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Die deutsche Malerin Margret Hofheinz-Döring schuf zeitlebens rund 9.000 Bilder. In ihrer einzigartigen experimentellen Strukturmalerei übermalte sie Bilderrahmen und Stoff-Collagen. Besonders wurde sie durch mehrere Bilderzyklen zu Goethes Faust bekannt, die sie in den unterschiedlichsten Techniken ausführte.
Die Autorin Jutta Schöps-Körber lässt in ihrer Erzählung einige Episoden aus dem Leben der 1994 verstorbenen Malerin wieder aufleben.
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Sie zögerte, als sie den Eingang der Kunstakademie erreicht hatte, atmete tief durch. Ein neues Leben wartete auf sie.
Die Tür flog auf. Erschrocken fuhr sie zurück. Eine Frau kam ihr entgegen. Sie war um die 50, trug einen Bubikopf, war ziemlich unauffällig mit einem engen grauen Rock und einem dazu passenden Twinset bekleidet. Sie lächelte das Mädchen an.
"Neu hier?"
"Was? Ach so, ja." Die Studentin merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Sie kannte diese Frau. Wie hieß sie doch? Die Antwort kam, bevor die Frage gestellt worden war.
"Ich bin Ida Kerkovius. Und Sie?"
"Ich? Ich heiße Margret Döring."
"Ein Namen, den man sich merken muss?"
"Vielleicht!"
Die Kerkovius schmunzelte.
"Haben Sie Lust auf einen kleinen Spaziergang? Bis zur Begrüßung der neuen Studenten ist noch Zeit. Im Park der Staatsgalerie hier um die Ecke gibt es Bänke und im Sitzen plaudert es sich besser."
"Ich weiß nicht", meinte Margret plötzlich spröde, "warum haben Sie mich angesprochen?"
"Neugierde? Es gibt nicht so viele Frauen hier in dieser Männerdomäne. Und Sie kamen mir etwas verloren vor."
"Ph", machte Margret, verstimmt, weil sie so leicht zu durchschauen war. Doch die Kerkovius war nett. Und sie hatte es geschafft, als Künstlerin anerkannt zu werden. Sie war Meisterschülerin gewesen – bei – bei – jetzt fiel es ihr ein.
"War er wirklich so zukunftsweisend?", platzte sie heraus.
"Wer?"
"Der Hölzel!"
"Ach, so!", Ida lachte erneut. "Nun, ich möchte es mal so ausdrücken: Wenn er nicht seine Damenklasse eröffnet hätte, wären Sie heute wohl kaum hier und könnten nicht zeitgenössische Kunst studieren."
"Er war das? Davon weiß ich nichts!"
"Natürlich nicht. Hölzel verheimlichte es. Damals war es nicht erwünscht, Frauen mit der Modernen bekannt zu machen. Doch er hielt sich nicht daran."
"Woher weiß man davon, wenn er darüber nicht sprach?"
"Weil Frauen wie ich eifrig bei Hölzels Vorlesungen mitschrieben." Die beiden gingen nebeneinander her.
"Margret, Sie müssen wissen, wenn sich die Zeiten auch geändert haben, wir Frauen werden in der Kunst noch immer nicht anerkannt." Die Studentin wusste darauf nichts zu erwidern. Sie hatten inzwischen den Park erreicht und die Kerkovius steuerte auf eine Bank zu.
"Schön hier!", meinte Margret, doch da wurde Ida heftig:
"Fassade. Alles nur Fassade!" Das klang bitter. "Sie werden es noch merken. Kennen Sie die Malerin Lily Hildebrandt?" Es störte Ida nicht, keine Antwort zu bekommen. Erregt redete sie weiter: "Sie sagte einmal, dass die Frau als Künstlerin neben dem Mann als Künstler immer nur die zweite Stimme im Orchester spielen würde. Und Emil Nolde behauptete, Kunst sei im höchsten Ausmaß eine männliche Funktion." Sie hielt inne, aber bevor Margret etwas erwidern konnte, brachte sie ein weiteres Beispiel: "Und Bruno Paul, Architekt und satirischer Zeichner, wurde 1901 im Simplicissimus sogar bösartig, als er von uns Malerinnen behauptete, wir gingen nur auf die Akademie um einen Ehemann zu finden oder hätten kein Talent."
Margret war verwirrt. Sie wollte nichts darüber hören, dass Frauen unterprivilegiert sein sollten. Das mochte für die bürgerlichen Frauen gelten, aber nie, niemals für Malerinnen wie sie, wie sie eine werden wollte. Künstler waren frei. Immer.
Also lenkte sie das Gespräch erneut auf Hölzel.
