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Jammernd und stöhnend warf der Junge den Kopf mit der heißen Stirn und den schweißverklebten Haaren von einer Seite zur anderen. "Ahhh ... nein, haltet sie auf ... sie kommen ... sie kommen ...", stieß er zwischen den Zähnen hervor, während die Sehnen an seinem Hals wie Stricke hervortraten. "Ahhhhh ... nein ... NEIN!"
Beim letzten Wort, das der fiebrige Verwundete hervorstieß, schnellte er von seinem Lager hoch und starrte mit weit aufgerissenen Augen wild umher. Dann fuhr er mit den Händen durch die Luft, als schwänge er eine unsichtbare Waffe, bevor er haltlos wie eine Stoffpuppe zurücksank, mit geschlossenen Augen und schwer atmend. Von der Türe her waren Geräusche zu hören, ein mitleidiges Schnalzen und weiche Schritte – dann legte sich eine Hand sachte auf die Stirn des nun völlig ruhig liegenden Jungen.
Ein Tuch wurde ausgewrungen und auf die noch immer heiße Stirn gelegt, mit weichen, bedächtigen Bewegungen. Sehr alte Hände waren es, die das Tuch behutsam auflegten. Hände, die schmal und gebräunt, aber von vielen tiefen Runzeln durchzogen waren. Sachte schoben die greisen, aber sehr feinfühligen Finger den losen Kittel hoch, um den Verband an der Leiste freizulegen. Der Wurzelbrei, der auf der Wunde festgetrocknet war, sah grau und kraftlos aus – sanft zupften die Greisenfinger hier und da etwas davon ab, um die Haut freizulegen. Zufrieden nickte der alte Mann, zu dem die Hände gehörten, dann nahm er aus einer Schale etwas mehr Paste, um sie auf der Verletzung zu verteilen. "Du wirst leben, junger Narr", flüsterte der Alte und zog den Kittel wieder zurecht.
Mehrere Tage später führte ein hohlwangiger Junge mit zitternden Händen und der Hilfe des Alten eine hölzerne Schale mit Brühe zum Mund. Nach einigen wenigen Schlucken war er wieder eingeschlafen, ohne ein Wort über die trockenen Lippen gebracht zu haben. So ging es Tag für Tag, während der Alte den Jungen versorgte, ihn säuberte und seine Glieder mit feuchten Händen und einem Tuch abrieb. Irgendwann sah der Alte, dass die Augen des Jungen auf ihn gerichtet waren, und dass sie ihn wahrnahmen nach all den Tagen, in denen der Blick durch ihn hindurchgegangen war.
"Wo bin ich ...? Ist das ein Kloster?" Der Alte schlug die Kapuze zurück und lächelte den Jungen an. "Nein, das ist meine Klause, junger Herr. Ich bin ein Einsiedler." Und ohne auf weitere Fragen zu warten, beschrieb der Alte mit sanfter Stimme, wie er den jungen Mann gefunden hatte, nicht weit von hier – ein Versprengter der Schlacht, die geschlagen und verloren war. Es war erstaunlich gewesen, wie der Mönch erzählte, dass jemand mit einer so tiefen Wunde noch so weit gekommen war. Er hatte den Jungen in die Hütte gebracht und sich seiner angenommen, hatte ihn stöhnend und mit langen Pausen auf einer schnell gebauten Schlaufe über den Waldboden gezogen.
Mit ängstlichen Augen besah der Verletzte die nun verschorfte, aber nicht mehr entzündete Wunde, die ihn fast getötet hätte. Er wollte sich aufrichten, fiel zurück und weinte zornige Tränen, weil er sich so elendig schwach fühlte, hilflos wie ein Säugling. Er begriff, dass der Mönch ihn sauber gehalten hatte, als wäre er genau das gewesen ... ein Neugeborenes. Mit zusammengepressten Lippen wandte der Junge den Kopf ab und kämpfte mit seiner Scham. "Ich muss zurück, ich muss zurück zu meinen Männern", knirschte er und schlug schwach mit der Faust an die Lehmwand neben seinem Lager. "Junger Herr – die Schlacht ist vorbei und Ihr seid zu schwach zum Sitzen. Habt Geduld." Dann ließ er die Flüche und Beschimpfungen des Jungen geduldig über sich ergehen, sah die graublauen Augen, die noch tief in den Höhlen lagen, das verschwitzte dunkelblonde Haar und den noch sehr lichten Bart. Er konnte kaum älter sein als achtzehn Sommer, der Junge. Wahrscheinlich sogar weniger – ein Kind, das in eine Schlacht gezogen war.
Seufzend beantwortete der Mönch die atemlos hervorgepressten Fragen. Nein, er wusste nicht, wer gesiegt hatte. Es interessierte ihn auch nicht – es würde nichts ändern für ihn und vorerst auch nicht für den ungeduldigen jungen Herren. Ja, die Kleider lagen dort hinten auf einem Haufen – sie waren zu nichts mehr nütze. Nein, er hatte keine Waffen gehabt, als er ihn im Wald gefunden hatte. Natürlich kannte der Alte das Wappen auf dem Waffenrock wohl – aber er maß ihm keinerlei Bedeutung bei.
