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Ich traf die Type im Park, als ich mit unserem Hund gemächlich an den Bänken entlanglief. Was mir auffiel war, dass da jemand saß, der einen weiten Mantel trug – bei über 25 Grad im Schatten. Bei so was denkt man entweder an einen Exhibitionisten oder einen Junkie, der ständig zittert. Aber die Gestalt, die in dem übergroßen Trench steckte, sah nicht nach so etwas aus. Mein Hund zog schnüffelnd in die Richtung der Bank, was mich wunderte, da Oskar im Allgemeinen nicht auf die Leute zugeht. Ich nahm es als Zeichen und setzte mich neben den Mantelträger.
Erst verstohlen und dann offen sah ich mir meinen Banknachbarn genauer an – und kam auch ziemlich ins Schleudern. "Er" oder "Sie", das war die Frage, denn so genau konnte ich das nicht erkennen. Es handelte sich hier entweder um eine hochgewachsene Frau mit maskulinen, beziehungsweise herben Zügen oder um einen sehr schlanken und zart wirkenden Kerl. Lange blonde Haare mit diesen Kräusellocken tragen ja beide Geschlechter. Jedenfalls räusperte ich mich und sprach die Person an: "Geht es Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?" Zugegebenermaßen nicht gerade der sensationellste Gesprächseinstieg, aber der blasse Banknachbar sah aus, als wolle er gleich von seinem Platz kippen, so bleich war er.
Als er oder sie langsam den Kopf drehte, sah ich in rotgeäderte Augen von sehr hellem Grau, die mich müde fixierten. "Danke, mir geht es zwar ziemlich mies, aber helfen kann mir keiner. Es liegt einfach an meinem Job, wissen Sie." Die Stimme war sehr angenehm, irgendwie sachlich, aber mit einem sympathischen Klang. Den Gedanken an Heroin und solche Dinge hatte ich gefühlsmäßig schon aufgegeben – wer immer das hier war, er war einfach erschreckend müde. Also stellte ich mich vor, was mit einem Kopfnicken quittiert wurde und mit folgenden Worten: "Mich nennen alle Gabi." "Ach", sagte ich, "von Gabriele?" Ein sonderbarer Ausdruck erschien in den Augen des müden Banknachbarn, aber er zuckte mit den Schultern – so, als wäre das nicht von Wichtigkeit.
Dann fragte ich Gabi nach dem Job, der offensichtlich sehr anstrengend war. "Ich bin in der Sicherheitsbranche tätig. Mein Job ist es aufzupassen, dass niemandem etwas geschieht." Das fand ich nun ungeheuer interessant – ich hatte es mit einer Art Bodyguard zu tun und sprach das auch aus. Gabi legte den Kopf mit den leuchtend blonden Locken etwas schief, nickte dann aber zustimmend. "Sie machen wohl rund um die Uhr Dienst", sagte ich mitfühlend. Denn die ungeheure Abgeschlagenheit, die ich erkennen konnte, war damit einigermaßen erklärt.
"Das kann man wohl sagen", erwiderte die Gestalt im Trench. Zögernd sprach sie dann weiter: "Früher, also sehr viel früher", sagte sie mit einem sonderbaren Seitenblick, "da war das noch weitaus weniger anstrengend. Die zu schützenden Personen waren leicht zu bewachen, man konnte schnell eingreifen und jeder war dankbar für unseren Service. Aber heute ...", hier schloss Gabi einen Moment lang gequält die Augen, "heute stellen sich die Schutzobjekte gegen uns."
"Stellen sich gegen Sie?", echote ich verständnislos. "Ja – stellen Sie sich vor, es gibt so viele Gefahren, dass für jeden Schutzbefohlenen mindestens drei Wachen abgestellt werden müssen. Und selbst dann können wir nicht wirklich Leib und Seele schützen." Flüchtig dachte ich an hochrangige Politiker oder sogar Gangsterbosse, die jeden Moment im Kugelhagel sterben können, aber da sprach Gabi schon weiter: "Jeder einzelne Mensch bemüht sich, von dem Moment an, da er beweglich ist, auf seinen Tod zuzukrabbeln. Sehen Sie sich doch um ...!" Damit zeigte mein neuer Bekannter auf die Kinder, die im Vorbeigehen Fritten und anderes Zeug aus der Parkimbussbude mampften.
Dann fuhr der Zeigefinger herum und deutete auf einen jungen Kerl mit glasigem Blick, der eben etwas auf die Zunge legte und mit Bier hinunterspülte. Dann weiter zu einer Gruppe sehr übergewichtiger Senioren, die sich über die Konditorei unterhielten, von der sie gerade kamen. Wieder ein Schwenk auf die Zeitung, die im Papierkorb steckte und wo das Wort "Ozonloch" gerade noch als Leitartikelüberschrift zu erkennen war.
"Verstehen Sie", flüsterte Gabi heiser, "anders als früher, als ich mit dem Job anfing, kann man sich mit jedem Atemzug, mit jeder Bewegung und sogar mit Gedanken ernsthaft schaden ... und fast alle tun es auch. Viele freiwillig, viele auch, weil es nicht anders geht. Dabei sind Krieg und Gewalt noch gar nicht mitgerechnet." Mir fiel auf, dass Gabi's Trenchcoat am Rücken stark ausgebeult war und ich überlegte, ob es so etwas wie einen buckligen Bodyguard geben könne, als die Gestalt sich von der Bank erhob.
"Die Pause ist vorbei, ich muss meinen Kollegen ablösen, damit der sich eine kleine Auszeit nehmen kann. Es war nett, das mal aussprechen zu können – unsereins hat ja so gut wie nie Gelegenheit dazu. Ich wünsche noch einen guten Tag, und passen Sie auf sich auf. Wir können das nicht wirklich in diesen Zeiten." Das müde Gesicht hatte einen entschlossenen Ausdruck angenommen. Mit langsamen Bewegungen knöpfte mein Gesprächspartner dann den Mantel auf, hielt inne und lächelte schwach. "Ach ja ... Gabi kommt von Gabriel." Sprachs, warf den Trenchcoat ab und entfaltete die nunmehr sichtbaren Flügel. Dann verblasste das Bild und ich sah mich allein mit einem fadenscheinigen Regenmantel, an dem wedelnd der Hund schnupperte.
© "Security – Die Type im Park": Kurzgeschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Bildnachweis: Cooler Gangster, CC0 (Public Domain Lizenz).
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