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Natürlich habe ich die falschen Schuhe an, was sonst? Hatte ich schon jemals in meinem Leben die richtigen Schuhe an? Schuhe, in denen ich laufen kann? Schuhe, die mich selbst auf spiegelglattem Parkett nicht im Stich lassen? Schuhe, die die fröhliche Leichtigkeit widerspiegeln, die ich in mir trage? ...
Schuhe ... die so traumhaft sind, dass sich die Männer aus meinem Lächeln befreien, ihren Blick langsam, fast lasziv an meinem Körper herabgleiten lassen, dann wie zufällig stehen bleiben, innehalten ... warten ... warten auf den Moment, wenn ich endlich vorüber bin. Nur um sich dann, so aus der Hüfte heraus, kaum merklich etwas auf dem Absatz zu drehen, um mir hinterherzuschauen ... bewundernd, fragend, neugierig. Neugierig auf die Frau, die ihre Füße in feuerroten Wildlederpumps stecken hat und leicht, federleicht, fast tänzelnd daherschreitet.
Nun gut, ich habe sie nicht an, diese kleinen, niedlichen Schühchen in Größe siebenunddreißigeinhalb, auch liegen sie nicht in meinem Urlaubskoffer. Warum eigentlich nicht, frage ich mich gerade, schließlich habe ich auch zwei Röcke, eine schwarze Jeans, den roten und den nachtblauen Blazer, sowie die flachen sündhaft teuren TODs, die diese putzigen Noppen in der Sohle eingearbeitet haben, für dieses Wochenende eingepackt. Platz wäre allemal im Koffer gewesen. Wenigstens am Abend hätte ich sie tragen können. Wenn ich dann mitten in der Nacht todmüde auf das Zimmer zurückgekommen wäre, hätte ich mich auf das Bett geworfen und sie in hohem Bogen von den Füßen geschleudert ... Augenwischerei. Natürlich weiß ich, warum ich sie nicht eingepackt habe ... weil ich keine hundert Meter in diesem fußunfreundlichen Spontan-Fehlkauf laufen kann und keine Sekunde an den Abend gedacht habe. Aber gut, dieses herrliche Kleinod steht, unwissend von meinen Träumen, gepaart zuhause in meinem offenen Schuhschrank.
In Augenhöhe habe ich sie platziert, diese edlen und streichelzarten Schätze. Ab und an werden sie liebevoll abgestaubt oder einfach nur in die Hand genommen und sehnsüchtig betrachtet. Ja, und in ganz besonderen Fällen, nämlich dann, wenn ich meiner Leidenschaft für herrliche Unterwäsche erliege (die Verkäuferin ist so reizend, dass ich nur auswählen muss, dann legt sie alles behutsam in eine Tragtasche und reicht es mir mit einem verschmitzten Lächeln über den Ladentisch. Was mir nicht gefällt, bringe ich dann ein paar Tage später wieder zurück. Es passiert sehr selten, dass mir etwas nicht gefällt.
Fräulein Melanie meint, nur zuhause ist man entspannt genug, um eine Dessous-Anprobe zu dem Genuss werden zu lassen, den sie verdient. Nur so kann man sich die entsprechende Lebensfreude schenken. Eine perfekte Geschäftsidee. Im Laden würde ich vielleicht ein oder zwei Teile anprobieren, wenn überhaupt. Ich hasse diese engen Kabinen, in denen man wie ein toter Fisch aussieht, weißgelb und fett. Auf keinen Fall würde ich in dieser sterilen Atmosphäre so lange mit mir selbst kokettieren). Also in solchen Momenten nehme ich sie aus dem Schrank, diese kleinen Schühchen, wische mit dem weichen Ledertuch, das in einer der Schuhspitzen steckt, leicht darüber und schlüpfe dann mit einem wohligen Schauer, der fast schmerzlich über meine Haut rinnt hinein, in diese kleinen roten Teufelchen.
Ich lieb-hasse diese Schuhe, seit ich sie gekauft habe. Sie passten haargenau! Wirklich! Im Schuhgeschäft saßen sie wie angegossen ... Ich bin hineingeschlüpft, an diesem wunderschönen kühlen und doch so sonnigen Frühlingsmorgen, ein paarmal mit heruntergedrückten Schulterblättern den Gang auf und ab flaniert, habe mich vor dem Spiegel mal nach rechts, dann nach links gedreht, einen Blick über die Schulter geworfen und glücklich das Kompliment des Spiegels angenommen. Die ganze Welt kann lügen, aber ein Spiegel sagt die Wahrheit, und dieser Spiegel sagte mir, dass ich wirklich gut aussah. Ich fühlte mich gertenschlank, um circa acht, nein ich würde sagen zehn Zentimeter größer. Zehn Zentimeter, einfach weil man in Pumps ebenso wunderbar hocherhobenen Hauptes daherschreitet.
