dschungels. Es läuft am Ende darauf hinaus, dass Mowgli den Dschungel verlässt und zu den Menschen geht. Dort wird er allerdings ebenso verstoßen – weil er anders ist und man ihn fürchtet ... genau wie bei den Wölfen. Einige Tiere stehen nach wie vor zu ihm und er findet auch Menschen, die das tun ... aber er kann sich weder zur einen noch zur anderen Seite zugehörig empfinden. Er wird zum Meister des Dschungels, und er nimmt Rache an den Menschen, die ihn verstießen und betrogen, sowie an denen, welche ihn bedrohten.
Die Erzählung um Mowgli und sein Leben im Dschungel und bei den Menschen ist zuweilen lustig, manchmal brutal – niedlich ist sie zu keinem Zeitpunkt. Es geht um Integration, um Treue, um Verzicht und um wahre Freundschaften – aller Unterschiede zum Trotz. Am Ende wird klar, dass man miteinander leben kann, auch wenn einem nicht erlaubt wird, eine Fahne zu schwenken. Es geht um Gemeinsamkeiten und Zuneigung dabei – denn die Wölfe, die seine Milchgeschwister sind, halten ihm ebenso die Treue wie der alte Leitwolf Akela, dessen Weisheit den Menschenjungen nie ablehnen ließ. Das gilt natürlich auch für Bär und Panther.
Der alte, riesige Python Kaa, der in der Disneyversion so hinreißend schusselig und böse ist, zeigt sich im Original als weiser und ehrwürdiger Lehrer, der den jungen Mowgli schätzt und unterstützt. Das nächtliche Abenteuer in der Affenstadt ist ein spannender Teil des Buches, in dem Kaa eine wichtige Rolle spielt.
Zugegeben, Kiplings Buch ist nicht gerade neu – aber es hat alles, was es braucht, um ein echter, zeitloser Klassiker zu sein – seine Magie funktioniert noch immer. Wer es nicht glaubt, schlage es einfach auf und lasse sich in den Dschungel Indiens führen und sich hinterher wünschen, Bagheera und alle anderen wirklich gekannt zu haben.
© "Du und ich, wir sind vom gleichen Blut" – eine Rezension von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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