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Lesen Sie diese Geschichte ab dem I. Teil:
Wenn ein geliebtes Tier stirbt
Die Nacht vor dem Sonntag ist nicht leicht in den Griff zu kriegen, denn am nächsten Morgen wird der Weihnachtshund gebracht werden. Auf einmal ist da so ein mulmiges Gefühl – vielleicht das gleiche, das Leute haben, die sich mit einer Anzeigenbekanntschaft treffen wollen. So lange haben sie darauf gewartet – und jetzt, wo es endlich so weit ist, haben sie dann doch ein wenig Angst.
Bei Menschen ist innerhalb einer ganz kurzen Zeitspanne – es geht da wirklich nur um Minuten – klar, ob die Chemie nun stimmt oder nicht. Bei Tieren ist das etwas anders – da geht das Mögen oder Nicht mögen vom Menschen aus, meistens jedenfalls. Aber weil man so aufgeregt ist, stellt man sich die sonderbarsten Dinge vor: dass der Hund vielleicht gar keinen Kontakt aufnehmen will oder sich nicht wohl fühlt und das auch zeigt.
Aber dann ist es irgendwie Sonntagmorgen geworden und man sieht noch einmal die Sachen für den Neuankömmling durch, steht am Fenster und wird nervös, sobald ein Auto in die an diesem Morgen ziemlich ruhige Straße einbiegt.
Dann fährt ein Wagen vor, und man erkennt vom Fenster aus die Hundebox im Stauraum. Raus aus der Wohnung, um die Haustüre zu öffnen – wieder zurückrennen, weil man den Schlüssel vergessen hat und dann endlich die Türe aufreißen. Dann geht es einfach nur schnell. Die Leute sind praktisch und freundlich, holen den Hund aus der Box und schon hat man den Leinenautomaten in der Hand. Rein in das Haus und in die Wohnung, alle sind versammelt und Amy ist unwiderstehlich lieb.
Die nächsten Minuten werden auf dem Boden verbracht, weil man der lang Erwarteten einfach näher ist. Ein hübsches Geschirr gibt es als Geschenk – neongelb, was zu Amys rotbraunem Fell einfach hinreißend aussieht. Eigentlich haben die Besucher nicht wirklich Zeit, diese erstaunlichen Menschen verzichten auf ihren Adventsmorgen, um einen Hund zu seiner neuen Familie zu bringen. Aber dann wird doch eine ganze Weile geplaudert, außerdem muss noch der Schutzvertrag unterschrieben und der Impfpass übergeben werden. Amy lässt sich derweilen begeistert knuddeln und fühlt sich augenscheinlich wohl.
Als das Auto dann wieder startet, bleibt die Hündin erstaunlich ruhig – sie ist neugierig und gut gelaunt, schaut aber immer wieder zur Türe. Dann nimmt sie den Geruch der beiden Kater auf und findet das toll. Die Katzen lassen sich nicht blicken, sie sind auf ihrem morgendlichen Ausflug und haben noch nichts vom Familienzuwachs mitbekommen. Von ihrer Seite aus ist ein Hund im Haus nichts Fremdes, sie haben in bestem Einvernehmen mit Amys Vorgängerin gelebt. Aber Katzen sind eben Katzen, und deshalb immer für Überraschungen gut.
Aber erst einmal geht es raus mit Amy – und das wird ein herrlicher Spaziergang. Sie läuft schon wunderbar an der Leine, aber wenn sie einen anderen Hund sieht, verwandelt sie sich in eine fellbespannte Spielmaschine. Dass sie Lust auf Balgen, Raufen und Rennen hat, zeigt sie mit lautem Gebell und spielerischem Knurren – und vorerst ignoriert man das. Ein nervöser Mensch wird das Verhalten eher forcieren – und deshalb verlegt man sich erst einmal auf das Beobachten. Einige Hundehalter erlauben ein Begrüßungsnasenstüberchen, was Amy sofort beruhigt ... andere mögen das gar nicht und zerren ihren Hund schimpfend weiter. Selber schuld – die wissen nicht, was gut für Hunde ist. Man ist bereit, alles zu übersehen an diesem Morgen – einfach, weil es so wunderbar ist, wieder mit einem Hund unterwegs zu sein.