Alexandra und Carmen haben mich zu einem Spaziergang eingeladen. Beide sind mir in den letzten Jahren zu lieben Freundinnen geworden. Irgendwie habe ich das Gefühl, sie schon ewig zu kennen. Es ist unser zweiter gemeinsamer Kurzurlaub in Kroatien. Als mir schon ein 'O ja, gerne' auf der Zunge liegt, erinnere mich wieder an die Strandpromenade. Da ein paar schiefe Platten, dort ein steiniger Kiesweg durch den märchenhaften Park. Wunderschön, ja sicher, aber nichts für Füße, die nach Erholung schreien. Lasst mich, habe ich gebeten, ich trinke irgendwo einen Kaffee, schaue auf das Meer und genieße den Augenblick.
Nun sitze ich also hier in meinen schlichten braunen Pumps, schaue auf das weite Meer hinaus, träume von meinen roten Schuhen, die mutterseelenallein in dem Schuhschrank stehen, und habe schmerzende Füße. Welch eine Tragik.
Ich habe es mir in einem dieser goldbraunen Sessel bequem gemacht, die dem Gast vorgaukeln, aus echten Weidenruten geflochten zu sein, aber nur aus wetterfestem Plastik sind, versinke in den dicken daraufliegenden gelben Polstern, lege die Füße, die Schuhe habe ich abgestreift, welche Wohltat, auf den Sessel der mir gegenübersteht, schließe die Augen und atme diese vom Rauschen der Wellen gekrönte Meeresbrise ein. Ich liebe diese Einsamkeitsmomente und lasse mich von der Sanftheit des leichten Windes, der mit meinen Haaren spielt, einfangen.
"Biiiitte, was kann isch tu, für Sie", zieht mich eine freundliche Stimme aus meinen Gedanken. Als ich den Kopf hebe, schaue ich direkt in die haselnussbraunen Augen von Bella. Wir haben uns im vergangenen Sommer flüchtig kennengelernt. Natürlich weiß ich, dass sie in einer dieser Strandbars arbeitet, aber ich hätte niemals gedacht, sie heute hier zu treffen. Wir freuen uns wie zwei Kinder, die sich gerade wiedergefunden haben, dann lädt sie mich auf ein Getränk ein. "Nur einen Tee", sage ich lachend zu ihr. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass sie vor mir steht. Kurz darauf stellt sie mir eine Tasse Tee mit zwei kleinen Nougat-Schokoladenherzchen auf den Tisch, streichelt mir kurz über die Schulter, entschuldigt sich, dass sie wenig Zeit hat und verschwindet. Der Tee ist köstlich und heiß, es tut gut, diese Wärme im Bauch zu spüren. Auf der Tasse liegt ein Porzellantellerchen. Zum Trinken nehme ich ihn ab, danach lege ihn sofort wieder auf die Tasse.
Vor mir liegen einige Postkarten, die ich in dem kleinen Laden neben der Bar gekauft habe. Ich bin der Meinung, wenn ich sie hier am Meer schreibe, schicke ich diese bezaubernde Atmosphäre mit. Natürlich spürt das nicht jeder, aber ich schreibe grundsätzlich nur Menschen, von denen ich weiß, sie lesen die Karte nicht nur, sie spüren auch ... sie steigen ein in meine Worte, sitzen quasi mit mir am Meer und hören die Wellen rauschen.
Irgendwann setzt sich ein junges Paar an den Nachbartisch. Er fotografiert seine Begleiterin, ob Ehefrau oder Freundin, das ist nicht ersichtlich. Sie lächelt zu mir herüber. "Soll ich ein Foto von Ihnen beiden machen?", frage ich.
"Gerne", kommt die freudige Antwort. Ich stelle die Tasse, an der ich meine Hände etwas gewärmt habe, auf den Tisch, lasse mir die Kamera kurz erklären, knipse zwei, drei Bilder, dann gebe ich dem jungen Mann den Apparat zurück. Danach geht mein Blick wieder auf das blaue, mit silbernen Schaumkrönchen geschmückte Meer.
Meine rechte Hand greift blind nach der Tasse. Genüsslich nehme ich einen großen Schluck. Ehe ich herunterschlucke bemerke ich, dass ich etwas im Mund habe. Es muss in den Tee gefallen sein, als ich dieses Pärchen fotografiert habe und vergessen hatte, den Teller wieder aufzulegen. Eine Wachholderbeere, von einem der Sträucher, die als natürliche Trennung zwischen den Bars aufgestellt sind, denke ich und spucke es in meine rechte Hand. Nein – keine Wachholderbeere, sondern eine Biene. Vorsichtig hauche ich sie an, lege beschützend die linke Hand darüber. Ganz langsam fällt das kleine Tierchen zur Seite. Bitte, bitte nicht, ich habe Dich doch nicht ausgespuckt, damit du jetzt stirbst, sage ich leise in meine zur Kuhle geformten Hände. Ob mir jemand zuhört? Keine Ahnung, das ist mir aber auch egal. Wenn ich rette, dann rette ich und mach mir keine Gedanken, ob mich jemand milde belächelt.
