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Die Bibel ist das heilige Buch der Christenheit, das ist eine unumstrittene Tatsache. Diese Sammlung von geschichtlichen Fragmenten, Genealogien und Parabeln ist, oder sollte zumindest sein: ein Anleitungsbuch, was den christlichen Glauben betrifft.
Wer sich die Mühe macht und tatsächlich in diesem Buch der Bücher liest, wird sich allerdings schon während der ersten Kapitel sehr wundern über die Inhalte – denn die entsprechen durchaus nicht dem Codex der römisch-katholischen Kirche. Aber das ist ein alter Hut und nichts, was aufregen könnte. Daran hat man sich gewöhnt, so in der Zeit des kindlichen Glaubens um die Kommunion oder Konfirmation herum bis zu der Ernüchterung, die meist während der folgenden Jahre als Suchender eintritt.
Sehr eifrige Kirchgänger zeichnen sich oftmals dadurch aus, dass sie ihr spirituelles Weltbild eher bibelfern aufgebaut haben, indem sie sich ganz auf die Kirche verlassen und deren Vertreter. Oder manche verlassen sich bei ihren Besuchen der modernen Tempelbauten darauf, dass eine Messe eher kurz ist und man sich schnell wieder in die Realität vor der Kirchentür stürzen kann. Das Buch der Bücher wird zwar anerkannt als ehrwürdiges Werk, aber die Christen, die sich damit wirklich auskennen, sind in der Minderzahl. Meist sind es andere Leute, die wirklich bibelfest sind: Forscher, Sprachwissenschaftler, Archäologen oder Soziologen und andere, die einen Grund haben, dieses Buch wirklich kennenzulernen. Und die sind in ihrem Glauben nicht davon abhängig – und das ist ein wirklicher Trost.
Das Alte Testament, das eigentlich so überhaupt nicht zum Neuen Testament zu passen scheint (tatsächlich tut es das auch nicht) liest sich zwar streckenweise wie eine schöne Zitaten- oder Geschichtensammlung, aber eben auch wie eine Anleitung zur Gewalttätigkeit. Durch die Kapitel des heiligen Buchs der Christen zieht sich eine recht kriegslüsterne Atmosphäre – da ergeht auch einmal von Gott selber die Weisung an die Gläubigen, tatsächlich ein anderes Volk zu bekriegen und auszulöschen. Die Gründe dafür sind nicht so recht einsehbar. Die Thesen der Kirche, welche die Heiligkeit des Lebens (man denke an das absolute Abtreibungsverbot und die Stellung zur Empfängnisverhütung) untermauern, stehen da wohl in krassem Gegensatz. Sollte hier jemand einwenden wollen, dass das Neue Testament bindend ist und für die Christen relevant, kann entgegengehalten werden, dass laut Kirche die ganze Bibel von Gott inspiriert und somit letztendlich von ihm verfasst worden ist.
Aber auch wenn man davon ausgeht, dass die großen Kirchen nicht viel gemein mit der Bibel haben, bleibt sie für den sozial und vor allem für den ethisch denkenden und handelnden Menschen ein gefährliches Buch. Eine der entlarvendsten Stellen ist die Weisung im 5. Buch Mose, Kapitel 22, wie man mit Vergewaltigungsopfern zu verfahren hat. Da heißt es nämlich, Täter und Opfer sollten zu Tode gebracht, also gesteinigt werden, hat die Tat innerhalb der Stadtmauer stattgefunden. Denn niemand hat das Opfer schreien gehört. Das hätte es doch getan, wäre es nicht einverstanden gewesen, oder nicht? Wer immer diesen Text auf dem Gewissen hat, wusste wohl nicht, dass ein Messer an der Kehle oder eine Drohung das Schreien um Hilfe verhinderte. Für den Fall, dass es draußen auf dem Feld zur Tat kam, durfte die Frau am Leben bleiben. Denn großzügigerweise gesteht der Schreiber dieser Bibelstelle ihr zu, dass sie geschrien hat und eben niemand in der Nähe war, der sie hörte.
So mancher wird nun sagen, dass man gewisse Dinge vor dem historischen Hintergrund sehen muss (in alten Zeiten wurde das Vergewaltigen nicht anders als heute erlebt, und das Massakrieren von ganzen Stämmen war auch damals eine ernste Sache, rein menschlich gesehen). Aber wenn die Bibel tatsächlich nur ein Geschichtswerk ist, das dem Wandel oder der Mode der Zeiten unterworfen ist: Wie kann ein solches Werk dann der spirituelle Grundstein für eine mächtige Religion sein? Das kann sie natürlich nicht – das würde jedem ethischen Empfinden widersprechen. Aber in dieser sonderbaren "Blut und Boden-Philosophie" (Ähnlichkeiten mit anderen Machthabern sind nicht zu vermeiden) liegt viel vom Wesen des christlichen Gedankengebäudes begründet. "Auge um Auge, Zahn um Zahn" – ein Spruch, der vielen Eroberern oder Eiferern ein gutes Gewissen verschaffte und allerdings völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Der Spruch war nämlich nicht so gemeint, dass die Menschen sich immer wieder eins auf den Kürass hauen sollten, sondern dass Gott selbst da Genugtuung fordern würde. Eher in dem Stil: Mein ist die Rache. An wen sich aber dann eine Frau wenden sollte, die in der Stadt vergewaltigt worden ist, bleibt dann immer noch die Frage.
Nach allem menschlichen Empfinden kann ein recht großer Teil der Bibel als sehr unchristlich im ethischen Sinne gesehen werden. Und die sich auf die Bibel zwar berufende, aber nur den eigenen Gesetzen gehorchende Kirche kann da nur mit größtem Misstrauen gesehen werden. Sie hat nicht nur die "Schreibfehler" übernommen, sie hat auch noch einen draufgesetzt. Denn das Auslöschen ganzer Stämme wurde seit den Tagen Moses nie so eifrig geübt wie in der Zeit der größten Kirchenmacht. Was die Frauen angeht – nun ja, da hat sich auch nicht übermäßig viel geändert seit diesen Weisungen aus dem fünften Buch Mose. – Es wird Zeit für ein neues spirituelles Weltbild.
© "Die sonderbaren Bücher eines gewissen Moses": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Die Abbildung zeigt ein Detail aus dem Gemälde "Steinigung des Hl. Stephan" von Marx Reichlich, Lizenz: Public domain.
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