"Wo lernten Sie ihn kennen? Hier in Stuttgart?"
Ida wusste sofort, von wem Margret sprach.
"Nein, er wurde erst 1905 hierher berufen. Ich studierte zwei Jahre vorher bei ihm in Dachau. Ich war gerade aus Italien zurückgekommen."
Margret war beeindruckt. Das war die Welt, von der sie träumte! Die Künstlerkolonie Dachau, Italien – jeder Künstler, der etwas werden wollte, hielt sich eine Zeit lang dort auf. Aber sie? Ihre Eltern hatten kein Geld. Sie seufzte. Ida sah sie an:
"Sorgen?"
"Ich? Nein. Vielleicht. Italien – es muss wunderschön dort sein."
"Wenn man Kunst studiert, muss man die alten Städte besuchen, Rom, Venedig, Florenz! Unverzichtbar."
Über Margrets Gesicht zog ein Schatten. Hatte sie sich mit dem Kunststudium doch übernommen? Den Eltern fiel es schon schwer, die Gebühren dafür aufzubringen, eine Reise nach Italien – undenkbar.
"Na, na", meinte Ida und tätschelte Margrets Knie, "Sie werden doch den Kopf nicht hängen lassen, Kindchen! Sie stehen doch am Anfang! Welche Richtung wollen Sie denn studieren?"
"Kunst auf Lehramt. Aber eigentlich will ich nur malen."
"Na also, da werden Sie ihr eigenes Geld verdienen, unabhängig sein. Ein bisschen gespart und schon können Sie reisen. Ach, ihr jungen Leute, Euch steht doch die Welt offen! Sich nur nicht binden, Fräulein Döring! Sich nicht an einen Mann hängen! Der bremst Sie aus! Und wenn dann noch ein Kind kommt ... zu Ende ist die Karriere als Malerin, glauben Sie's mir."
"Aber wenn das Kind in die Schule geht, dann ist doch wieder Zeit zum Malen", wagte Margret einzuwerfen.
"Aber auch nur, wenn es dem Herr Gemahl gefällt. Wenn's dem genehm ist! Es ist nicht nur das Malen! Es geht auch um Ausstellungen! Was wollen Sie tun, wenn Ihr Mann Ihnen verbietet auszustellen? Sich mit ihm anlegen? Nein, nein, nehmen Sie mich als Beispiel. Ich sorge für mich selbst! Bin nur mir verantwortlich." Sie hielt kurz inne, so, als müsse sie sich sammeln, fuhr dann fort:
"Sie werden es besser haben als ich. Lehrerin, Beamtin, denken Sie doch, unkündbar! Großartig! Keine finanziellen Sorgen, auch dann nicht, wenn Sie mal krank werden! Ein glückliches Leben!" Sie stoppte erneut ihren Redeschwall, schlug dann einen anderen Ton an:
"Wie gesagt, hängen Sie sich nicht an einen Mann! Mal einen zum hübsch Ausgehen, das sollte selbstverständlich drin sein, aber ein gemeinsames Leben mit einem Mann, da sitzen Sie im Käfig. Der mag vielleicht golden sein, aber eben doch ein Käfig, mit Gitterstäben."
Der Stundenschlag einer Uhr drang von irgendwo herüber. Ida sprang auf.
"Genug geplaudert! Ich muss zum Württembergischen Kunstverein. Ich werde dort ausstellen. Machen Sie's gut!", und schon lief sie davon. Nach ein paar Metern drehte sie sich noch einmal um:
"Was ich noch sagen wollte. Bleiben Sie, wie Sie sind: Kurze Haare, unauffällig gekleidet. Nur nicht das Weibchen raushängen lassen, nicht auf der Akademie. Anpassung ist das Zauberwort!" Dann eilte sie weiter.
© "Die Malerin (Erster Teil: 1930) – Ein neues Leben" – eine Erzählung von Jutta Schöps-Körber, 2012
Jutta Schöps-Körber schreibt bereits seit ihrer Kindheit. Die ehemalige Deutschlehrerin und in Baden-Württemberg lebende Schriftstellerin veröffentlicht bereits seit 1985 Erzählungen und Romane, zum Teil mit historischem Hintergrund.
Ihre Schwerpunkte sind zum Beispiel: die Geschichte Assyriens, Selbstfindung, die Auseinandersetzung mit dem Tod, sowie Kritik an Gesellschaft und Politik. Jutta Schöps-Körber kann bereits einige wichtige Literaturpreise ihr Eigen nennen.
Besuchen Sie auch die Foto-Galerie der Malerin Margret Hofheinz-Döring.
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