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Die Schöpfung ist ein Rätsel, obgleich alle Religionen und auch die Wissenschaft ihre eigenen Erklärungen haben, was dies betrifft. Das Erschaffen an sich ist etwas, das die Menschen seit jeher gereizt hat – das mögen Kunstwerke sein, Bauten, Schriften – sogar Religionen und geistige Strömungen.
Manche unter uns geben sich aber nicht zufrieden damit, etwas nachzubauen – so wie in Mary Shelleys "Frankenstein", der ehrgeizige Wissenschaftler, der tatsächlich neues Leben schaffen möchte. Damit meint er durchaus nicht die Elternschaft – er tut das ab als etwas, das jeder Hund zustande bringt. Er möchte, so wie Gott oder wie er sich Gott vorstellt, selber Leben erschaffen und nicht etwa reproduzieren. Shelleys Geschichte ist so gut wie jedem bekannt – und es gibt viele ähnliche Werke.
Scheitern muss Mary Shelleys Protagonist an der Gesellschaft und an seinem eigenen Stolz – das von ihm geschaffene Wesen ist tatsächlich menschlich, was sein Erschaffer allerdings vergisst. Das bedauernswerte Konstrukt ist zwar willig, sich in die Gemeinschaft einzufügen, wird aber zurückgewiesen und nimmt furchtbare Rache. Die Geschichte des Golems, von einem Rabbiner zum Schützen erschaffen aus Erde, ist ebenso bekannt. Das Wesen muss letztendlich zerstört werden, weil es außer Kontrolle gerät – und so gibt es hier auch eine Moral. Das Nachäffen der Schöpfung kann nur in einer Katastrophe enden – das steht von vornherein fest.
Diese im Reich der Phantasie angesiedelten Geschichten ließen wohlige Schauer den Rücken hinunterlaufen – es war gruselig und völlig unreal. Heute sieht es etwas anders aus, denn ein winziger Teil der Baupläne des Lebens ist entschlüsselt. Spenderorgane sollen gezüchtet werden – etwas, das in vieler Hinsicht ein positiver Durchbruch in der Transplantationsmedizin sein wird. Tiere sind schon geklont worden – was zwar keine Neuschaffung ist, aber immerhin eine Reproduktion direkt vom Original – etwas, das noch nie möglich war. Wozu ein geklontes Schaf zum Beispiel gut sein soll, liegt nicht unbedingt klar auf der Hand ... es sei denn, man will durch die Vervielfältigung der besten Nutztiere den Ertrag optimieren. Das sind Methoden, die man mittlerweile kennt. Aber geschieht in manchen Laboratorien noch mehr, was der Öffentlichkeit noch nicht vorgestellt worden ist?
Die modernen Horrorgeschichten haben sich der Gentechnik angenommen – und was dabei herauskommt, ist nicht weniger beklemmend als die Geschichte von Professor Frankenstein. Allein deswegen, weil sie beängstigend realitätsnah wirken – und es vielleicht schon lange sind.
Der amerikanische Bestseller-Autor Dean Koontz hat mit seinem Roman "Brandzeichen" (englisch: "Watchers") eindrucksvoll die Frankenstein-Geschichte weitergeführt in unsere Zeit. Es geht um einen etwas desillusionierten Mann, der eines Tages bei einem Wanderausflug mit einem Hund zusammentrifft – einem Golden Retriever. Das Tier zeigt sich überaus intelligent und freundlich. Mit der Zeit erfasst Travis Cornell – so der Name des Mannes – dass das Tier einem Menschen, was die Klugheit betrifft, durchaus ebenbürtig ist. "Einstein", wie Travis ihn nennt, stiftet sogar eine Beziehung. Er macht Travis mit einer jungen Frau bekannt. Die erkennt das Potenzial des Hundes und schafft eine Kommunikationsbasis.
