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Haben wir nicht alle diesen Hang zur Vergangenheit – ob das nun die Kindheit betrifft, die so im Nachhinein mit einem goldenen Schimmer ausgestattet ist, oder einfach nur das Fernsehprogramm? Irgendwie vergessen wir die ungerechten Backpfeifen und alles, was damals so dazugehört hat und denken uns das Ganze als Idyll.
Aber im Ernst, wer will schon mit nur einem TV-Programm oder vielleicht auch zweien leben und den Programmdirektoren auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein? Außerdem habe ich eine verschwommene Erinnerung daran, dass schon meine Großmutter über die "ständigen Wiederholungen" maulte. Stimmen gegen das "verdummende" Fernsehen gab es schon zu Schwarzweiß-Zeiten – und wenn man sich vorstellt, wie die damaligen Kritiker auf die heute so beliebten Daily Soaps reagiert hätten ... und es gibt auch immer noch "alte" Sendungen, die man sich ansehen kann – auf vielen, vielen Kanälen.
Die Generation "DVD" hat wahrscheinlich nicht die geringste Idee, was die Leute alternativ zum Fernsehprogramm gemacht haben könnten, denn sich einen Film nach Wahl zuhause ansehen zu können, lag jenseits aller Möglichkeiten. Da gab es nur Kino – und wenn da "nichts Gescheites" lief, gab es eben nichts anderes. Wer will das schon zurückhaben?
Zugegebenermaßen mussten die Kinder "damals" noch selber spielen und nicht spielen lassen – es gab dafür auch Geräte, die zum Teil noch aus Holz waren und "Spielsachen" hießen. Aber dafür gab es kaum in jedem dritten Haushalt (eher weniger) ein Telefon. Wer würde heute noch winters mit in den Jackentaschen versenkten, klammen Fingern als dritter oder vierter in der Schlange vor einer Telefonzelle warten wollen?
Wahrscheinlich können selbst diejenigen, die das erlebt haben, sich das nicht mehr richtig vorstellen. Einfach nach dem Handy oder iPhone langen ist da schon eine ganze Ecke bequemer. Das hat alles Nachteile – sicher – oft sogar gravierende. Früher hatten wir wohl auch kaum Angst davor, mit gebrochenem Knie irgendwo an einem Wanderweg festzusitzen und niemand würde vorbeikommen. Kam allerdings gar nicht so selten vor – heute kann man eben Hilfe an-rufen.
Hand aufs Herz – selbst wenn man wirklich Mitleid mit dem gebeutelten Personal hat – wer ist nicht noch schnell Kaffee holen gegangen, noch lange nach halb sieben Uhr abends? Früher gab es das nun wirklich nicht ... außer man zahlte an der Tankstelle heftigst drauf. Samstags war sowieso schon früher Schluss – da war die Einkauferei ganz bestimmt nicht stressfrei. Wer unter der Woche lange arbeitete, kam meist gerade noch so vor Ladenschluss in den Markt und war nicht gerade entspannt beim Abendbrot machen.
Banken waren ganz besonders pingelig mit ihren Öffnungszeiten. Ab 16 Uhr war definitiv Schluss mit lustig. Autoschalter gab es nicht viele – und die waren auch nicht ständig geöffnet. Einfach die Karte in das Auszahlungsterminal schieben und Geld abheben? Klar – stellen Sie sich doch einmal vor, das wäre wieder gestrichen. Und Online-Banking? Macht heutzutage nicht jeder – aber wer es tut, hat schon vergessen, wie es ist, wenn man zur Stoßzeit mit einem ganzen Stapel Überweisungen zugange war am Gerät und die Wartenden eine gewisse Nervosität verbreiteten. Nicht unerwähnt sollen auch die nicht immer netten Leute am Schalter bleiben, bei denen man die leserlich ausgefüllten Formulare für das Banking abgab. Für JEDE Transaktion einzeln.
Umweltschutz? Das fand in kaum einem Kopf statt – rein statt sauber war die Devise und an das Grundwasser dachte man dabei eher nicht. Autos wurden vor jedem Haus hingebungsvoll mit vielen Litern Schaumlauge per Hand gewaschen, zuweilen wöchentlich. Niemand hatte da ein schlechtes Gewissen. Die Zechen, Fabriken und auch die üblichen Festbrennstofföfen verqualmten munter die Luft – ohne Regulierung. Bestimmungen gab es da nur sehr, sehr mangelhafte. DDT – das Allheilmittel gegen jeden Schädlingsbefall – wurde ebenso munter auf unsere Nahrung eher geschüttet als fein dosiert. Und hat viele Menschen krank gemacht. Man wusste einfach nicht, wie es sich anreichert im Organismus. Als man es wusste, verriet man es lange Zeit nicht. Das Bewusstsein in solchen Dingen war "früher" kaum ausgeprägt.
Heute haben wir zwar noch größere Probleme, aber wir sind weitaus sensibler geworden – und dadurch gibt es mehr Möglichkeiten, besonders in Medizin und Technik. Die möchte auch niemand missen, das steht wohl außer Frage. Wir Menschen können heute viel mehr bewerkstelligen – selbst wenn wir keinen Sitz im Stadtrat oder Parlament haben. Die globale Vernetzung bietet den unschätzbaren Vorteil der breitgefächertsten Kommunikation seit Menschengedenken. Machen wir etwas daraus. Die alten Zeiten waren nicht in allem besser – sie waren anders. Und für jedes "Besser" gab es ein "Schlechter". So wie heute.
© Textbeitrag "Der Rückholfaden. Vergangenheit vs. Zukunft": Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Illustration Future, CC0 (Public Domain Lizenz).
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