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Lilly Höschens alter Freund Ferdinand führt in Braunlage ein beschauliches Leben. Er bewohnt ein schönes, altes Anwesen und genießt seinen Ruhestand. Das Haus hat nur einen Makel. Ein Gemälde, das dort schon seit Generationen hängt, verändert sich manchmal wie von Geisterhand. Und kurz darauf stirbt ein Mensch.
Als sich das Bild nach vielen Jahren wieder verändert und das Haus von allerlei Besuchern in Beschlag genommen wird, ist es mit der Beschaulichkeit abrupt vorbei. Ferdinand bittet Lilly um Hilfe. Die schrullige alte Dame aus dem Oberharz hat sich fest vorgenommen, die mysteriöse Angelegenheit im Haus ihres Freundes endlich aufzuklären. Dabei gerät sie in einen Wust aus zum Teil aberwitzigen Verstrickungen. Während die beteiligten Personen angesichts der Geschehnisse eher kopflos reagieren, regelt Lilly die Dinge mit ihrer praktischen Art und ihrem frechen Mundwerk auf ihre Weise.
"Name?"
"Lilly Höschen."
"Alter?"
"Dreiundachtzig."
"Beruf?"
Allmählich wurde es Lilly zu dumm. Mal sehen, ob er überhaupt merkt, wenn ich etwas Blödes antworte. Also sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit in der Stimme: "Beischlafdiebin."
Der wohlbeleibte Polizist tippte in seine Tastatur: "B e i s c h l" und schaute dann zu Lilly auf, während er mit gewichtig-beleidigter Miene sagte: "Ich glaube, es mangelt Ihnen an der nötigen Ernsthaftigkeit, meine Dame."
"Ihnen mangelt es auch an etwas, mein Herr. Man nennt es Humor."
"Wir sind hier aber nicht im Idiotenclub", entgegnete der Mann etwas ungehalten.
"Sind Sie sicher?"
Der Polizist, ein Mann von Mitte vierzig, sah übernächtigt aus. Schließlich war es bereits drei Uhr nachts, und er hatte noch einige Stunden vor sich, bevor er nach Hause gehen konnte, um in das ersehnte Bett zu kommen. Seine Vorfreude auf ein paar Stunden Schlaf war jedenfalls dahin. Dafür hatte er jetzt diese komische Alte am Hals, mit der er sich bereits vorhin am Telefon herumplagen musste. Nun stand das Weib tatsächlich vor ihm im Revier und hatte noch dazu ein leibhaftiges Krokodil dabei. Bevor er sich mit ihr noch richtig in die Wolle kriegte, atmete er lieber tief durch und steckte sich eine Pfefferminzpastille in den Mund. Dann bot er Lilly davon an, indem er ihr die Tüte hinhielt.
"Nein, danke."
Als Lilly gegen ein Uhr noch einmal die Terrassentür geöffnet hatte, um den Qualm ihrer Zigarillos herauszulassen, erblickte sie zu ihrer großen Verwunderung einen kleinen Alligator, etwa fünfzig Zentimeter lang, der sie reglos anstarrte. Zuerst dachte sie, es handele sich um ein Spielzeugtier aus Plastik, so stoisch wie es dalag. Als sie realisierte, dass es tatsächlich ein lebendiges Wesen war, wusste sie nicht, was sie machen sollte. Dann kam sie auf die Idee, die Polizei anzurufen:
"Hier spricht Lilly Höschen aus Lautenthal. In meinem Garten ist ein Krokodil oder Alligator."
Als ihr der Beamte klargemacht hatte, dass er nachts keine Polizisten auf Alligatorenjagd schicken könne, Lilly jedoch darauf bestand, dass das arme Tier aus ihrem Garten zu verschwinden hatte, meinte er schließlich:
"Wenn Sie nicht bis morgen früh warten können, dann fangen Sie es doch einfach ein und bringen es hier bei uns vorbei."
