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Ein Name wird gesucht für ein neugeborenes Kind – und alle werfen sich begeistert in die Diskussion. Etwas Gediegenes wünscht sich der Vater, und die Mutter hätte gern einen Namen, der gerade in Mode ist. Gediegen ist gut, könnte aber leicht archaisch auf die späteren Mitschüler wirken. Modenamen haben dann wiederum den Nachteil, dass der Lehrer nur einen Schüler meint, aber gleich vier oder fünf antworten, weil sie alle gleich heißen.
Einfach ist die Sache mit dem Namen nicht wirklich, denn auch der Nachname muss in Betracht gezogen werden. Bestehen beide Namen aus einer Silbe, könnte sich das wie ein gebrülltes Kommando anhören. Und Doppelnamen sollten nicht auch noch mit einem Bindestrich versehen werden, weil niemand so viel Zeit hat, das herunterzubeten.
Aber tatsächlich haben die meisten Einfälle der namensgebenden Erwachsenen etwas gemeinsam: Niemanden interessiert die Bedeutung. Wenn nun ein schwedisch blondes Mädchen ausgerechnet Melanie heißen muss – was "die Schwarze" bedeutet – macht das nicht wirklich etwas aus. Zum einen weiß das kaum jemand, zum anderen sind Namen in unserem Kulturkreis eine bloße Bezeichnung. Da auch dies streng reglementiert ist – manchmal zum Glück für die neuen Weltbürger – steht nur eine begrenzte Auswahl zur Verfügung und muss recht und schlecht angepasst werden.
In der Vergangenheit und auch in anderen Weltgegenden wurde oder wird das etwas anders angegangen. Der Name war etwas, das ebenso lebendig war wie der Träger – eigentlich war es der Mensch selber. Deshalb gab es Völker, in denen es Brauch war, den ureigenen Namen niemandem zu verraten, um zu verhindern, dass jemand durch diese Kenntnis Macht über den Träger gewinnen konnte. Überhaupt wird diesem gesprochenen Abbild des Selbst eine große magische Kraft zugesprochen. Wer den Namen eines Lebewesens kennt – den wahren Namen – kann es in seine Gewalt bringen bzw. darüber gebieten. Es gibt eine alte Geschichte über einen rachsüchtigen Barden, der einen König verfluchen wollte und dem das nicht gelang, weil dessen Name in kein magisch moderates Versmaß zu bringen war. Seit jeher war es also kein bloßes Bezeichnen, so dass man jemanden eben irgendwie rufen oder benennen konnte, sondern ein weitaus wichtigeres Unterfangen: das Namensgeben.
Von den Indianern Nordamerikas weiß man, dass bei vielen Stämmen der Name nicht unabänderlich war, sondern Wandlungen unterworfen sein konnte – je nach den Ereignissen, die dem Träger widerfuhren, oder auch seinen Taten entsprechend. In China kennt man noch heute den "Milchnamen". Solange das Kind klein ist, hat es einen Kose- oder auch liebevollen Necknamen, der es durch die Kinderzeit begleitet. Erst wenn ein offizieller Vorname gebraucht wird, bekommt ihn das Kind. Wahrscheinlich entspricht der endgültige Name dem Kind weitaus mehr als die übereilte "Taufe", wie wir sie kennen.
Allerdings kann man einem Säugling kaum einen Namen geben, der wirklich etwas mit ihm als Person zu tun hat – das wäre erst später möglich. Aber unsere Bestimmungen lassen so etwas kaum zu, schließlich muss der neue Mensch ordentlich mit Vor- und Zunamen geführt werden können. Und hat das Kind nun einen Namen, muss es ihn auch behalten – eine Änderung ist kaum möglich. Wahrscheinlich wäre der Verwaltungsaufwand gigantisch, könnte jeder heißen wie er will und das öfter ändern. Für denjenigen, der den Namen tragen soll bis zum Tod, wäre es allerdings nur gerecht, wenn er ein Mitspracherecht hätte.
Ein interessanter Gedanke dazu wäre der vorläufige Vorname, der bis zu einem gewissen Alter gültig ist. Dann kann, ein einziges Mal, eine Änderung vorgenommen werden, allerdings nur vom Namensträger selber. Man kann getrost davon ausgehen, dass nicht alle jungen Erwachsenen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden. Die Chance sollten sie haben, denn sie konnten sich als Babys nicht wehren.
© "Namen sind nicht nur Schall und Rauch": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Bildnachweis: Gebundene Schleife, CC0 (Public Domain Lizenz).
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