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Sandbiene. Foto: Lothar Seifert
Fast wieder Sommer, ja gut, eigentlich sollte er ja schon fest installiert sein im Alltagsleben, aber das Programm hat noch einige Aussetzer. Es ist noch nicht richtig heiß in der Mittagszeit – nicht so, wie man das kannte von früher. Sehe ich da Augenbrauenheben? Was ist schon dabei, wenn man Vergleiche zieht – das tut doch jeder. Wie weit die einzelnen Posten voneinander entfernt sind, spielt doch keine Rolle.
Aber die Vergleiche, die ich heute ziehe, sind nicht allzu weit voneinander entfernt. Mittagszeit vor wenigen Jahren, vielleicht vor dreien oder vieren. Es ist heiß, der Straßenbelag wirft die Hitze zurück, die auf ihn aufprallt, die kümmerlichen Minibeete am Bordsteinrand sind wüstentrocken. Es hat am Morgen geregnet, aber wer es nicht gesehen hat, glaubt es kaum – es ist, als hätte der Boden einen riesigen Schluck genommen und das war es dann gewesen.
Der Weg führt an vielen begrünten Flächen vorbei, an verwilderten Grundstücken ebenso wie an gepflegten Gärten. Heckenrosen haben sich breitgemacht, manchmal auf Einladung hin – oft aber als Eroberer. Man trifft jemanden, bleibt stehen und redet ein wenig über das oder jenes, lacht oder winkt ab – je nach Vertrautheit mit dem Gegenüber. Die Sonnenbrille hat man wieder vergessen, und eigentlich ist es zu warm für die Laufschuhe – es ist wie jedes Jahr im Sommer, wenn man in der Stadt unterwegs ist.
Aber das stimmt nicht ganz – es ist, als ob etwas fehlte – etwas Wichtiges. Etwas, das sonst immer dagewesen war, die ganzen langen Jahre lang. Man steht ein wenig verloren an der Wildrosenhecke, die ein verlassenes Häuschen einrahmt, der Plauderkomplize ist weitergegangen ... es ist still.
Ja, und da weiß man es. Wieso kann es still sein, im Sommer an einer Rosenhecke? Die Blüten sehen staubig aus, eigentlich wie eine lange nicht gereinigte Dekoration aus Stoffblüten – es wirkt kaum lebendig in der Stille – es ist, als sähe man ein Foto an. Auf einem Bild würde man sie ja auch wahrscheinlich nicht sehen, die Bienen, Wespen und Hummeln.
Das Gesummse der schwarzgelben oder braungelben kleinen Tierchen gehörte zum Sommer dazu ... genauso wie Sandalen oder Eis am Stiel. Es war überall – man konnte es hören, wenn man in der Wohnung die Fenster geöffnet hatte – im Garten – auf den Feldern ... es war immer und ständig zu hören. In den Straßencafés, beim Picknick im Garten oder sonst irgendwo draußen war es die Begleitmusik des Sommers.
Spitze Schreie und heftiges Herumgewedel mit den Händen oder Zeitungen, wenn so ein kleines Wesen einen vermeintlichen Angriff flog – manche Leute reagierten hysterisch auf die Bienen und Wespen. Die beste Art übrigens, um einen Angriff zu provozieren – wie Großväter oder Großmütter besänftigend sagten.
Pfiffige Leute stellten Zuckerwasser in einiger Entfernung der gärtlichen Kaffeetafel auf, um die kleinen Sammler von der Kirschtorte und den süßen Teilchen abzulenken. Andere zählten die Strecke der erlegten Bienen, denen sie mit einer Zeitung oder sonst etwas den Garaus gemacht hatten. Es gab ja genug davon – und wie wichtig sie sind, die emsigen Bestäuber, wusste man eigentlich nie so recht.
Mit geschlossenen Augen einen Sprung zurückmachen ... wohlig klingendes Gesummsel, ganz viel Betrieb bei der Rosenhecke ... es sieht aus, als wäre da ein sehr beliebtes Bistro eingerichtet. Der Duft der Blüten, das Sonnenlicht ... die vielen, vielen schwirrenden Flügelchen ... das Summen, das war der lebendige Sommer. Wenn man stehenblieb und beobachtete, fasziniert von dem kleinen Parallelkosmos, der da reibungslos funktionierte, war man in Sicherheit – die Kleinen nahmen kaum Notiz.
Und jetzt, da man begriffen hat, was man verloren hat, scheint es, als wären die Bienen auch für den Duft wichtig gewesen ... für den lebenden Geruch der Blumen. Vielleicht bildet man sich das auch ein – aber ein fürchterliches Gefühl von Verlust sorgt für einen grauen Überzug der Wahrnehmung.
Wer oder was dafür verantwortlich ist – da gibt es viele Meinungen. Eine Milbe namens Varroa soll den Bienen den Garaus machen, andere behaupten, Pestizide seien dafür verantwortlich, die man gegen Schädlinge einsetzt. Letztendlich sind wir diejenigen, die die Bienen aus dieser Welt verdrängen. Aber an der Hecke der Erkenntnis, da ist es gleich, wieso – denn tote Sommer werden bald gar keine Sommer mehr sein.
Es heißt, dass den Menschen nicht mehr viel Zeit übrigbleibt, wenn die letzte Biene gestorben ist. Und hier und jetzt, da sage ich mir, dass mir dieses fehlende Gesumme, diese Begleitmusik des Lebens und der Fülle so entsetzlich erscheint, dass mir vor den weiteren Jahren graut, in denen der von mir so geliebte Sommer nichts weiter sein wird als heiß und staubig.
Und leblos.
© "Das Summen des Lebens – Die Varroa-Milbe und das Bienensterben": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2014. Foto der Sandbiene: Lothar Seifert.
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