"Wir haben unser Land verteidigt", sagte der Junge stolz. Er sagte das öfter – dabei aber waren seine Augen stumpf vor heimlichem Kummer, wie der Mönch glaubte. Und dann fragte er eines Abends, nachdem er dem Jungen erlaubt hatte, sich aufzusetzen und in dieser Haltung zu essen, da er nicht mehr glaubte, dass die Wunde wieder aufbrechen würde: "Was ist euer Land, Herr?" Erstaunt sah der Junge den Alten an. "Unser Land, unsere Heimat – wir haben sie verteidigt, wir haben für sie gekämpft. Du lebst doch auch darin, Mönch. Du musst das doch wissen." "Den Namen weiß ich, danach fragte ich nicht, junger Herr", gab der Alte zurück. "Ruht Euch aus jetzt. Morgen sprechen wir weiter."
Am nächsten Tag, als der Mönch von einem seiner Ausflüge zurückkam, setzte er sich zu dem Jungen und legte ihm etwas auf die Decke. Verblüfft starrte dieser auf die beiden Steine, die da auf einmal in seinem Schoß lagen. "Was soll das, Alter? Warum bringst du mir Steine?" Aber der Mönch schwieg und brachte aus verschiedenen Taschen seiner Kutte je eine Handvoll Erde hervor, die er neben die Steine legte. "Ich war an der Grenze heute, deswegen blieb ich lange fort, junger Herr. Hier habt Ihr einen Stein und Erde von diesem Land – und da habt Ihr das gleiche – aber vom Land jenseits der Grenze. Nun sagt mir, Herr, welches Stückchen Fels und welcher kleine Brocken Stein ist von diesseits und welcher von jenseits Eures Landes?" Damit stand der Alte wieder auf und machte sich an der Feuerstelle zu schaffen.
Als der Mönch vorsichtig den hölzernen Becher mit dem heißen Kräutertee an die Bettstelle des Jungen brachte, sah dieser ihn mit zusammengepressten Lippen an. Herausfordernd schloss er beide Hände um die Steine und warf sie – ziemlich kraftlos – gegen die Wand der kleinen Hütte. Dann senkte er den Blick und sprach an diesem Abend nicht mehr.
Die Tage darauf waren mit wichtigen Dingen erfüllt – der Alte stützte den Jungen bei seinen ersten, sehr unsicheren Gehversuchen vor der Hütte. Aber an einem Abend, etwa vier oder fünf Tage, nachdem der Alte die Steine gebracht hatte, fing der Junge an zu sprechen.
"Ich meine nicht die Steine, Mönch. Ich meine auch nicht die Erde – ja, ich weiß, dass sie gleich ist. Es ist etwas anderes ..." Sein Gegenüber schwieg, sah ruhig in die Flammen des kleinen Feuers, das vor der Hütte brannte. "Mein Land, das ist das Land, auf dem meine Familie und alle Menschen, die ich kenne, leben. Wir sind hier geboren worden, wir gehören dazu, Alter. Wir haben unserem Land die Treue geschworen, und ein Eid ist heilig."
Der Mönch schwieg noch eine Weile, dann kam seine sanfte Stimme durch die rasch hereinbrechende Dämmerung: "Wem habt Ihr geschworen – den Bäumen oder Steinen, junger Herr? Habt Ihr den Rehen und Wölfen im Wald Euren Eid geleistet? Wem habt Ihr Euch verpflichtet – habt Ihr vor Euren Eltern oder Brüdern geschworen?" Der Wurf, mit dem der Becher des Jungen Bekanntschaft mit der Lehmwand machte, entlockte dem Mönch ein Lächeln. "Ihr werdet kräftiger, junger Herr", sagte er sanft und ging in die Hütte, um das Nachtlager zu richten.
Der nächste Tag brachte Erfolge – der Genesende ging, auf den Mönch gestützt, einmal um die zugegebenermaßen nicht besonders große Hütte herum. Zwar sank er dann völlig erschöpft auf seine Decke – aber seine Augen blitzten vor Zufriedenheit. Und anstatt ein wenig zu schlafen, sagte er herausfordernd: "Du weißt, dass ich dem Herzog geschworen habe – nicht meiner Familie und schon gar nicht dem Wald oder den Wildschweinen." Der Einsiedler nickte leicht und sagte: "Also wäre dann der Herzog das Land? Nicht etwa das, was Ihr hier seht – der Wald und das Leben darin, oder gar Eure Eltern und Geschwister?" Diesmal gab es nichts zum Werfen in unmittelbarer Reichweite des Jungen – deshalb schrie er: "Was weiß jemand wie du von Ehre, Mönch. Der Herzog ist ... na ja, er ist ... er ist ein Zeichen für unser Land. Er hält uns zusammen. Hätten wir zusehen sollen, wie sie unsere Häuser stürmen, unser Vieh töten und unsere Frauen entehren?"