An diesem Tag gibt es noch mehrere Spaziergänge, und für Amy jede Menge Leckerlis. Menschen glauben, dass Hunde zur Bestechlichkeit neigen und haben auch recht damit. Eigentlich stärkt das gemeinsame Essen das Zusammengehörigkeitsgefühl, und deshalb liegen für die Schöne mit dem rotbraunen Pelzmäntelchen spezielle Hundeleckerle bereit beim Abendessen. Die Kater haben sich, wie erwartet, beim Anblick ihres neuen Konkurrenten beleidigt zurückgezogen. Amy versteht das überhaupt nicht und stürzt sich begeistert wuffend auf die beiden Diven, um sie zum Balgen aufzufordern. Die sind aber von einem spielfreudigen jungen Hund ziemlich überfordert – sie sind nämlich noch nicht sehr alt und hatten es bis jetzt mit einer Seniorin zu tun. Dieses aufdringliche Monster ist dann doch zu viel für sie – und sie lassen sich erst mal nicht mehr blicken. Leider hegt Amy, wie viele Hunde, eine große Leidenschaft für Katzenfutter. Das senkt den Sympathiepegel wahrscheinlich um mehrere Teilstriche. Aber die Erfahrung zeigt, dass sich die Parteien sehr bald zusammenraufen werden – was zum Teil wörtlich zu nehmen ist.
Amy lässt sich nicht so leicht abweisen – und natürlich versteht sie die Signale der Katzen erst einmal falsch. Eine Katze, die abhaut, weil sie beleidigt ist, will tatsächlich ihre Ruhe haben und nicht zum "Fangen-Spielen" animieren. Das weiß Amy noch nicht und jagt zwei Fellblitze durch das Haus. Die revanchieren sich mit einigen prachtvollen Backpfeifen, was die Hündin allerdings als Zärtlichkeit auffasst und sich bestätigt fühlt.
Obwohl ein Gutteil Jagdhund in Amy steckt, ist sie unglaublich freundlich und lässt sich von den Katern verdreschen – allerdings meinen die das auch nicht so bierernst wie es aussieht, denn wenn es so wäre, würde wahrscheinlich Blut fließen. Wütende Katzen kämpfen mit einem Zehnersatz Rasierklingen an den Pfoten – und sie sind blitzschnell. Diese beiden hier teilen ihre Ohrfeigen eher behäbig aus – es wird nicht lange dauern und die Sache spielt sich ein.
Aber zurück zur ersten Nacht. Man möchte Amy nicht unbedingt im Bett haben, also bleibt sie im Zimmer nebenan. Natürlich gibt das ein Protestgeheule, das man mit zusammengebissenen Zähnen zu ignorieren versucht. Es müssen Weichen gestellt werden, jetzt am Anfang – und der Hund WEISS, dass man in der unmittelbaren Nähe ist. Er WILL aber nicht allein im Körbchen liegen – er möchte im BETT liegen. Aber plötzlich ist Ruhe, und man bildet sich etwas auf seine hundepädagogischen Fähigkeiten ein – bis zum nächsten Morgen, denn dann gibt es die Rechnung für Eitelkeiten. Amy, diese Socke, kann Türen aufmachen und hat von dieser Fähigkeit ausgiebig Gebrauch gemacht. Die kalte Luft vom Treppenhaus konnte sich hervorragend überall verteilen, und beim Aufstehen gibt es erst einmal einen Kälteschock. Man hatte das einfach nicht mitbekommen, weil Amy die Schiebetüre nicht aufkriegte. Sonst wäre sie wahrscheinlich doch fröhlich ins Schlafzimmer gekommen. Belohnt hat sie sich für ihre Leistung selber, denn das draußen stehende Katzenfutter hat sie im Vorbeigehen wohl einfach eingeatmet.
Nachdem es wieder leidlich warm geworden ist, sitzt die Heldin dieses Aktes zufrieden auf der Küchenbank und frühstückt verschiedene Hundekekse. Eins steht fest: langweilig wird es nicht werden mit Amy. Und außerdem hat sie sich ihren Kriegsnamen verdient: SOCKE.
Beim Scharmützel um den Schlafplatz kommt es übrigens zu einem Unentschieden. Die Socke hat ihr Körbchen, die Couch und den großen Sessel – in das Schlafzimmer darf sie auch, wenn sie vor dem Bett liegt. Das Bett ist allerdings tabu. Das Fußende nicht. Aber nur wenn sie direkt gerufen wird, darf sie da rauf. Und wer würde das schon tun ...
© "Die erste Nacht mit Amy" – eine Hundegeschichte mit Foto von Winfried Brumma (Pressenet), 2013.
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