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Ein Park am Stadtrand an einem sehr warmen Tag. Es ist ruhig, auf eine nicht stille Weise – es fehlt der Verkehrslärm, aber man hört Kinder und Hunde und sogar Bienen und Hummeln. Parkgeräusche eben, so wie sie zu einem Sommertag gehören. Das zentrale Blumenrondell ist von Bänken umsäumt, auf denen meist ältere Leute sitzen, so auch an diesem Tag. Einige kennen sich vom Sehen, aber auch so grüßt man und setzt sich unbefangen zueinander auf die Bänke.
Heute sind es mehr Leute als sonst, es ist einer der ersten wirklich heißen Tage in diesem Jahr. Die Leute am Rondell betrachten wohlwollend und lächelnd die herumrennenden Kinder, die begeistert hechelnden Hunde und unterhalten sich ein wenig über dies oder das. Wenn ein Neuankömmling auftaucht, rückt man ein bisschen mehr zusammen auf den Bänken, es gibt Platz genug für alle.
Ein kleines Mädchen fängt laut an zu weinen, es hat seine Eistüte fallen lassen und ist untröstlich. Es hört nicht auf mit dem Geschrei, bis seine Mama es seufzend zum Kiosk zieht, um Ersatz zu beschaffen – die älteren Leute am Rondell beobachten amüsiert die Szene. Dann sagt eine Frau, die vielleicht um die sechzig herum ist: "Der Geruch von Eiscreme, das gehört für mich zum Sommer. Dieser leicht klebrige, süße Duft von in der Sonne schmelzendem Eis." Die anderen nicken und lächeln. "Für mich riecht der Sommer nach heißem Teer, wenn die Straße so richtig am braten ist ... in meiner Kindheit war das genau das, was für mich die Ferien eingeläutet hat und die lange, heiße Zeit." Das findet Zustimmung, viele erinnern sich an diesen speziellen Geruch. Einer nach dem anderen, Männer wie Frauen, öffnen die Türen der Erinnerung und erzählen von den Gerüchen des Sommers.
"Der Regen auf dem heißen Asphalt." "Brennnesseln und Lagerfeuer." "Das gechlorte Wasser vom Schwimmbad war für mich Sommer – Urlaub konnten wir uns nicht leisten", sagt ein älterer Herr und nickt dazu, "wir waren von acht Uhr am Morgen im Bad, bis geschlossen wurde. Und das war nicht so ein moderner Wellness-Tempel wie hier, das war eine simple Sache." Und er denkt wehmütig an die Freuden seiner Kindheit zurück, lässt den Duft der frühen Jahre wiedererstehen. Immer mehr beteiligen sich am Gespräch, es faltet sich ein wunderschönes buntes Panoptikum auf – macht die verklärten Erinnerungen für alle sichtbar.
"Billige Brause und Brezeln!", ruft eine Frau und lacht dabei. "Die habe ich meiner Mama immer rausgeleiert und hab dann mit meiner Freundin geteilt." Alle lachen und steuern kleine Anekdoten bei, Geschichten zum Lächeln oder auch mit einem wehmütigen Überzug.
Eine Frau, die bisher nichts gesagt hat, wird von der Banknachbarin angestupst. "Und Sie, was ist für Sie der Geruch des Sommers? Oder haben Sie's vergessen?" Die so angesprochene – eine Frau in den besten Jahren, aber näher an den Sechzigern als den Fünfzigern, blickt auf, als würde sie aus einem Traum aufwachen. Dann lächelt sie leicht und sagt: "Badelatschen." Die am nächsten Sitzenden lachen. "Badelatschen?", fragt diejenige, welche die bisher Schweigende angesprochen hatte. "Wieso denn ausgerechnet Badelatschen?"
"Der Geruch", sagt die Frau. "Für mich war es wirklich Sommer, wenn wir auf den Treppenstufen vor dem Eingang zum Park gesessen haben. Wir trugen solche Sandalen mit Gummisohlen, so was wie diese Flip-Flops heute. Dieses Gummizeug hatte so einen intensiven Geruch, wenn es richtig heiß war. Es roch eigentlich nicht so besonders toll, aber es gehörte zum Sommer dazu. Außerdem liebte ich meine 'Schlappen', die waren billig, und wenn sie sich auflösten, bekam ich neue. So etwa drei Paar brauchte ich im Sommer etwa. Meine Mutter sagte immer: 'Das ist immer noch billiger, als alles andere, was ich dem kleinen Reißteufel an die Füße ziehen könnte.'"
Alle lachten, und die Frau erzählte weiter: "Einmal bekam ich von meiner Tante ganz spezielle Latschen geschenkt. Sie hatten eine wundervolle Farbe und rochen richtig neu, selbst als sie schon ziemlich kaputt waren. Ich hab meine Freundin verhauen, weil sie sagte, dass die Dinger hässlich wären. Ich war so stolz auf die Dinger. Sie waren hellgrün und mit Punkten. Solche hatte niemand sonst."
"Und vorne drauf waren kleine Gänseblümchen aus Plastik." Der das sagte, saß eine Bank weiter. Ein Mann mit Brille und Baskenmütze, wohl etwa im gleichen Alter wie die gewesene Sandalenträgerin. Die aber lehnte sich vor, um ihn besser sehen zu können und fragte erstaunt: "Das stimmt, aber wieso können Sie das wissen?"
"Ich weiß das, weil ich meine heulende Schwester nach Hause brachte und ihr ewige Rache schwor, wenn sie noch einmal irgendetwas Böses über Deine Latschen sagen würde. Die fand ich nämlich ganz toll, Marianne. Leider hatte ich nie den Mut, das zu sagen." Die Frau sah mit großen Augen zu dem Mützenträger hin und sagte dann: "Werner ... mein Gott, Du bist Werner." Dann lachte sie. "Deshalb hat Ingrid nie mehr was zu mir gesagt. Da muss ich mich ja heute noch bedanken."
Dieses Zusammentreffen brachte neuen Schwung in die Runde – man freute sich mit Marianne und Werner, die unbekümmert vor allen anderen ihre Lebensgeschichten austauschten ... seit der Kindheit hatten sie sich aus den Augen verloren. Und dann sagte Werner: "Für mich hatte der Sommer immer etwas Grünes ... mit kleinen weißen Punkten", und während er das sagte, zwinkerte er. Der Abend war noch lang, und es gab viel zu erzählen ... Plastikblümchen welken eben nicht.
© "Weiße Punkte auf Grün": Kurzgeschichte und Abbildung von Winfried Brumma (Pressenet), 2012.
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