Einstein kann nun seine Geschichte erzählen – erst anhand der Bilder in Zeitschriften, dann durch das Legen von Buchstaben, nachdem er das Lesen gelernt hat. Einstein wurde in einem Labor erschaffen durch genetische Veränderung. Er sollte spionieren – ein schöner Hund, der einem wichtigen Politiker geschenkt wird und völlig unverdächtig alles, was er erfährt, weitergeben kann. Die beiden Menschen sind entsetzt darüber, und sie beschließen, für Einstein zu kämpfen – der wird mittlerweile gesucht. Dem Hund gelang die Flucht aus dem Labor – aber nicht nur ihm.
Gleichzeitig arbeiteten die Wissenschaftler an einem Superkrieger – einem Geschöpf, dessen genetische Bausteine aus allen möglichen gefährlichen Tieren zusammengeschweißt wurden. So entstand ein unglaublich gefährliches, überaus hässliches, gnadenlos aggressives und sehr intelligentes Wesen: eine reine Killerbestie. Beide – Hund und "Outsider" – wurden zusammen trainiert. Der Outsider (so genannt, weil er keiner Spezies dieser Erde mehr gleicht) hasst den Hund, den alle mögen und lieben. Und als dieser flüchtet ... tut es auch der Outsider.
Er spürt den Golden Retriever – er kann ihn fühlen ... den einzigen "Verwandten", den es für ihn gibt auf dieser Welt – auch wenn er noch so andersartig ist. Er folgt ihm, um ihn auszulöschen – er, das ungeliebte Geschöpf, das für das Böse geschaffen wurde. Und dabei tötet und verstümmelt er wahllos. Nach einer langen Verfolgungszeit kommt es zum Showdown – Koontz hat die Geschichte sehr komplex angelegt. Es gibt viele Handlungsstränge und Verknüpfungen – und vor allem immer wieder die Fragen nach der wissenschaftlichen Ethik. Der Hund ist liebenswert – wer die Geschichte liest, möchte Einstein kennenlernen ... man kann von so einem Freund träumen – er ist märchenhaft gut und freundlich. Das ist der Outsider nicht – aber man hat Mitleid mit ihm. Jeder einzelne Mord, den er begeht – obwohl man es jeweils eher Schlachtung nennen könnte – ist letztendlich nicht ihm, sondern seinen "Schöpfern" anzulasten.
Koontz geht nicht zimperlich mit diesen Leuten um – er zeigt sie als Menschen, denen jedes Mittel zu ihrer eigenen Erhöhung dient. Ebenso wie Doktor Frankenstein vergessen sie, dass beide Geschöpfe fühlende Wesen sind. Der Outsider dürfte eigentlich gar keine Gefühle kennen, außer dem Hass, der in ihn hineinkonstruiert wurde ... aber trotzdem liebt er Micky Maus. Viele Male hat man den beiden "Probanden" solche Zeichentrickfilme gezeigt, und sie sind verrückt danach – auch die Bestie. Diese Stellen im Buch, in denen eine Art geballtes Bedauern über dem Leser zusammenbricht, sind sehr intensiv. Einsteins Liebe zu seinen menschlichen Freunden gegen den gnadenlosen Hass des geborenen Killers, der unter seiner abgrundtiefen Hässlichkeit leidet.
Niemand hatte sich im Labor die Mühe gemacht, den Ekel zu verbergen. Wozu auch. Ein wenig kennt man das von den traumatisierten und versehrten Kriegsveteranen – trainiert bis zum Hass, um sie am effizientesten einsetzen zu können, dann vergessen, fallengelassen, unter Peinlichkeit abgebucht. Wie viele dieser Unglücklichen leben auf der Straße in vielen Ländern der Welt – abseits der Gemeinschaft – traumatisiert und psychisch krank. Die Killerbestie vereinigt diese Geschichten alle in sich, ohne dass sie allerdings die Aggression und den Hass jemals loslassen könnte, denn sie ist so konstruiert. Es ist zu hoffen, dass dieser Roman einer bleibt – und nicht etwa in einigen Jahren zu einem Tatsachenbericht wird.
© "Schöpfungsbaukasten für jedermann": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Cartoon Monster, CC0 (Public Domain Lizenz).
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