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"Ja", sagte die Alte, "bei uns war das eben noch so. Gedeckte Muster und gute Qualität. Und natürlich waren wir meist auch nicht gerade als Putze auf die Welt gekommen. Ich hatte eine andere Bestimmung gehabt, das war wohl so. Ich gehörte zur besseren Gesellschaft, weißt du. Lange Jahre war ich ganz nah an der Herrschaft, lag ihr richtig am Herzen. Und dann, ja dann geschah eben das, was uns allen blühte, wenn die Zeit dafür gekommen war. Ich wurde degradiert – aber auch das ist schon lange her und ich spüre so richtig, wie meine Nähte krachen. Bald werde ich nicht mehr sein."
Ein Kichern antwortete ihr. "Ach was, ich kann die Geschichten über die alten Zeiten nicht mehr hören. Wo ich hinkomme, hängen Leute wie du herum und wundern sich, dass sie Drecksarbeit machen müssen. Das kommt davon, wenn man Rosinen im Kopf hat, weil man sich einbildet, etwas 'Besseres' zu sein. Ich weiß, was meine Bestimmung ist. War schon immer so. Und deswegen heule ich bestimmt nicht – Putzen ist meine Leidenschaft."
Die Alte schaute trübsinnig zu dem jungen Ding hinüber, das eben erst angekommen war. Es sah fesch aus, das musste man zugeben. Bunte Farben, kräftiges Gelb und Signalrot – das passte nicht schlecht. Aber diese Spezialisten hatten ja keine Ahnung, das war alles so schnelllebig heute. Sie selber war schon Jahre hier in diesem Haus. Erst oben in gehobener Stellung, dann eben unten in der Scheuerabteilung. Und sie vermisste den Lavendelduft, den Geruch nach feiner Seife und die gepflegte Umgebung von früher doch sehr.
Natürlich hatte sie sich in ihr Schicksal gefügt – was wäre ihr auch anderes übrig geblieben. Doch die Trauer darüber ließ nicht nach. Und jetzt, wo sie das Ende ihrer Tage kommen sah, dachte sie mit Wehmut an ihre Anfänge zurück. Spitzen und Paspeln, jaja – aber das war ihr alles genommen worden. Mittlerweile war sie doch sehr reduziert.
Die Jungen, die nachkamen, hatten nur den einen Beruf. Sie wussten nicht, was es heißt, herabgestuft zu werden. Sie kamen, machten ihre Arbeit und verschwanden wieder – sie wurden schnell alt und unansehnlich. Zu ihrer Zeit war das noch anders gewesen. Obwohl man ihr heute das nicht mehr ansah, war sie sehr, sehr hübsch gewesen damals, als sie in dieses Haus gekommen war. Das junge Ding hatte keine Lust mehr auf ein Gespräch, es ging ganz im Bewusstsein seiner Kraft und seiner Unverbrauchtheit auf. Ach ja – gelb und signalrot ... das hatte es nicht gegeben damals.
Und während die Alte in ihren Träumereien versank, nahm eine Hand sie hoch. "Ach Mutti, nimmst du immer noch diese alten Fetzen als Staubtücher und Putzlappen? Was ist das denn mal gewesen? Sieht ja aus wie ein Stück von einem geblümten Nachthemd. Das fällt ja schon auseinander. Du musst doch nicht so sparen. Sieh mal – ich hab dir einen Reinigungsschwamm mitgebracht. Die gelbe Seite ist für feines, die rote zum Scheuern. Wenn es nicht mehr richtig tut, entsorgst du es einfach."
Die Mutter nahm prüfend den neuen Scheuerschwamm in die Hand, drückte ein wenig darauf und dachte an den Geruch von Seife und Lavendel. So wie früher.
© "Lavendel – Der Duft der alten Zeit": Kurzgeschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Die Abbildung zeigt die Blüte des Echten Lavendels. Urheber der Fotografie: Nils E., Creative Commons-Lizenz.
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