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Es gibt viele interessante Entwicklungen im Leben eines Menschen, aber eine der geheimnisvollsten ist die, welche aus Männern pflegebedürftige Kinder und aus liebenden Frauen Mütter macht – völlig gleichgültig, ob sie nun kleine Kinder haben oder nicht.
Da wäre der Fall des verliebten Mädchens, das so völlig vernarrt in die Stärke und Gelassenheit des "Richtigen" ist, dass sie ihr Leben fürderhin mit ihm und nur mit ihm verbringen will. Dieser Fall ist seit vielen hundert Jahren bekannt und ebenso natürlich in der direkten Gegenwart. Beide ziehen zusammen oder heiraten – manchmal tun sie das sogar auf einmal.
Jedenfalls scheint es unausweichlich zu sein, dass dieser eigentlich immer über den Dingen stehende Typ, dieser MACHER, zu einem Kind mutiert. Jedenfalls in den vier Wänden des trauten Heims. Draußen ist er immer noch der, in den sich das Mädchen verliebt hat ... souverän und hilfsbereit, wenn irgendetwas repariert oder gerichtet werden soll. Im Kreise seiner Freunde ist er immer noch der "Gangman" seiner Junggesellenjahre, und wenn Damen in der Nähe sind, spreizt er sein Gefieder wie eh und je.
Aber sobald er mit der Frau seines Lebens alleine ist, fällt das alles von ihm ab und er ist kaum noch fähig, sein Hemd alleine zuzuknöpfen. Zumindest kann er das Teil des Kleiderschrankes, in dem säuberlich aufgereiht die Oberhemden hängen, nicht mehr finden, geschweige denn öffnen.
Der Typ, der durch sein tolles Organisationstalent auffiel und damit bestach, steht nun mit einem um die (etwas voluminöseren) Hüften gewickelten Handtuch vor dem Schrank, starrt verständnislos hinein und fragt: "Wo ist mein grünes Hemd mit den Streifen?" Der taffe Kerl, der mit heldenhaftem Grinsen (sah verdächtig nach Clint Eastwood aus) lässig abwinkte, wenn er sich irgendwo gestoßen hatte, brüllt nun wie ein Schwerstunfallopfer nach einem Heftpflaster, wenn er sich die Nagelhaut ein wenig eingerissen hat. Ihm zu erklären, wo er es finden könnte, das Pflaster, ist völlig sinnlos. Er ist nämlich verletzt und kann es nicht selber holen, weil er es nicht finden würde. Schließlich sind Schnellverbände keine Schrauben oder Muttern – wo die sind, weiß er nämlich.
Dass Männer, die bei der Bundeswehr waren, ein Hemd auf akkurates DIN-A4-Format zusammenfalten können, hält sich als hartnäckiges Gerücht. Sollte es aber tatsächlich so sein, erleiden dieselben Meister im Falten eine sofortige Amnesie, sobald sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben. Junggesellen sollen ja überhaupt über einige beachtliche Fähigkeiten verfügen – sie verhalten sich wie Erwachsene und meistern ihren Alltag tadellos – bis sie eben keine Junggesellen mehr sind.
So kann es kommen, dass der Kerl mit der charmanten Dominanz, die so gefallen hatte, nach einiger Zeit des Zusammenlebens plötzlich tausend Ausreden hat, wenn es darum geht, unangenehme Telefongespräche zu führen. "Mach du das, Schatz – du kannst das viel besser." Vertreter abwimmeln oder die aufdringlichen Nachbarn; die Schwiegereltern von einem Besuch abhalten; den riesigen Hund, der unbedingt ins Haus musste, ausführen; mit den Lehrern der Kinder sprechen – auf einmal sieht das einmal so verliebt gewesene Mädchen sich zwar immer noch als solches (als Mädchen), aber eben als eines für alles.
Nach spätestens zwanzig Jahren des Zusammenseins sehen sich die meisten Frauen eher als Mütter denn als Geliebte oder Partnerinnen ihrer Männer. Sie fangen an, ihre Partner zu betüdeln, etwa so wie sie das mit den Kindern tun oder getan haben. "Denk an deinen Blutdruck, zieh eine Jacke an, es ist kalt draußen." Und sie legen die Kleider zurecht, die "er" für den Tag braucht, lassen das Bad ein und nörgeln über Verhaltensweisen, die ihnen nicht gefallen ... eben wie Mütter. Wieso sich diese Änderung vollzieht, die aus dem Traummann ein verwöhntes Kind und aus der verliebten Frau eine gluckenhafte Mama macht, ist rätselhaft.
Wenn es an den Frauen liegen sollte ... so nach dem Motto: "Man sät was man erntet", dann könnte man die Frage aufwerfen, wieso Männer ihre Souveränität für ihre Bequemlichkeit aufgeben. Ist es wirklich so einfach?
Frauen bieten an und Männer nehmen dankend (oder eher nicht dankend) an?
So eine eingespielte Beziehung kann natürlich bis zum Tode dauern – aber ebenso kann der große Junge wieder "weg von Muttern" wollen und sich nach neuen Herausforderungen umsehen – ohne deshalb glücklicher zu werden. Oder vielleicht ist "Mama" dieses Leben satt und sucht nach einem erwachsenen Mann (der allerdings auch zum Kind im reiferen Alter werden könnte).
Wer zu viel von sich aufgibt, tut weder sich noch dem Partner etwas Gutes. Selbst bei scheinbar eingespielten und gut funktionierenden mutierten Beziehungen gibt es Verbitterungen, die nicht unbedingt thematisiert werden, aber für eine ständige Belastung sorgen. Die Frau verwöhnt den Partner zwar weiterhin, wirft ihm aber gleichzeitig vor, dass er sich verwöhnen lässt, quasi zum schwächeren Teil wird. Umgekehrt genießt der Mann die Stärke der Frau, macht ihr aber eben diese zum Vorwurf. Was hier geschieht, hat nur mit dem "ich" zu tun – nichts mit dem "du".
Eigenständigkeit darf nicht für Bequemlichkeit aufgegeben werden – ebenso wenig wie sie in übertriebener Fürsorge aufgehen sollte. In beiden Fällen wird sie irgendwann als Verlust wahrgenommen und kann dann wahrscheinlich nicht wieder eingefordert werden.
© "Mütter und Kinder im reiferen Alter": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Die Abbildung zeigt ein Detail aus dem Gemälde "The first steps" von Marguerite Gérard, Lizenz: gemeinfrei.
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