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Ende März. Es sollte Frühling sein, aber noch ist er nicht spürbar im Wald. Die Farben sind trist. Braun- und Ockertöne sind nicht nur vorherrschend, sondern es gibt keine anderen Farben. Das einzige Grün ist Moosbewuchs an Bäumen und Felsen, aber das verbindet sich mit dem sepiafarbenen Umfeld und ist kaum zu bemerken. Es ist kalt, kälter als es sein sollte, nicht ein einziger Sonnenstrahl überpinselt das bräunliche Einerlei mit ein wenig Gold oder zumindest einer helleren Nuance. Ein Specht ist zu hören, das ist ein Geräusch, das man hier erwartet – und es klingt ein wenig tröstlich in die Stille hinein.
Der Wald ist eigentlich niemals wirklich still, doch jetzt scheint es so. Man ist bis jetzt niemandem begegnet, und fast unwillkürlich dreht man sich um und sieht zurück, den Weg entlang, den man gegangen ist. Es hat vielleicht sogar etwas Gespenstisches, diese Ansammlung von schlafenden Bäumen. Denn erwacht sind sie noch nicht, sie erscheinen leblos in ihrer Starre. Das Laub vom vergangenen Herbst bedeckt den Boden, es ist trocken und lässt tatsächlich ein Vorwintergefühl entstehen. Aber da fehlt das Flammende des Herbstes, es sind einfach tote Blätter. Sie rascheln nicht einmal mehr richtig.
Der Nachmittag ist fortgeschritten, es wird spürbar kühler. Der ausgewiesene Rundwanderweg beginnt hier an der Kreuzung der Waldpfade, und auf einmal wird es lebendiger. Es hat viele Menschen hierhergezogen, das gefühlte Frühlingserwachen, das nicht sichtbar ist. Kleine Gruppen, Familien mit Kindern, viele junge Leute und natürlich viele Hunde sind unterwegs. So als wäre es tatsächlich grün und sonnig. Und man würde mehr hören als diesen emsigen Specht. Andere Vögel vielleicht und Insekten, aber für die ist es wahrscheinlich noch zu früh.
Wie war das früher zu dieser Zeit gewesen, so kurz vor Ostern im Wald ... die Erinnerung malt ein Bild in tausend Nuancen von Grün und Braun, betupft von gelben Lichtkringeln, wo die Sonne den Boden erreicht. Wo die Bäume nicht allzu dicht stehen, ist ein freundlicher Himmel zu sehen.
Die Wanderer tragen schon leichtere Kleidung, Kinder in Kniestrümpfen und Strickjacken, überall summt es und die Vögel geben Sonntagskonzerte. Einbildung oder überzuckerte, nostalgische Wunschvorstellung? Man bleibt stehen ... versucht, sich tatsächlich zu erinnern. Es ist nicht nur Einbildung – um diese Zeit war es lebendiger gewesen. Es roch sogar anders. Wald braucht Sonnenlicht und Sonnenwärme, um seine Gerüche zu entfalten. Aber jetzt ist die Sonne so kraftlos, dass sie wie ein runder Taschenlampenstrahl diffus hinter der Wolkendecke hängt. Man kann sogar direkt hineinsehen, so als wären die Batterien erschöpft.
Die Dämmerung wird früh hereinbrechen, und somit auch die Abendkälte – es war, als würde man einen Besuch machen bei jemandem, der noch schläft. Aber vielleicht, in einigen Tagen, wacht das Leben hier wieder auf. Man wird zurückkommen, man kommt immer wieder hierher zurück.
© Textbeitrag und Fotos zu "Schlafender Wald": Winfried Brumma (Pressenet), 2013.
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