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"Widerliches Viehzeug, irgendwann werde ich dieses Ungeziefer ausrotten!" Der dicke Kerl quetscht seine tägliche Hymne zwischen den Wulstlippen hervor und scheppert mit den Mülltonnen herum. Ich sehe meine Schwester an und lächle, obwohl ich mich unvorstellbar belästigt fühle durch dieses immerwährende Gekeife. "Haben wieder einen Vogel gerissen, die dreckigen Mörder. Aber irgendwann erwische ich die, und dann mache ich mir Hausschuhe aus denen." Diese Variante ist, zugegebenermaßen, neu für uns.
Sylvana liegt auf der Couch und blättert in einer Zeitschrift, sie lässt sich nicht anmerken, ob sie unseren überaus beliebten Hausmeister hört, aber ich denke, dass ihr kein Wort entgeht. Rumms – die Hoftüre fällt ins Schloss. Das bedeutet, dass er drinnen ist, der Kerl, und sich erst einmal ein Bierchen gönnt, bevor er seinen plumpen Körper wieder an die Arbeit hievt, für die er bezahlt wird. Hausmeister Henning ist unsere Crux, unsere Gräte im Fisch, sozusagen. Er züchtet Vögel und ist der erklärte Feind aller Katzen. Zwar sind seine Federbällchen in Käfige in der Wohnung eingepfercht, aber er nutzt jeden Taubenkadaver, um den gefühlvollen Helden zu geben – und seine Mutter ist jedes Mal hingerissen. "Ralf ist ein so gefühlvoller Mensch", seufzt sie dann und verdreht die Augen wie ein Lachgasjunkie. Und wie gefühlvoll er ist, der Ralf ... er hat vor allem grundsätzlich das Gefühl, mit seinen großen Pfoten nach allem zu grapschen, das entfernt nach Weiblichkeit aussieht.
Wenn die Wohnlage nicht so herrlich wäre, hier am Waldrand, wären Sylvana und ich längst ausgezogen. Aber der Wald vor der Haustüre ist absolut unwiderstehlich, und diese Ruhe ist sogar das morgendliche Gekeife des gefühlvollen Ralfs wert. Beinahe jedenfalls, denn der Gute hat noch mehr Eigenschaften, die mich fürchterlich stören. Er hat, wie könnte es anders sein, einen großen Hund. Es ist so eine Mischung aus verschiedenen Molosserschlägen, aber eigentlich ein grützdummes und auch ziemlich gutmütiges Vieh. Syl und ich mögen Hunde nicht, aber dieser da tut uns leid. Der Hausmeister möchte so gerne einen richtig scharfen Hund haben, und dazu einen, der auf jeden scheelen Blick seines Herrn reagiert – aber "Devil", wie die Wurst auf Beinen heißt, ist für so etwas nicht geschaffen. Er ist bequem und von äußerst großer Gemütsruhe, und das ist Herrchens Glück. Denn jeder andere Hund, der solch anerkannt gefährlichen Rassen entspringt, würde bei dieser Behandlung Herrchens Kehle durchbeißen.
Ich glaube, das Tier hat noch nie ein ruhig gesprochenes Wort gehört, denn der großartige Hundeabrichter Ralf plärrt nur Befehle – und immer völlig verschiedene hintereinander. Devil ist gut gepolstert um die Rippen herum, das isoliert ein wenig gegen die wohl zärtlich gemeinten Tritte seines Herrn und Meisters. Ralf verliert sich gerne in Träumen, in denen sein Hund die von ihm apportieren Katzen vor die Haustüre legt. Aber wie Syl und ich wissen, ist die Schnarchnase von Hund zu langsam, um ein solches "Wild" zu erwischen – außerdem ist er zu freundlich. Er muss zwar jede Nacht draußen bleiben, damit er endlich mal eines dieser "Viecher" erwischt, aber bis jetzt musste Ralf sich auf das ausgelegte Gift verlassen – das er ja nur wegen der Ratten auslegt, wie er sagt. Wieso er es dann immer wieder mit kleinen Häufchen von frischem Hack garniert, haben wir ihn nicht gefragt. Er hält Feliden für ebenso blöde wie er es ist, und deshalb ist er nicht wirklich gefährlich für sie.
Gestern haben Syl und ich unten im Hof gestanden und uns an die von der Sonne gewärmte Mauer gelehnt, einfach um die laue Luft zu genießen, jetzt da es Sommer wird. Als der Widerling dann vorbeigekommen ist, sind ihm seine kleinen Triefaugen fast vor den Kopf getreten, als er uns gesehen hat. Es war einfach ein Tag für Shorts und luftige Oberteile. Was er im Vorbeilaufen von sich gegeben hat, habe ich aus reinem Selbsterhaltungstrieb sofort vergessen. Ist auch besser so. Dann hat er, um uns zu imponieren, den Gang eines Ninjas mit einer Panzerfaust über der Schulter nachgeahmt und in seinem Machorausch noch eben seinen Hund dermaßen getreten, dass er heute noch hinkt – nur weil er uns begrüßen wollte und deshalb nicht mehr "bei Fuß" getrottet war. Wie ich schon sagte, wir mögen Hunde nicht – aber das hier geht eindeutig zu weit.
Ralf hat das Fenster zu seinem "Arbeitszimmer" offen gelassen, damit der beißende Gestank von zu selten gereinigten Käfigen sich etwas verzieht. Mutti hasst das – tun kann sie nichts, denn sie sitzt im Rollstuhl. Ja, und damit die bösen Katzen draußen bleiben, hat er Kaninchendraht vor das Fenster gespannt. Als wir abends kurz im Hof waren, um noch etwas aus dem Auto zu holen, hat Syl mit einem Handgriff den Draht gelockert – das war einfach bei der schlampigen Arbeit unseres Starhandwerkers. Und wenn er es nicht bemerkt, wird es sehr einfach sein für eine Katze, in das dunkle Zimmer mit den vielen Käfigen zu gelangen.
Als die Dämmerung hereinbricht, stehen Syl und ich am Fenster und schauen hinunter zu dem offenen Fenster von Ralf. Er sitzt vor dem Fernseher im Wohnzimmer, heute kommt irgend so ein dämlicher Actionfilm und er hat sich einige Sixpacks besorgt. Das bedeutet, er wird bald einpennen und nichts, aber auch gar nichts mitbekommen. Seine Tiraden über die vielen "dreckigen Katzen" in der Gegend, sie sind beleidigend.
Während ich das Ziehen unter der Haut spüre und Syls keuchenden Atem im Dunkel neben mir, verändert sich meine Perspektive völlig. Ich denke mit böser Freude daran, dass es hier in der Gegend gar keine Katzen gibt ... nur die beiden, die im Haus leben und von denen keiner weiß. Die Metamorphose ist nun abgeschlossen, Syl reibt ihren Kopf an meiner Schulter und ihre grünen Juwelenaugen sehen mich auffordernd an. Gemeinsam und weich wie Schatten aus Dunst springen wir von der Fensterbank in den Hof hinunter ... dahin, wo das Fenster mit dem lockeren Kaninchendraht ist.
© Text und Foto zur Kurzgeschichte "Katzenplage – Ein Hausmeister greift durch": Winfried Brumma (Pressenet), 2012.
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