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Da zeigt ein Zwölfjähriger mit Begeisterung einen kleinen Clip auf seinem Handy herum, bei dem es ziemlich heftig zur Sache geht und auch nicht gerade zimperlich verfahren wird. Eine Darstellung dieser Art, also Sex mit klarer Tendenz zur Gewalt, wird der Pornografie zugerechnet. Seine Mitschüler haben ähnliche Filmchen zu bieten – eine Tauschbörse in Sachen Hardcore-Clip ist schon längst im Pausenhof entstanden. Nicht nur Jungs, auch Mädchen halten mit ... sie haben die gleichen Vorlieben, was ihre Handy-Downloads betrifft.
Dann gibt es noch diese anderen witzigen Dinger – sie haben allesamt etwas mit Fäkalien zu tun und lassen bei unvorbereiteten Betrachtern ein Würgen im Hals entstehen. Die Kinder aber lieben es – genau die Kinder, die wegen einer Haut auf ihrem Schokogetränk einen Aufstand machen: "Bääh, ist das eklig!" Aber das nur am Rande.
Die grenzenlose Sexualisierung hat das tägliche Leben längst übernommen, und eben im täglichen Leben kommen nun einmal alle Altersstufen vor. Die Erwachsenen nehmen die Tatsache des Gestalktwerdens durch Körperteile, die sich in Nähe der Gürtellinie befinden (jeweils über und unter), längst nicht mehr wahr. Ob nun ein Auto verkauft werden soll, indem eine "Real Barbie" auf der Kühlerhaube fläzt, oder Zeitungen mit Frau Katzenbergers Vorzügen Leser anlocken will ... es hat längst jeden "Guck mal da – ist das nicht der Hammer"-Bonus verloren.
Zwischen dem, was geliftet, gepusht, glattgezogen, gefüllt und gefotoshopt von jeder Plakatwand und in vielen Fernsehsendungen präsent ist und dem realen Leben, klaffen ganze Galaxien. Das weiß man und hat nichts dagegen. Sex kennt man auch – eine tolle Sache. Aber lebensbestimmend ist das nun nicht grundsätzlich. Die Generation Handyschmuddel liegt da meilenweit anders: hier geht es um eine Art Lebensgefühl. Grenzen werden verschoben, man zeigt sich abgebrüht und vor allem zynisch. "Ist doch geil, ist doch Fun – hopp und wech" – das geben Kinder von sich, die zwar körperlich fast erwachsen sind – aber sonst eben nicht.
Natürlich gibt es wieder den Gruppenzwang, den bösen, dem man so einiges zuschreiben kann. Doch dahinter steckt mehr. Die allgegenwärtige Präsenz aller möglichen Varianten des Sexlebens (die des eigenen, falls vorhanden, oder das der anderen) lässt eine Auseinandersetzung damit nicht wirklich zu. Die Kinder wachsen auf und sehen eigentlich von klein auf nichts anderes als ... das Wort mit den drei Buchstaben.
"Ist nichts Schlechtes", könnte man sagen – schließlich kann jeder, der Bescheid weiß, auch besser damit umgehen. Und genau da hakelt es gewaltig. Die Kinder wissen durchaus, wie "es geht" – aber es ist wie mit dem Lichtschalter: man drückt drauf – aber was da geschieht, damit die Lampe aufleuchtet, weiß kaum einer. Das ist nicht so schlimm – dafür gibt es ja Elektriker. Aber Elternkurse für Minderjährige gibt es seltener.
Nach den in Aufklärungsdingen völlig abgedunkelten Nachkriegsjahren fiel Lichtschein durch den Tunnel der Ahnungslosigkeit. Liebe und Sex wurden langsam zu Themen, die öffentlich diskutiert werden konnten. Die Jugendlichen profitierten davon – auch wenn es nur die heimlich gelesene Bravo war. Für Mädchen gab es in der Schule Broschüren, die Menstruation betreffend.
Vorurteile und Nichtwissen hatten einen schweren Stand – in Sachen Sexualität so ziemlich das erste Mal in diesem Jahrhundert. Verhütung war DAS Thema – und wurde besprochen. Bei modernen Umfragen in Sachen Verhütung, oder Sex im Allgemeinen, bei der Jugendliche gefragt wurden, kam es zu haarsträubenden Antworten. Nach der Aufklärungswelle versanken die pubertätsgeplagten Kinder wieder in den Zustand zufriedenen Nichtwissens, das sie mit einigermaßen ekligen kleinen Clips und zynischen Kommentaren kompensieren.
Ex und hopp ist okay – jedenfalls könnte man das meinen. Aber körperliche Erfahrungen stellen immer auch eine Berührung der Psyche dar. Kinder, die Sexualität ähnlich begreifen, wie kurz einen Imbiss nehmen und im reichhaltigen Angebot wühlen, lassen die Empathie für den anderen weit hinter sich zurück. "Schön für sie", könnten die Zyniker sagen ... aber eben diese Jugendlichen werden einmal Eltern. Was werden sie ihren Kindern vermitteln?
© "Die grenzenlose Sexualisierung im täglichen Leben": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Illustration Lippenstift, CC0 (Public Domain Lizenz).
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