Er war davon überzeugt gewesen, es mit einer Spinnerin zu tun zu haben, die er durch seinen flapsigen Vorschlag abzuwimmeln gedachte. Aber er kannte Lilly Höschen nicht. Und jetzt hatte er den Salat. Nachdem er die Personalien und Erklärungen von Fräulein Höschen aufgenommen hatte, atmete er noch einmal tief durch und steckte sich eine weitere Pfefferminzpastille in den Mund. Andere Kollegen hielten sich mit Kaffee wach, er mit starken Pfefferminzpastillen. Automatisch reichte er Lilly die Tüte abermals.
"Nein, danke. Sagen Sie mir lieber, was Sie mit dem armen Tier jetzt machen."
"Was soll ich schon damit machen? Füttern? Dressieren? Streicheln? Sagen Sie mir lieber, wie Sie es in die Kiste gekriegt haben."
"Lenken Sie nicht ab. Ich übergebe Ihnen das Tier, weil Sie es mir gesagt haben. Und damit übernehmen Sie auch die Verantwortung für sein Wohlergehen. Ich bestehe darauf, dass das Tier schleunigst in eine Umgebung gebracht wird, in der es sich wohlfühlt."
"Ich werde heute Nacht bestimmt nicht mehr in den Zoo fahren."
Jetzt wurde Lilly leicht grantig: "Ach so, aber mir muten Sie zu, nachts von Lautenthal nach Goslar zu fahren!"
"Wenn ich ehrlich bin, war das gar nicht so ernst gemeint, Fräulein Höschen."
"Interessant. Sie meinen wohl, mit so einer alten Schachtel kann man es ja machen. Sie animieren mich, Krokodile zu jagen und dann bei Nacht und Nebel in der Gegend herumzufahren, um mir dann dreist zu sagen, dass Sie sich einen Scherz erlaubt haben. Und sie behaupten, dass das hier kein Idiotenclub ist?"
"Also, jetzt ist es aber mal gut, werte Dame. Nehmen Sie lieber eine Pfefferminzpastille. Das beruhigt."
"Stecken Sie sich Ihre albernen Pfefferminzpastillen lieber in den Hintern. Dann beglücken Sie Ihre Mitmenschen beim Furzen mit einer frischen Brise."
Der arme Mann bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Und Lilly redete weiter: "Außerdem verraten Sie mir doch bitte Ihren Namen. Ich werde Sie nämlich in den nächsten Tagen anrufen, um mich zu erkundigen, was Sie mit dem Tier gemacht haben."
Der Polizist brachte nur heraus: "Ungethüm."
Lilly, die nun endgültig die Nase voll hatte von den nächtlichen Aktivitäten, dem Alligator, dem Wachtmeister und den Pfefferminzpastillen, schaute ihn abschätzig an und antwortete: "Genau so sehen Sie auch aus."
Nachdem Lilly ihrem Unmut Luft gemacht hatte, fuhr sie nach Hause und schlief wie ein Murmeltier. Morgens um zehn Uhr wurde sie vom Klingeln des Telefons geweckt. Noch etwas benommen nahm sie das mobile Teil vom Nachttisch, schaute auf das Display und meldete sich:
"Hallo, ich hoffe, du hast einen guten Grund, mich so früh aus dem Bett zu holen."
Dann hörte sie die leise, verschwörerische Stimme ihres alten Freundes Ferdinand aus Braunlage: "Lilly, es ist wieder passiert."
"Dir auch einen schönen guten Morgen, lieber Ferdinand."
"Hörst du nicht? Es ist wieder passiert."
"Was, um Himmels Willen, ist passiert?"
"Das mit dem Bild."
Jetzt bekam Lilly einen Schreck.
"Sag, dass das nicht wahr ist!"
"Ich wünschte, das könnte ich. Aber es ist wahr."
"Ferdinand. Ich frühstücke noch. Und dann setze ich mich ins Auto und komme zu dir." ...
Die gebundene Ausgabe von Mörderische Harzreise ist im Buchhandel erhältlich. Das Buch kann auch über den EPV-Verlag bezogen werden.
© "Lilly und der Alligator": Texte zur Leseempfehlung sowie Abbildung des Buchcovers mit freundlicher Genehmigung des EPV-Verlages.
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