Dieses Mal schwieg der Einsiedler lange Zeit. Er schwieg so lange, bis er die Schluchzer, die von dem behelfsmäßigen Bett kamen, nicht mehr hören mochte. "Junger Herr", sagte er, "Ihr habt also um das gekämpft, was Euer ist – um Vieh und Acker und Eure Anverwandten. Aber nicht um das Land – denn das gehört Euch nicht." Dann ging er gebeugt zum Lager hinüber und legte sachte die Hand auf die zuckenden Schultern des Weinenden. Und der ergriff sie, presste sie verzweifelt zusammen, dass der Alte einen Schmerzensschrei unterdrückte. 'Was muss dieses Kind erlebt haben?', dachte er. 'Was für Bilder hat ihm der Tod ringsum gebracht und was für Träume wird er haben bis ans Ende seiner Tage?'
"Der neben mir fiel – ein Bolzen war es, glaub' ich", flüsterte der Junge zwischen den Schluchzern. "Ich nahm die Fahne aus seiner Hand, einer trat mir in den Weg mit seinem Schwert, es tat einen Schlag – und dann bin ich gelaufen, bis alles schwarz wurde ringsum. Es tat weh – ich wusste nicht, wieso. Und die Fahne ... ich habe unsere Fahne verloren, Mönch." Langsam wurde der Verwundete ruhiger, das Weinen hörte auf und der Körper entspannte sich ein wenig.
"Ihr habt die Fahne nicht verloren, mein Kind", flüsterte der Mönch. "Ihr habt sie immer noch, ganz dicht bei Euch." Damit legte er die Hand des Jungen nach dessen Leiste, wo ein Stück Tuch über den Wurzelbreien und frischen Blättern lag, welche die heilende Wunde bedeckten. Seine Augen wurden groß, er erkannte die Farbe und das Muster. "Ich hatte nichts anderes, um es als Verband zu nutzen, und das Gewebe ist gut – ein feines Tuch ist es, das des Herzogs Wappen trägt."
Mit großen Augen starrte der Junge zur Decke der Hütte, ein leichtes Lächeln im tränennassen Gesicht. Als er die Hand des Mönchs auf seiner Stirn spürte, drehte er den Kopf und sagte leise: "Weißt du, wie es ausgegangen ist, Einsiedler?" Dann nannte er den Namen seiner Familie. "Der Herzog verhandelt mit den Führern der Aufständischen, junger Herr", sagte der Alte. "Eurer Familie ist nichts geschehen, soviel ich weiß, und Euer Bruder kam unverwundet heim. Ich habe es erfahren von einigen, die hier durchgekommen sind und nach Hause gingen."
"Sie waren nicht viele, weißt du, sie hatten nicht einmal richtige Rüstungen. Wir hatten sie an der Grenze erwartet – sie sind nicht weit gekommen. Sie wären nie weit gekommen. Ich wollte es nicht, verstehst du ... nicht mehr, nachdem ich sie gesehen hatte. Aber was hätte ich denn tun sollen, was hätte ich tun können?" In der Hütte war es dunkel geworden mittlerweile, aber die Stimmen verstummten lange nicht. Der Mönch und der Junge sprachen ... lange Zeit sprachen sie. Als der Morgen anbrach, näherten sich Männer mit Pferden und einer Trage der Hütte, sie gehörten zum Haushalt des jungen Adligen und waren gekommen, um ihn nach Hause zu holen. Lange noch stand der Einsiedler vor seiner Behausung und sah dahin, wohin die Menschen verschwunden waren. Dann ging er hinein, um seine Gebete zu verrichten.
Jahre zogen vorüber, die Herren wechselten, aber das Land blieb dasselbe – die Einsiedelei stand nun seit Wochen leer, der Alte war friedlich gestorben und ein Wanderer hatte den Toten gefunden, vor seiner Hütte sitzend. Einige Zeit danach kam aber jemand den schmalen Pfad, der von der Landstraße abzweigte, herunter. Er trug keine Waffen und war schlicht gekleidet. Vor der einfachen Klause blieb er stehen und schob die Kapuze seines Umhangs zurück. Nach so langer Zeit war in den Zügen des einsamen Besuchers noch immer der junge Kämpfer zu finden, der hier dem Tod entkommen war oder vielleicht Schlimmerem als diesem. Als er die Tür zur Hütte aufstieß, drehte er sich noch einmal auf der Schwelle um und sah in den milden Herbstabend, wie einer, der zu bleiben gedenkt.
© "Um Land und Leben": Kurzgeschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Ritter und Ritterburg, CC0 (Public Domain Lizenz).
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