Einen kurzen Moment liegt sie bewegungslos da, rappelt sich dann aber doch vorsichtig auf und kriecht tee-nass wie sie ist, über meine Hand. Mit ihrem kleinen Rüssel schnüffelt sie sich vertrauensvoll zu der anderen Hand, setzt sich auf meinen Ring und als sie auch den genügend erforscht hat, tänzelt sie zwischen meinen einzelnen Fingern hin und her, schaut sich auch dort alles genau an und stolziert dann wieder zurück zu dem goldenen Ring. Nach einer Weile bewegt sie vorsichtig einen Flügel. Als Bella an meinen Tisch kommt um sich zu erkundigen, ob ich noch einen Wunsch habe, schreit sie erschrocken auf: "Bitte, mach weg, tret tot, sie sticht dich, das ist gefährlich." "Nein, sie sticht mich ganz sicher nicht, ich habe ihr doch eben erst das Leben gerettet!", lache ich zu ihr hoch.
Nach zehn Minuten kann meine kleine Biene endlich beide Flügel bewegen. Sie spreizt sie weit auseinander, versucht einen ersten Testflug vom Mittelfinger zu meinem Knie, dann auf den gegenüberliegenden Sessel, kommt noch einmal zurück auf meine Hand, bleibt dort ruhig sitzen, gerade so als wolle sie Abschied von mir nehmen und sich bedanken, dass ich sie gerettet habe. Dann fliegt sie hinaus auf das im Sonnenlicht glitzernde Meer.
Es ist so ergreifend, dass ich glücklich und traurig zugleich bin. Es ist mir, als hätte mich ein Freund, den ich gerade erst so richtig liebgewonnen habe, endgültig verlassen. Dieses kleine Erlebnis nehme ich für mich als schönstes Urlaubsandenken mit nach Hause.
Ich lächele über mich selbst, bin erstaunt, dass ich mich noch immer wie ein Kind freuen und die kleinsten Erlebnisse als wunderschön erleben kann, die andere vielleicht als banal und unwichtig abtun würden.
Meine Füße haben sich erholt, dort auf dem gegenüberliegenden Sessel. Ich schlüpfe wieder in meine braunen Pumps und habe das Gefühl, nun wirklich diesen federleichten beschwingten Schritt zu haben, den ich in mir trage. Ein junger Mann schenkt mir ein Lächeln, ich nicke ihm freundlich zu und muss leise in mich hineinlachen, als ich aus dem Augenwinkel sehe, wie er sich aus der Hüfte heraus kaum merklich auf dem Absatz dreht, um mir hinterherzuschauen.
Die einmal getragenen, streichelweichen und so blutroten Traumpumps werde ich in einen mit weißem Seidenpapier ausgelegten Karton legen und an meine allerbeste Freundin Silvia als Weihnachtsüberraschung schicken. Sie sitzt seit Jahren im Rollstuhl und kann in den Schuhen genau so wenig laufen wie ich. Genaugenommen ja sogar noch weniger. Aber wir haben eine gemeinsame große Vision:
Wenn Silvia endlich laufen kann, dann besuchen wir eine der großen Buchmessen in Österreich oder Deutschland ... Ich bin eindeutig für Wien, aber das ist vollkommen egal. Wichtig ist, dass wir es gemeinsam erleben ...
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Blutrote Schuhe
(Lyrik von Ute AnneMarie Schuster)
Blutend die Hände von rostigen Nadeln,
Leder fest und auch sinnlich zugleich.
Schumachers Auge verfängt sich in Träumen,
er sehnt sich nach Füßen, die niedlich und weich.
Traurig ergreift er die eiskalte Ahle,
widmet sich rasch einem glänzenden Schuh.
Emsig durchwühlt er die uralten Truhen,
sucht grau-trüben Blicks, nach dem Raub seiner Ruh'.
Schmeichelnde Wärme kriecht zwischen die Finger,
samtiges Rot, das verbrennt seine Hand.
Zartleises Knistern erweckt ein Erinnern,
an all jene Schmerzen, die längst er verbannt.
Uralte Briefe in Leder gewickelt,
sehnendes Herz ihm noch immer gefriert.
Abschied genommen hatt' sie ohne Warten,
auf blutroten Schuh, der ihr Füßchen verziert.
Durchtanzen wollten sie Tage und Nächte,
längst verstaubt sind die samtweichen Schuh',
einsames Wippen der schmerzenden Füße,
und Leder wie Blut raubt noch heut ihm die Ruh'.
© Texte aus "Die kleinen Dinge des Lebens: Schuhe kaufen": Autorin Ute AnneMarie Schuster; Fotos: Pressenet. Zur Kurzvita der Autorin Ute AnneMarie Schuster sowie ihrer Erzählung "Das alte Bett".
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